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Digital In Arbeit

Frisdiwärts zur heilen Konsumwelt

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Haben Sie schon einmal jemanden zu küssen versucht, der sich mit gerümpfter Nase abwandte? Dann mangelte es entweder an Sympathie — oder an der richtigen Zahncreme. Kommen Ihnen Ihre weißen Hemden grau vor? Dann probieren Sie doch endlich die „Programmierte Waschformel“! Oder werden Sie etwa gar angesichts der neuen Küche Ihres Nachbarn Opfer einer explosionsartigen Selbstauflösung, gezündet vom eigenen Neid und begleitet vom Hohngelächter der stolzen Küchenkönigin? Dann haben Sie wohl nur noch eine Chance, sich zu rematerialisieren: Sie müssen sich auch so ein Superding anschaffen.

Werbung — Thema von Bassena-Dialogen ebenso wie von gelehrten

Abhandlungen, tägliche Realität am Fernsehschirm, auf der Zeitungsseite, an der Plakatwand. Was ist Werbung? Notwendige Orientie-rungshilfe im Angebot, sagen die einen; Konsum-Manipulation die anderen; conditio sine qua non der freien Marktwirtschaft meinen die Befürworter, kapitalistische Verführung die Kritiker. Produktinformation oder Produktglorifizierung?

Übereinstimmung herrscht zunächst bei Apologeten und Skeptikern über die Größe des Phänomens: Die Werbewirtschaft macht ein bedeutendes Segment der ökonomischen Szene aus, als einer ihrer expansivsten Zweige füllt sie zusehends die Lücken ihres Marktes. Immer mehr Unternehmer sichern sich die Dienste von Werbeagenturen oder etablieren in der eigenen Firma einschlägige Abteilungen. In der modernen Privatwirtschaft, die nach dem Modell kommerzieller Konkurrenz funktioniert, kann der „Chef“ im Kampf um Konsumenten und Profite schon längst nicht mehr auf die Propagierung dessen verzichten, was er produziert. Und er läßt sich diese „Propaganda“ auch einiges kosten.

Gesicherte Zahlen über den Werbemarkt als Gesamtheit sind schwierig zu eruieren, weil sie kaum systematisch erfaßt und noch weniger veröffentlicht werden. Wenn man jedoch die Gesamtausgaben der österreichischen Wirtschaft pro Jahr mit eineinhalb Milliarden für Werbung annimmt, so ist diese Summe eines mit Sicherheit nicht: zu hoch angesetzt. Nach weniger vorsichtigen Schätzungen würde die Zahl noch erheblich größer sein. 1,5 Milliarden also, die letztlich vom Konsumenten bezahlt werden. Das bedeutet etwa, daß jeder Österreicher vom Säugling bis zum Greis mehr als 200 Schilling durchschnittlich im Jahr indirekt dafür ausgibt, zu erfahren, wie er „am besten“ seine übrigen Einkünfte ausgibt. Ein Siebzigjähriger hat demnach immerhin die stolze Summe von 15.000 Schilling für den Genuß von Werbespots und Inseraten berappt; ob der zitierte „Durchschnittsmensch“ einen ähnlich hohen Betrag auch für Theater, Kino oder etwa Bücher ausgibt, bleibt ebenso fraglich wie wünschenswert.

Die größten Stücke des Werbe-

kuchens entfallen etwa zu gleichen Teilen auf Rundfunk und Presse, insgesamt etwa 95 Prozent. Den kleinen Rest bilden Plakate und andere Werbemedien. Speziell werbe-inten-siv sind das Fernsehen und die Tageszeitungen, die ja auch die meisten Rezipienten — sprich: Konsumenten — erreichen.

Eine einzige Werbeeinschaltung im Fernsehen kostet in den lukrativsten Blöcken von 20 Uhr bis 20.06 Uhr und von 20.09 Uhr bis 20.15 Uhr 44.000 Schilling für 20 Sekunden; dieser Tarif wird übrigens ab dem 1. Juli einer generellen Erhöhung auf 47.000 Schilling unterworfen. Für ein ganzseitiges Inserat (ohne Farbdruck) nimmt die in dieser Hinsicht führende österreichische Tageszei-

tung 90.000 Schilling für die Samstagausgabe; im Vorjahr hatten noch 80.000 genügt.

Die interessiertesten Auftraggeber sind analog der ökonomischen Logik die Hersteller der konsumintensivsten Waren: Nahrungs- und Genußmittel, Wasch- und Reinigungsmittel sowie Körper- und Gesundheits(?)pflegemittel liegen in dieser Reihenfolge an der Spitze und machen zum Beispiel nicht weniger als 70 Prozent der gesamten Fernsehwerbung aus.

Je voluminöser die Werbebudgets werden, je bunter und raffinierter die TV-Spots, je größer die Inserate, um so vehementer artikuliert sich auf der anderen Seite die Kritik an jenen Geistern, die man nun nicht mehr loszuwerden scheint. Als der Amerikaner Vance Packard vor zehn Jahren von den „geheimen Verführern“ sprach, formulierte er ein damals neues Unbehagen, das inzwischen weltweit geworden ist. Der Mensch der siebziger Jahre, der vor 20 Jahren das berühmte Wirtschaftswunder in die Nachkriegswelt gesetzt hatte und Wachstumsraten und Produktionsziffern zum höchsten seiner diesseitigen Ziele erkoren hatte, stellt betroffen fest, daß sich der Kreislauf von Angebot und Nachfrage zu einem circulus vitiosus verselbständigt hat: „Ein Wunsch, erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“

So Eugen Roth dazu.

Der Vorgang der Produktion gehorchte nicht allein mehr rationaler Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung, sondern einer eigenen, gefährlichen Gesetzmäßigkeit. Einer Gesetzmäßigkeit, die Konsum schrittweise von seinem vernünftigen Ausmaß entfernte und so zum Konsumzwang geriet, der allerdings durch den Einsatz subtiler oder auch weniger subtiler psychologischer Techniken den Gezwungenen kaum bewußt wurde. Die der Kontrolle entglittene und zum Fetisch gewordene maßlose Warenherstellung wird beispielsweise durch die aktuelle Umweltdiskussion durchaus pro-blematisiert, prinzipielle Analysen der Situation und ihrer Konsequenzen im allgemeinen sowie der Rolle der Werbung als Katalysator des verselbständigten Produktions-Kon-sumptions-Rituals im besonderen bleiben jedoch zum großen Teil un-

beachtet in den Regalen von Fachbibliotheken liegen. Eine Flut interessanter, allerdings nicht immer leicht lesbarer Literatur greift das Problem der Wirtschaftswerbung auf; einer der Hauptansatzpunkte ist dabei häufig die Allianz von Werbung und Massenmedien, die wahrhaftig als eine unheilige bezeichnet werden kann.

Auf die imponierenden Dimensionen des Werbemarktes wurde bereits an Hand einiger illustrativer Zahlen eingegangen; für die Geschäftsleitungen in den Medienunternehmungen selbst bedeutet Werbung nichts weniger als einen guten Teil ihrer ökonomischen Basis überhaupt. Die privatwirtschaftlich organisierten Tageszeitungen — spe-

ziell jene vom Typ der Boulevardoder Massenpresse — bestreiten ihre Budgets immer weniger vom Verkaufserlös ihrer Produkte (trotz immer häufiger werdender Preiserhöhungen) — ebensowenig wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten Hörfunk und Fernsehen von den Teilnehmergebühren leben können. Das Einnahmenverhältnis von 2:1 zugunsten der Gebühren wird sich in zunehmendem Maße zugunsten der Werbeeinkünfte verschieben. Dies bedeutet steigende Unabhängigkeit vom Verkaufserlös und gleichzeitig deren steigende Abhängigkeit von der werbungstreibenden Wirtschaft.

..Die meisten Massenmedien“, folgert daraus der deutsche Kommunikationstheoretiker Franz Dröge, „werden auf zwei Märkten vertrieben, auf dem Markt der Zeitungskäufer und auf dem Markt der Inserenten“. Woraus weiter abgeleitet werden könne, „daß die Ware Medium auch zwei Gebrauchswerte für die beiden Konsumentengruppen besitzen, zwei verschiedene Bedürfnisse befriedigen muß. Diese Ambivalenz speziell der Tagespresse — aber auch tendenziell der audiovisuellen Medien — kann auch an Hand des Verhältnisses von Pressefreiheit und Gewerbefreiheit klar entwickelt werden. Die scheinbare Differenz löst sich logisch nur durch den Warencharakter von Nachrichten auf. Damit die Zeitungsunternehmung floriert, muß das Blatt verkauft werden. Damit es verkauft werden kann, braucht man Inserenten und umgekehrt. Je bedeutender jedoch der Faktor Inserent wird, desto wichtiger ist wiederum Auflagensteigerung durch Leser-Akquisition (Verschenken von Häusern und Autos usw.), da für die Wirtschaft die Auflagenhöhe das Hauptkriterium bei der Auftragsvergabe von Werbung ist.

Der redaktionelle Teil erscheint damit in völlig neuem Licht: nämlich als Voraussetzung der Verkäuflichkeit von Insertion.

Der Pionier und Begründer des modernen Typs von Massenpresse, der Deutsche August Scherl, schrieb am 11. November 1883 in der ersten Ausgabe seines „Berliner Lokalanzeigers“ in einer Art Zeitungsprogramm: „Wir wollen die uns anvertrauten Inserate in einer alle Gebiete des Verkehrs erschöpfenden Ausdeh-

nung... und großartigen Verbreitung in Szene setzen, wie sie das Angebot und die Nachfrage des Bedürfnisses aller Beteiligten noch nicht gekannt hat.“ Und spätsr: „Wir werden bestrebt sein, im redaktionellen Theile, jeder politischen Sonder Stellung fern, die Leser... in Kenntnis zu setzen.“ Im Klartext läßt sich Scherls Credo nur so verstehen, daß profilierte politische Artikulation, die mehr ist als Anpassung an die allgemeinsten Einstellungen der Leser, dem Diktat der größtmöglichen Verkäuflichkeit weichen muß. Und daran hat sich 90 Jahre später nichts geändert.

Politische Bewußtseinsbildung, Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit, Emanzipation von der Pas-

sivität des Medienkonsums haben ihre Grenze dort, wo die Interessen der kaufmännischen Seite beginnen. Da nun anderseits funktionierende Massenmedien eine unabdingbare Bedingung für eine repräsentative Demokratie (beziehungsweise österreichischer Konstruktion) sind, wird die Sache noch problematischer. Die Zeitung, ohne die die Demokratie nicht lebensfähig ist — also etwas, das Verfassungsschutz genießt — ist ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert, ist zunehmend von Werbung abhängig. (Weshalb die Struktur der Medien in der Tat einer prinzipielleren Diskussion würdig wäre als etwa in der Form eines Vorschlags von — wiederum — kommerziellem Verlegerfernsehen.)

Die Meinungslosigkeit, ja ver-innerlichte Selbstzensur in den Massenmedien (auch analytischer Kommentar geheißen), verbunden mit einem massiven Ausbau seichter Unterhaltung bereitet den Boden für die Werbebotschaften, die in idealisierter Form die gleiche Ideologie reproduzieren.

Probleme gibt es in dieser Traumwelt nicht. Umweltverschmutzung heißt dort „reinere Luft“, Auto-raserei wird zum „sportlichen Fahren“. Die Menschen sind alle schön, die Kinder brav, die Verkäufer freundlich, und wer trotz allem ein bißchen unter Streß leidet, nimmt halt einen Aperitif oder sonst einen Drink, der ihn frischwärts führt.

Kurzum: eine heile Konsumwelt, in der alle Probleme mit der Geldbörse gelöst werden können. Daß dabei der Einsatz von Kindern eine nicht unbedeutende Rolle spielt; gehört zur Amoral des Systems: Schon die Kleinsten müssen ja zu Konsumenten „gezüchtet“ werden. (In den USA zum Beispiel hat ein Dreizehnjähriger schon zirka 10.000 Werbespots hinter sich.)

Daß Kinder in unserer wahrlich komplizierten, auch für die Erwachsenen nicht ganz überschaubaren Welt de facto als „noch nicht zurechnungsfähig“ klassifiziert werden müssen, stört die Werbefilmer und -texter kaum. „Wollt ihr Jolly, Kinder? Jaaaaaüü Hört ihr's, Eltern?“

Wirb oder stirb, mag es für Herausgeber und Intendanten heißen. Was dabei trotzdem „stirbt“, scheint ein Stück Freiheit zu sein.

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