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Femseh-Kultur muß auf „Samtpfoten” Vordringen

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Diskussionen über den Stellenwert der Kultur in den Massenmedfen im allgemeinen, im Fernsehen im besonderen lösen immer wieder eine exemplarische Sprachverwirrung aus. Was man landläufig als „Kultur” im Fernsehen versteht, bezieht sich freilich durchwegs nur auf den Bereich der Information und Darstellung von Kunst und ihren Formen.

Es steht aber außer Frage, daß es so etwas wie einen erweiterten Kulturbegriff gibt, und dieser reicht von der Eß- über die Wohn- bis zur Sprachkultur (wenn man will: auch bis zur Seh- Kultur).

Auch das kürzlich in Baden abgehaltene 8. österreichische Kulturgespräch litt unter der Vermengung der beiden Begriffsinhalte und litt deshalb an Präzision in der Diagnose und der Therapie im Fernsehbereich.

Nun beweisen alle ernstzunehmenden Medienuntersuchungen in aller Welt (für die Soziologie und Demoskopie wurde der Begriff „Wirkungsforschung” bereits zum Standard), daß der Fernsehzuseher sein Schau- und Hörvehikel konsumhaft aufnimmt - das will sagen, daß man passiv und re- signativ dem Medium gegenübersteht, vor allem aber das zum wichtigsten Freizeitmedium gewordene Fernsehen als Unterhaltungsszenerie versteht. Man will - und dabei handelt es sich um ein psychologisches „Naturgesetz” - sowohl Information wie Bildung, Sport wie auch Kultur, als Unterhaltung empfinden. Deshalb ist es auch natürlich, daß immer wieder jene Sendungen aller Arten den größten Erfolg beim Zuseher - und die höchsten Einschaltziffern - aufweisen, die dem Unterhaltungscharakter entsprechen und sich als Unterhaltung „verpacken”.

Man weicht aus…

Es besteht überdies - was auch die IFES-Untersuchung über das kulturelle Verhalten der Österreicher von 1975 beweist- eine relativ hohe Bereitschaft, sich via Fernsehen bilden zu lassen und Kunstinhalte anzunehmen. Nur zeigt sich immer wieder, daß sich gerade Kultursendungen nur mangelhaft (Ausnahmen wie etwa Marcel Prawys „Opernführer” bestätigen die Regel) auch in Unterhaltungsverpak- kung präsentieren. Vielmehr erscheinen die Künstler und Kulturexperten immer wieder mit einer gespielten Ernsthaftigkeit und gespreizten Seriosität, was die Zuseher von den Bildschirmen scheucht - oder sie auf populäre Alternativprogramme auswei- chen läßt (ein typisches Beispiel dafür ist wohl der „Jour Fixe”).

Nun ist es zweifellos zu billig, dem Fernsehen allein dafür die Schuld zuzuschieben. Sicherlich sind zu wenig Versuche unternommen worden, Kulturinhalte in geschmeidigerer, unterhaltungsgenehmerer Form zu präsen- tiren; aber die Vorstellung, daß Zwangsbeglückung durch Kultursendungen der Ausweg wäre, ist doch zu simpel. Immerhin ist nicht zu übersehen, daß durch das Kabelfernsehen oder die Kassette in absehbarer Zeit eine Vervielfältigung des Programmangebotes eintreten wird - und daß spätestens dann ein langweilig gemachtes ORF-Kulturprogramm einfach keine Zuseher mehr hätte. Ein spannender Krimi lockt schon heute selbst Intellektuelle von einer „Vorhang auf’-Sendung fort.

Kulturvermittlung als Lebenshilfe

Was könnte ein Ausweg sein, was könnte eine neue Strategie des Fernsehens werden?

• Der ORF sollte seinen - im Rundfunkgesetz auch festgehaltenen - Kultur- und Bildungsauftrag nicht nur als einseitigen Kunst-Auftrag sehen. Das wichtigste Massenmedium muß auch bereit sein, Kulturvermittlung als Lebenshilfe - im weitesten Wortsinn - anzubieten.

• Kultur im Fernsehen muß fernseh- gerecht - also mit Unterhaltungsmomenten - angereichert sein. Kultur muß quasi auf Samtpfoten überall von den Informations- bis zu den Sportsendungen eingebaut werden, vor allem aber auch schon bei den Kinder- und Jugendsendungen. Warum zeigt man in Jugendprogrammen so selten einen amüsanten Vertreter des Kunstlebens? In dieser Richtung sollte sich der ORF auch für Experimente gewinnen lassen.

• Kultur darf nicht im Zuschauerghetto stattfinden. Es gibt eine „scharfe” und eine „gemilderte” Konkurren- zierung - vor allem in einer Ubergangsphase.

• Österreich droht - auch in publizistischen und journalistischen Bereichen - immer mehr der Prozeß der In- temationalisierung. Fast alle großen - beliebten - Sendungen des Fernsehens kommen aus Deutschland, den

USA oder sonstwoher - jedenfalls ist Österreich und das spezifisch österreichische - schon seit vielen Jahren - aufdemBildschirm unterrepräsentiert. Man müßte sich aber besinnen, gerade im größten Medium stärkere österreichische - und damit Kulturakzente - zu setzen.

Wer war eigentlich Karl Kraus?

• Neben einer neuen „Samtpfotenstrategie” sollte man der Auswahl des programmproduzierenden Personals im ORF allergrößtes Augenmerk zuwenden. Auch ein Sportreporter sollte wissen, wer Karl Kraus war…

• Und schließlich muß in Österreich mehr Medienbewußtsein entstehen und in den Zeitungen Medienkritik als Kulturkritik betrieben werden. Hier ist ein wesentlicher Ansatzpunkt - weil nicht einzusehen ist, daß die Kulturseiten über jedes Kammerstückchen einer Kellerbühne schreiben, nicht aber über das TV-Abend-Pro- gramm, das Millionen Menschen gesehen haben…

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