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Neue Medien verlangen neue Zielvorstellungen

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Der amerikanische“Publizist Walter Concrite hat vor kurzem die Meinung geäußert, daß in der Gesellschaft von heute Pressefreiheit weniger die Freiheit der Journalisten, ihre eigene Meinung zu sagen, bedeute, sondern vielmehr die Freiheit der Bürger, zu erfahren, was los ist. Der alte, liberale Begriff der Pressefreiheit - Recht auf freie Meinungsäußerung, Freiheit von Zensur - hat in diesem Sinne schon lange eine Weiterbildung erfahren durch die Festlegung des Rechtes auf freie Information und des Rechtes auf freie Verbreitung, nicht auf die Medien beschränkt, sondern in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel X als allgemeines Menschenrecht definiert. Und das ist gut so und untermauert die These Concrites. „Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend orientiert sein, aber auch die Meinung kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebüdet haben“, hat in diesem Zusammenhang das Deutsche Bundesverfassungsgericht im Urteil in der „Spiegel-Affäre“ festgestellt. Wenn der Bürger schlecht, falsch oder gar nicht informiert ist, leidet der Staat Not: die Geschichte des Dritten Reiches ist dafür Beweis genug.

Die hier dargelegte publizistische Aufgabe, zu informieren und dadurch zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, wird heute mehrfach in Frage gestellt. Zum ersten durch die kaum noch zu bewältigende Informationsmenge, die den Journalisten zum „Schleusenwärter“ degradiert. Bei der Austria Presse Agentur kommen täglich an die 350.000 Wörter herein, aber nur rund 38.000 Wörter werden im Durchschnitt an die Zeitungen, an Rundfunk und Fernsehen weitergegeben. Das bedeutet, daß die APA bereits eine rigorose Auswahl treffen muß, und bloß elf Prozent der eingegangenen Meldungen weitergegeben werden. Bei DPA, der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg, sind es bloß zehn Prozent, von denen wieder nur zehn Prozent verwendet werden, so daß also bloß ein Prozent aller anfallenden Meldungen das „Licht der Welt“ erblickt.

Das zweite Problem ergibt sich aus dem ersten. Nach welchen Kriterien soll die Auswahl erfolgen: nach objektiven Merkmalen, die es aber nicht gibt, nach der Wichtigkeit, die Ansichtssache ist, nach den Interessen des Bürgers oder nach den Intentionen des Staates?

Oder ist in der pluralistischen Gesellschaft der Journalist, wie W. R. Langenbucher meint, der Vermittler, der die verschiedenen Gesprächsbeiträge zu einem Gespräch koordiniert?

Auf keinen Fall aber darf das Kriterium für die Auswahl der Nachrichten für Kommentar und Meinung, das Steckenpferd des Journalisten sein, wie es heute gang und gäbe ist. „Es wird nur vermittelt, was dem Publizisten in den Kram paßt, was seine eigene Meinung illustriert. Aber auch Unverständlichkeit ist eine Folge publizistischen Hochmuts. Statt auf den Leser einzugehen, gibt man sich lieber ,seriös' und absolviert in aller Öffentlichkeit, eben in der Zeitung, sein eigenes Hobby-Programm.“ (W. R. Langenbucher in „Der mißachtete Leser“).

Das kann so weit gehen, daß man, wie bei einem Wiener Massenblatt, die Meinungen des Herausgebers und der Redakteure zum Redaktionsprogramm proklamiert Dann aber wird der Begriff „Zeitung“ zu einem Tummelplatz für die Steckenpferde der Redakteure „umfunktioniert“.

In den Erläuterungen zum neuen Mediengesetz wird ausdrücklich festgehalten, daß der gesetzliche Meinungsschutz dem Journalisten keineswegs das Recht einräumt, die Veröffentlichung von ihm verfaßter Artikel durchzusetzen, und festgestellt, daß sich ein Journalist bei Verweigerung der Mitarbeit auf seine persönliche Meinung nur berufen kann, wenn diese nicht im Widerspruch zur Blattlinie steht. Damit ist ganz eindeutig festgestellt, daß sich die vielberufene journalistische Unabhängigkeit nur im Rahmen des Redaktionsprogramms entfalten kann, das nach den vorliegenden Vorschlägen sowohl in den Anstellungsverträgen der Journalisten als auch in den Zeitungen selbst festgehalten werden soll. Nach dem Presserechtler Dr. Martin Löffler erhält damit der Journalist, „im Rahmen dieser Richtlinien Gesinnungsschutz und ungehinderte Meinungsfreiheit Er darf aber öffentlich nichts schreiben, was gegen diese Richtlinien gerichtet ist“.

Man muß es heute immer wieder sagen: die Massenmedien dürfen nicht zur Spielwiese für Journalisten werden, vor allem jene nicht die Monopolunternehmen darstellen. Sie sollen und müssen mit klaren publizistischen Zielsetzungen voll und ganz im Dienste des Bürgers stehen, wobei die Vielfalt der Medien die Vielfalt der Meinungen garantiert. Der „Medienverbund“ ist kein Schlagwort, denn jedermann liest neben seiner Zeitung noch Magazine, Illustrierte und alle Arten von Zeitschriften, hört Radio und sitzt beim Fernsehschirm. An kleinen Zeitungsständen werden 100 bis 120 verschiedene Titel feügeboten, in vielen Gebieten unseres Landes kann man vier Fernsehprogramme und noch viel mehr Radiostationen empfangen. Aber damit nicht genug: mit dem Kabelfernsehen, von Politikern - Information ist Macht - und von der Industrie - das große Geschäft der Zukunft - gleichermaßen forciert, soll es zusätzlich 24 neue Kommunikationskanäle geben, davon allein 9 bis 12 Fernsehprogramme. Die Frage aber: Brauchen wir alles wirklich? wird kaum gestellt

Ein Blick in die USA mit dem dichtesten Netz an Radiosendern und Fernsehstationen wird hier vielleicht etwas Ernüchterung bringen. In den Ballungsräumen der Vereinigten Staaten schwankt die Zahl der dort arbeitenden Radiosender zwischen 31 und 47. Den absoluten Rekord an Programmangeboten hält Los Angeles mit 47 Sendern, aber selbst in Märkten mittlerer Größe, wie Harrisburg oder Chattanooga schwankt die Zahl der örtlichen Sender zwischen 13 und 30 und selbst in den zehn kleinsten Märkten der US A sind pro Ort oft noch 7 bis 11 Sender ansässig.

Wie nutzt der Amerikaner dieses Angebot? Wandert er fleißig auf der Skala seines Empfängers hin und her? Im Auftrag des CBS Radio Network hat jetzt ein Marktforschungsinstitut die Gewohnheiten der Hörer untersucht Das Ergebnis ist niederschmetternd: Pro Kopf und Woche stellt der Radiohörer der USA im Schnitt zwei bis drei verschiedene Sender ein. In dieser Sicht ist die Frage nach dem Bedarf nicht zu beantworten. Eines aber dürfte, zumindest in bezug auf Nachrichten, sicher sein: je mehr Sender, desto mehr Nachrichten, je mehr Nachrichten, desto größer die Gefahr der Desinformation. Der Hörer findet sich in dem Gewirr von Nachrichten überhaupt nicht mehr zurecht.

Was hier not tut und bei uns kaum Anklang findet, ist Medienpädagogik. Und was die Frage der Bedarfsdiskussion anlangt scheint es mir, daß sie, ohne gesicherte Unterlagen, mehr oder minder unergiebig ist Viel wichtiger wäre es, zu überlegen, welche kulturellen, humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Zielvorstellungen, die bisher noch nicht verwirklicht sind, mit Hilfe der neuen Medien realisiert werden könnten.

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