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Nachrichten über eine verstärkte „Kulturoffensive” des Österreichischen Fernsehens im kommenden Herbst drangen kürzlich in die Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang war insbesondere von einer Vermehrung der diesbezüglichen Sendungen die Rede. Das soll zum Anlaß genommen werden, an Hand einiger typischer Sendereihen aus dem bisherigen Programm kritisch zu untersuchen, ob vor der Vergrößerung der Quantität (die an sich durchaus zu begrüßen ist) nicht gewisse Korrekturen der Qualität, vor allem auch der grundsätzlichen Haltung dieser Sendungen stehen sollten.

Bei dem Wort Kultursendungen denkt man beim Fernsehen in erster Linie an solche, die etwa dem Begriff Kulturfilm entsprechen, ein Begriff, mit dem leider häufig Mißbrauch getrieben wurde und der dadurch heute einigermaßen verschwommen ist. Denkt man aber an die Definition, die der bekannte Filmpsychologe H. C. Opfermann für den Kulturfilm gibt — in der verlangt wird, daß der Kulturfilm nicht nur wie der Dokumentarfilm einen Einblick in das Leben von Menschen und Natur geben, sondern vor allem zur Erweiterung und Vertiefung des Weltbildes, der Weltanschauung und der Reife der Persönlichkeit des Betrachters beitragen soll, und daß dazu eine künstlerische Gestaltung unabdingbar ist —, dann wird schon ziemlich deutlich, wo der Schuh drückt.

Dazu kommt noch, daß das Fernsehen auch auf diesem Gebiet besondere, nur ihm eigene Gestaltungsmittel besitzt und spezielle, dem Kulturfilm nicht zugängliche Formen schaffen kann, Formen, die allerdings zum Großteil erst gesucht und gefunden werden müssen.

Zu den ältesten Sendungen, die der Sparte Kultur zugeordnet werden möchten, gehört zweifellos „Der Fenstergucker”. Und er hat sich in den etlichen fahren seines Bestehens gar nicht verändert. Was nun keinesfalls ein Kompliment sein soll. Denn in all diesen Jahren haben wir vergeblich darauf gewartet, daß diese Filmsendung von dem anfänglich vertretbaren Schema der Unverbindlichkeit abgeht, daß sie Stellung bezieht, daß sie Profil bekommt. Aber immer wieder werden — zweifellos interessante — Erscheinungsformen unseres Lebens in überschwenglichen Bildern und mit einem ununterbrochen dahinfließenden, wortreichen und blumigen Kommentar in den rosigsten Farben geschildert, kaum jemals gibt es Probleme, kaum jemals wird ein Blick unter die Oberfläche gewagt. Es ist völlig verständlich, daß diese Sendung bei einem Teil der Zuschauer großen Beifall findet. Denn die Menschen sind heute leider vielfach bemüht, Schwierigkeiten der Mitmenschen zu übersehen, Problemen aus dem Weg zu gehen und eine ernsthafte persönliche Stellungnahme, wo immer es auch sei, zu vermeiden. Um so mehr aber wäre es die Aufgabe des Fernsehens, hier unbemerkt’ erzieherisch zu wirken. Aber mit von „schönen” Filmaufnahmen illustrierten Feuilletons ist es nicht getan. Gerade die Dinge, vor denen die Menschen gerne die Augen verschließen, muß man ihnen zeigen.

Erschwerend ist bei dieser Sendereihe auch noch die Figur des Fensterguckers, nicht nur formal, sondern auch vom Geistigen her; und der Übergang vom Fenstergucker zu dem gewählten Thema wirkt manchmal recht verkrampft. Daß einmal Meister Pilgram, von einem Schauspieler dargestellt, leibhaftig durch den Film geisterte, wird wohl auch von den Liebhabern dieser Sendung als undiskutabel empfunden worden sein. Vollends der Untertitel „Unsere Fernsehillustrierte” erscheint völlig verfehlt. Denn diese Sendungen sind doch das genaue Gegenteil einer Illustrierten: E i n Thema wird in Bild und Text behandelt. Viel mehr Verwandtschaft hat diese Sendung — wenn schon unbedingt ein Begriff aus dem Bereich der Presse verwendet werden muß — mit einem Feuilleton, und das nicht nur vom Text her.

Daß es auch anders geht, zeigt deutlich die Filmreihe „So leben wir alle Tage”. Hier geht es nun primär um die dem gewählten Thema innewohnende Problematik, und diese Problematik wird auf sehr eindringliche Weise, unterstützt durch eine meist vorzügliche Gestaltung, so an den Zuschauer herangebracht, daß er - so er den Problemen unserer Zeit nicht völlig apathisch gegenübersteht - gezwungen wird, sich mit dem Thema zu beschäftigen, wenn nicht gar direkt auseinanderzusetzen.

Das Wort Gestaltung führt nun zu einem weiteren wunden

Punkt auf dem Gebiet der Kultursendungen, auf den schon wiederholt hingewiesen wurde. Dieser Punkt aber erscheint wichtig genug, um ihn noch einmal an Hand einer einzelnen Sendung, die in dieser Hinscht typisch ist für viele andere, in aller Deutlichkeit darzulegen.

Unter dem anspruchsvollen Titel „Auch das ist Österreich” gab es da kürzlich einen Film „Erdgas aus Zwerndorf”. Es sei davon abgesehen, daß das Thema „Zwerndorf” nur einen kleinen Teil des Films ausmachte. Aber hier wurde mit aller Deutlichkeit das Fernsehen zu dem gemacht, als was es von den Gegnern des Fernsehens (so etwas gibt es!) spöttischerweise bezeichnet wurde und wird: Illustrierter Rundfunk! Man hört einen tadellosen, auf keinerlei optische Unterstützung angewiesenen Vortrag, und die Kamera ist sichtlich bemüht, Blickpunkte und Ausschnitte zu finden, die einigermaßen zu dem Text passen. Deckt sich dann ein Bild einmal genau mit den dazu gesprochenen Worten (wie etwa das der Rohrleitung nach Auersthal), so sagt das Bild kaum etwas aus. Anderseits sieht man immer1 wieder Bilder, die zweifellos höchst interessante und wesentliche Dinge und Vorgänge zeigen, aber dazu gibt es keine Erklärung. Mehrmals sieht man die St.-Barbara-Rohrbrücke; aber wer sie nicht kennt, dem bleibt dieses geheimnisvolle Gebilde nicht nur ein Rätsel, es lenkt seine Aufmerksamkeit überdies von dem gesprochenen Text ab.

So ist das Fernsehen nicht gemeint! Und niemand wird sich darüber beklagen dürfen, wenn wir in Zukunft solche Sendungen, die so grundsätzlich an dem Wesen und den Möglichkeiten des Fernsehens vorbeigehen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung und die gute Auswahl des Themas einfach als schlecht bezeichnen.

Auch die Sendereihe „Musiksalon bei Rudolf Hanzl” war bisher, sowohl von der grundsätzlichen Idee her als auch bezüglich der Wahl der einzelnen Themen außerordentlich interessant und wertvoll. Hier waren es vor allem die meist völlig unzulänglich gestalteten, gefilmten Gespräche, die der Sendung jede Lebendigkeit nahmen, die allein eine echte Anteilnahme des Zuschauers erwirken kann.

Daß es neben den hier erwähnten Kultursendungen noch eine ganze Reihe weiterer gibt, schlechte, mittelmäßige und sehr gute, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Es sollte auch nur an Hand einiger konkreter Beispiele auf allgemeine Fragen hingewiesen werden, die einer sorgfältigen Überlegung durch die Verantwortlichen des Fernsehens wert wären. Mehr Kultur — das soll uns durchaus freuen; aber zuerst, bitte: bessere Kultur!

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