6853257-1977_04_03.jpg
Digital In Arbeit

Kultur-Konkurrenz

Werbung
Werbung
Werbung

Keine Zwangsbeglückung mehr, keine Schutzzonen - unter diesem Motto sind die letzten Rundfunkreformer angetreten. Nach dem Christen war auch der Fernseher (angeblich) mündig geworden; er sollte selbst entscheiden, ob er sich von anspruchsvollen Programmteilen beglücken lassen wolle oder von anspruchslosen verblöden.

Dazu sei bemerkt: Auch in den übrigen Fernsehländem hat der Kampf um möglichst hohe Ein- schaltziffem dazu geführt, daß die verschiedenen Rundfunkabteilungen einander gegenseitig den Garaus machen. Ein Massenprogramm, als solches programmiert, wird noch bessere Umfrageergebnisse zeitigen, wenn zur gleichen Zeit auf den anderen Kanälen Langeweile herrscht. Oder aber eben: Hohes und höchstes Niveau.

Während bei den Buch-Bestsellern längst festgestellt wurde, welche Kriterien zu erfüllen sind, um die 100.000-Auflage zu überschreiten — sogar das genaue Gewicht der Buchdeckel plus Inhalt ist hier bedeutsam, und durch Test wurde der Sollzustand auf Dekagramm genau festgelegt —, ist beim Fernsehen die Mischung nicht ganz so leicht einzufangen. Heile Welt soll es jedenfalls sein; ein Minimum an optischen Kriterien muß erfüllt sein; der Pat- schenkinositzer erwartet gewisse Spannung - aber das Programm soll ihn doch auch nicht ganz mit Beschlag belegen. Das Schmalzbrot soll trotz surrendem Bildschirm noch schmecken.

Wer diesen und ähnlichen Kriterien entspricht, der braucht um Schutzzonen nicht zu buhlen, dem sind Einschaltziffem kein Grund für Magengeschwüre.

Wer aber, welche Sendungen aber sollten den Schutz der Programmacher genießen? Wie definieren wir jene Minderheit an Sendungen, deren Existenz mit Hilfe von programmtechnischen Tricks sichergestellt werden sollte?

Langeweile etwa ist eine höchst subjektive Angelegenheit. Es gibt sicherlich Zuseher, denen eine lange schwedische Wahlnacht spannender vorkommt, als ein Franz Klammer im Sturz (solche Blasphemien schreibt meine Schreibmaschine gar nicht gern — aber ich zwinge sie dazu). Ein gewisses Interesse am Thema dürfte also wohl Grundbedingung für die zu ersehnenden Spannungsmomente sein. Wie man hört, bewirken leider manche Sendungen auch bei einschlägig Motivierten demonstratives Gähnen… die Sendung Nova mag als abschreckendes Beispiel genannt sein. Und präsentierte man mir als Gegenauswahl das abgeschmackteste aller laufenden Bänder, ich würde mir Nova trotzdem nie wieder zu Gemüte führen.

„Eintritt frei” dagegen bereitete mir, obwohl ich höllisch aufpassen mußte, um alle Pointen einzufangen, echtes Sehervergnügen. Diese Sendung zeigte mir, wie unsinnig es ist, Kultur so oft als Muß hinzustellen, als Gegensatz zum Vergnügen.

Und doch gebe ich zu: „Eintritt frei” hätte einen Schutzzonenwall dringend nötig. Wenn schon ich, die ich mir von „Eintritt frei” echtes Vergnügen erwarte, schmählichen Verrat beging und auf Telly Sava- las’ Lollipop (ein gräßliches Wort!) hinüberschaltete … Und bei der Wiederholung drei Tage später? Ich selbst hatte da gerade überhaupt

Besseres zu tun als femzusehen; die übrigen Zuschauer aber hätten dieser Kultur zuliebe auf den Publikumshit „Wir” verzichten müssen …

Wie man’s macht, ist’s falsch, wäre die leichtfertige Rückzugslinie in der Diskussion darüber, welcher Film gegen welchen Film in den Ringkampf der gleichen Sendezeit einzutreten habe. In Bayern ist gerade darob eine Offerte Fehde entbrannt - angeblich konkurrenziert das dortige Studienprogramm rücksichtslos und absichtsvoll unliebsame Magazine nieder.

Wenn ich mir allerdings vorstelle, daß das menschenjagende Aktenzeichen XY vielleicht durch Nieder- konkurrenzierung via „High Cha- parall” ganz freiwillig und zwanglos seinen Geist aufgeben könnte, dann kann ich verstehen, welch große Versuchung darin liegt, Sendungen ihre Spitzen zu nehmen, indem man ihnen die Seher nimmt statt die Spitzen …

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung