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Kinder vor dem Bildschirm

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„Ehebruch erst ab 21 Uhr“, schrieb eine Münchener Boulevardzeitung in großen roten Lettern auf der ersten Seite. So hatte sich die Tagung in Grünwald, von der Aktion „Jugendschutz“ vom 17. bis 19. Februar veranstaltet, über mangelndes Echo nicht zu beklagen. Da über 3 Millionen verkaufte Geräte auf rund 10 Millionen Fernseher schließen lassen, dürfte das letzte Massenbeeinflussungsmittel Film, Rundfunk, Presse und Plakate bald überrunden. So trafen sich über 80 Pädagogen mit namhaften Fernsehleuten, um in ehrlicher Sorge um einen vernünftigen, geordneten Konsum in offener Aussprache die Dinge klarzulegen. Auch vier österreichische Gäste hatten sich eingefunden.

Die grundsätzlichen Forderungen der Pädagogen an die Produzenten wurden ohne weiteres akzeptiert: Überhaupt keine „jugendgefährdenden“ Sendungen im Fernsehen; „jugendungeeignete“ Sendungen erst ab 21 Uhr; Ablehnung eines zweiten Programms, das durch Beiträge von Firmen erhalten und gestaltet werden soll.

Die Schwierigkeiten kommen dann, wenn festgestellt werden soll, was im Einzelfall „jugendgefährdend“ und was „jugendungeeignet“ ist. Weiter: Soll man sich dabei nach dem „normalen“ oder „labilen“ Jugendlichen oder Kinde richten? Der deutsche Bundesgerichtshof hat in einem bestimmten Fall entschieden, daß man von dem „besonders anfälligen“ Jugendlichen ausgehen müsse.

Die Kodifizierung bis ins einzelne, von manchen Fernsehleuten als „handgreifliche Richtschnur“ ersehnt, wird auf Grund der Erfahrung in anderen Ländern von den Pädagogen abgelehnt. Sie richtet sich zu sehr nach dem Negativen, und über der Buchstabentreue kommt Sinn und Geist zu kurz. Stark akklamiert wurde ein Schweizer Grundsatz: Die Beliebtheit einer Sendung kann nicht das Maß ihrer Güte sein. *

Entrüstung rief die Tatsache hervor, daß für Kinder- und Jugendsendungen nur ein Fünftel der Gelder zur Verfügung stehe, die für die gleichen Sendezeiten abends verbraucht werden können. Das sind jedoch nicht die einzigen Schwierigkeiten. Der Moloch Programmzeit verlange' mehr, als die eingesetzten Menschen und die zur Verfügung stehenden Studios leisten können. (Das gilt übrigens doppelt für Österreich.) Längeres oder doppeltes Programm würde vor allem verdünnteres Programm heißen. Schon heute sind Filme vor allem „Füller“. Leider werden dafür nur ältere freigegeben.

Bei Lifesendungen könne man nie von vornherein wissen, was passiert und wie sie glücken. Die sehr wesentliche und an sich einzusehende Forderung nach einer vorherigen Information über Art und Wert kommender Sendungen sei nur sehr kurzfristig und aus dem oben ange-ührten Grund nicht mit voller Sicherheit zu verwirklichen. Die Produzenten betonen, daß die einzelne Familie auch eine Verantwortung trage.

Gerade dies wurde von verschiedenen Sprechern abgelehnt. Die Durchschnittsfamilie von heute sei hier überfordert, besitze zu wenig Einsicht und Autorität, könne sich auch dabei auf keinerlei Tradition stützen. Aufklärung und Schulung der Familie in vielfältiger Weise und durch lange Jahre müsse hier Erkenntnisse durchsetzen und Gewohnheiten schaffen.

Den Eltern muß klargemacht werden:

• Kleinkinder gehören überhaupt nicht vor den Bildschirm, wenn sie nicht geschädigt werden sollen. Man kann hier nicht er.iassen“ und begreifen“.

• Volksschulkinder — weise dosiert und nur Kindersendungenl

• Auch dem Alter zwischen 10 und 14 Jahren darf nicht selbständig das Fernsehgerät überlassen bleiben.

• Jugend über 14 Jahren in gute Erwachsenensendungen einführen!

• Hausaufgaben sind vor dem Fernsehen zu erledigen.

• Luft, Licht und Sonne, Sport und Spiel gehen dem Fernsehen bevor.

• Kein völliges Abdunkeln, kein diktatorisches Schweigen, keine „Andachtsstimmung“. Gelockerte Atmosphäre, Dreinreden, gemeinsames Sehen mit kritischen Randbemerkungen.

Für alle ist wichtig:

• Kein Sehen des Programms von A bis Z. Das wäre genau so ein Unsinn wie das Herunteressen einer Speisenkarte.

• Kein geduldiges Schlucken aller Peinlichkeiten und Entgleisungen. Positive und negative Kritik.

• Allerdings auch Toleranz üben, denn wir sind nicht alle gleicher Weltanschauung. Abgesehen von so schwerwiegenden Unterschieden: Über Geschmack ließ sich schon immer streiten. Das Fernsehen muß sich bemühen, allen etwas zu bringen. Schließlich kann man ja — Gott sei Dank — abdrehen.

• Mit Besuchen in der Familie plaudern und nicht — fernsehen. Außer sie wären deswegen gekommen und bäten darum.

Zuletzt ein Trost: Das Fernsehen ist aus vielerlei Gründen nicht so „zwingend“ wie der Film; das große, plastische Bild in Farben fehlt ebenso wie die Konzentration durch einen besonderen Raum und die Dunkelheit. Die unbeweglicheren Kameras und die kleine Bildfläche bringen mehr Statik. Die Großaufnahme der Personen überwiegt. Die Strahlkraft echter Persönlichkeit kann in Bild und Wort wieder mehr zur Geltung kommen.

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