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Zeitgenossen um einen Tisch

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Der Start scheint allen Anlaß zur Resignation zu geben: Eine Pastoralinstruktion — die „Durchführungsverordnung“ zum „Konzilsgesetz“ über die Massenmedien — erscheint quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Ein Dokument, das nicht nur die bisher in der Kirche übliche Anschauungsweise von den „Instrumenten der sozialen Kommunikation“ über Bord wirft, sondern das auch ganz allgemein das Spiel von Information und Kommunikation, die Funktion von Presse, Rundfunk, Film in diesem Spiel unter einem völlig neuen Aspekt betrachte^ ein Dokument also, das als Handbuch für jeden dienen müßte, der in diesem „Zeitgespräch der Gesellschaft“ eine Funktion aus- tibt, ob als Verantwortungsträger, ob als Gestalter der Medien, ob als Empfänger, dieses Dokument erschien offenbar in gleicher Auflagenhöhe wie alle anderen vatikanischen Enpnziationen und war trotz eines Verkaufspreises von mehr als 30 D-Mark — rund 220 Schilling für die kommentierte deutschsprachige Ausgabe — nur unter größten Schwierigkeiten zu erhalten. Ein Dokument, das weit über die Kirche hinaus modellbildend wirken könnte und mit dessen Hilfe die Kirche andern gesellschaftlichen Institutionen bei der Schaffung von integrierten Informations- und Kommünikationssystemen wegweisend vorangehen könnte, war auch mehrere Monate später in den Zielgruppen so wenig bekannt, daß man sich kaum noch an die Meldung vom Erscheinen erinnern konnte…

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Der Start scheint allen Anlaß zur Resignation zu geben: Eine Pastoralinstruktion — die „Durchführungsverordnung“ zum „Konzilsgesetz“ über die Massenmedien — erscheint quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Ein Dokument, das nicht nur die bisher in der Kirche übliche Anschauungsweise von den „Instrumenten der sozialen Kommunikation“ über Bord wirft, sondern das auch ganz allgemein das Spiel von Information und Kommunikation, die Funktion von Presse, Rundfunk, Film in diesem Spiel unter einem völlig neuen Aspekt betrachte^ ein Dokument also, das als Handbuch für jeden dienen müßte, der in diesem „Zeitgespräch der Gesellschaft“ eine Funktion aus- tibt, ob als Verantwortungsträger, ob als Gestalter der Medien, ob als Empfänger, dieses Dokument erschien offenbar in gleicher Auflagenhöhe wie alle anderen vatikanischen Enpnziationen und war trotz eines Verkaufspreises von mehr als 30 D-Mark — rund 220 Schilling für die kommentierte deutschsprachige Ausgabe — nur unter größten Schwierigkeiten zu erhalten. Ein Dokument, das weit über die Kirche hinaus modellbildend wirken könnte und mit dessen Hilfe die Kirche andern gesellschaftlichen Institutionen bei der Schaffung von integrierten Informations- und Kommünikationssystemen wegweisend vorangehen könnte, war auch mehrere Monate später in den Zielgruppen so wenig bekannt, daß man sich kaum noch an die Meldung vom Erscheinen erinnern konnte…

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Die Vorgeschichte beginnt beim Konzil, das in seiner ersten Session das Dekret „Inter mirifica“ über die „Instrumente der sozialen Kommunikation“ verabschiedet hatte, selbst schon mit ungutem Gefühl wegen der Eile, in der das Papier zusammengestellt worden war, dann lebhaft kritisiert, weil es theologisch als „praekonziliar“ bezeichnet wurde und auch wissenschaftlich nicht dem Stand der Forschung entsprach. Schon im Dekret selbst bestimmte Absatz 23, daß eine eigene Kommission ein Pastoralschreiben als Durchführungsverordnung entwerfen sollte. Die Genesis dieses Schreibens durch sieben Jahre hindurch, das Werden dieses Modells aus der Diskussion von rund zwei Dutzend Kommissionsmitgliedern — Bischöfen, Priestern und Laien, Theologen, Publizistikwissenschaftlern und Praktikern der Medien — schildert nun Hans Wagner (München) im Kommentar der im Paulinus-Verlag, Trier, erschienenen deutschsprachigen Ausgabe. Ein Musterbeispiel, wie aus der Diskussion von Fachleuten sehr verschiedener Ausgangspositionen ein gemeinsames Ganzes entstehen kann, das trotz mancher Konzessionen an diese Verschiedenheiten doch im wesentlichen wie aus einem Guß erscheint, wenn auch — naturgemäß — das eine oder andere Kapitel wie aufgeklebt anmutet.

Gemeinschaft und Fortschritt

„Gemeinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft sind die obersten Ziele sozialer Kommunikation und ihrer Instrumente…“ beginnt das Vorwort. Es dreht damit die Feststellung des deutschen Informationswissenschaftlers Karl Steinbruch um, wonach „Information Voraussetzung und Grundlage jeder Gesellschaft“ ist, verzichtet auf eine Analyse der Begriffe „Information“ und „Kommunikation“ und stellt gleich die „Instrumente“ Presse, Film, Hörfunk, Fernsehen in den Mittelpunkt der weiteren Betrachtungen. Diese Instrumente als Faktoren des menschlichen Fortschritts versammeln „die Zeitgenossen sozusagen um einen runden Tisch… Denn durch diese Instrumente wird das tägliche Gespräch der einzelnen aufgenommen, angeregt und weithin verbreitet. So wird das öffentliche Gespräch der ganzen Gesellschaft durch diese Medien ermöglicht und überall vernehmbar“.

Dieses Bild von den Massenmedien als „öffentliches Forum, auf dem das Gespräch der Menschen hin und her geht“, weicht aber wesentlich von jenem ab, das bisher galt, etwa jenes, wonach die Medien dazu da seien, ganz bestimmten, durch Publizisten vertretenen Meinungen als Sprachrohr zu dienen — wie Wagner formuliert —, um damit in der Gesellschaft oder bei Einzelnen Wirkungen hervorzurufen. Nach dem bisher akzeptierten Modell spielt sich der publizistische Prozeß zwischen dem aktiven Publizisten und dem passiven, vom Publizisten geführten Publikum ab, eine Auffassung, die gerade im kirchlichen Medienbereich bis in letzte Zeit — aber nicht nur hier — anzutreffen ist. Noch viel weniger ist natürlich die Auffassung vom „öffentlichen Forum der Medien“ mit jener autoritären Vorstellung in Einklang zu bringen, die Presse und Rundfunk bewußt vorwiegend als Manipulationsmittel der Herrschenden gegenüber der zu führenden „Gefolgschaft“ ansieht (auch von ihr haben sich selbst bei uns noch Relikte über 25 Jahre hinweg erhalten).

„Dadurch, daß jeder bemüht ist, seine eigenen Auffassungen, Meinungen, Empfindungen und sittlichen Überzeugungen andern mitzuteilen, damit sie gemeinsamer Besitz werden, entsteht .öffentliche Meinung’ “, fährt das Dekret fort. Die Kommunikatoren — jene, die sich berufsmäßig mit den Medien befassen — besitzen großen Einfluß bei der Bildung, Sammlung und Verbreitung von Meinungen. Es liegt in ihrer Hand, die Meinungen frei und sach- entsprechend miteinander zu konfrontieren. Aber „alle Bürger sind aufgerufen, zur Bildung der öffentlichen Meinung beizutragen“, notfalls durch qualifizierte Sprecher. Das Informationsrecht — der Zugang zu den Quellen und Kanälen der Information — und die freie Meinungsäußerung sind Voraussetzung für die freie Meinungsbildung, daher auch vom Gemeinwohl her gefordert. Die schwierige Aufgabe der Journalisten in diesem Prozeß, ihre große Verantwortung, wird mehrmals anerkannt und hervorgehoben.

„Wenn die Instrumente der sozialen Kommunikation den Menschen wirklich dienen sollen, muß vor allem gesehen werden, welchen Anteil der Mensch an ihrem Funktionieren hat…Deshalb müssen die Kommunikatoren und Rezipienten auf diesem Gebiet gut vorbereitet und ausgebildet sein, damit sie die Möglichkeiten der Medien voll ausschöpfen können. Jeder muß sich seiner besonderen Rolle bewußt sein und sich darauf als einzelner und als Glied der Gesellschaft vorbereiten.“ Also nicht nur die Journalisten, die Mitarbeiter von Rundfunk und Film, die „Anwälte und Stimulatoren im Gespräch der Gesellschaft“ müssen über Theorie und Praxis ihrer Berufe Bescheid wissen, sondern auch jeder „Rezipient“, der an diesem Zeitgespräch teilnimmt — vor allem natürlich die Verantwortungsträger in Staat und Gesellschaft. Deswegen widmet das Schreiben der Medienpädagogik breiten Raum, der Förderung und Ausbildung des publizistischen Nachwuchses ebenso wie der Schulung kirchlicher (und weltlicher) Amtsträger im Gebrauch der Medien — etwa um sie mediengerecht vor die Kamera zu bringen. Es fordert aber auch die systematische Medienschulung der Jugend von der Schule weg über die Priesterseminare bis zur Universität, die aufgefordert wird, die Kommunikationsforschung zu intensivieren.

Das Gespräch der Gesellschaft

Aber Wissen um die Notwendigkeit und den Ablauf des Informationsvorganges allein genügt noch nicht. Um dieses Gespräch der Gesellschaft verwirklichen zu können, bedarf es institutionalisierter Kommunikationssysteme in allen ihren Teilbereichen, hier speziell der Kirche. „Da die Entfaltung der öffentlichen Meinung in der Kirche lebensnotwendig ist, muß jeder Gläubige das Recht und die Möglichkeit haben, sich über alles zu informieren, was erforderlich ist, um im Leben der Kirche eine aktive Rolle zu übernehmen.’ Dazu bedarf es einer Vielzahl weitreichender Kommunikationsmittel…“

Um den Informationsfluß zwischen Kirche und Welt, aber auch innerhalb der Kirche zu garantieren, ordnet das Schreiben die Einrichtung diözesaner oder nationaler Zentren für die Massenmedien an, in denen Infrastrukturen die verschiedenen Medien berücksichtigen. Hier soll die innerkirchliche Medienpädagogik konzentriert, für die Erarbeitung von Unterlagen gesorgt werden. Hier wäre auch der Umschlagplatz aller Informationen, die aus den Teilbereichen eingehen, um einer universellen Öffentlichkeit mitgeteilt zu werden. Hier sollte aktive Öffentlichkeitsarbeit betrieben, müßten die Kontakte zu den Gestaltern der Medien gepflogen, müßte die Hilfestellung zur Behandlung kirchlicher Probleme in der Öffentlichkeit geleistet werden. Besondere offizielle Sprecher hätten die Aussagen der Amtskirche zu vermitteln, um damit Kirchenzeitungen oder kirchliche Agenturen vom unzutreffenden Nimbus zu befreien, nur die „offizielle“ Meinung der „Obersten“ verkünden zu dürfen. Auch die kirchlichen Medien haben dem Gespräch zu dienen…

Was hier für die Kirche vorexerziert wird, kann mit geringen Adaptierungen auf jeden anderen gesellschaftlichen Bereich übertragen werden. Voraussetzung 1st das Bewußtsein der Verantwortungsträger, mit Informationen nur zur Bildung von Meinungen beitragen, diese aber nicht manipulieren zu können. Dann müßten in allen Sektoren des Staates, der Wissenschaft, der Kultur, der Politik Kommunikationssysteme aufgebaut werden, über die jedem einzelnen Mitglied des jeweiligen Bereichs und der gesamten Öffentlichkeit die notwendigen Mosaiksteine zur Meinungsbildung geliefert werden können. Die Anerkennung der Öffentlichkeitsarbeit als unerläßliche Notwendigkeit, aber auch als zutiefst journalistische Arbeit, der Ausbau der Pressestellen, die im Pastoralschreiben vorrangig geforderte Medienpädagogik wären dafür die unabdingbaren Vorleistungen.

Auch wenn man Wagners Kommentar nicht ganz folgt, der den Medien selbst ausschließlich vermittelnde Funktion zuerkennt; wenn man also der Presse oder dem Rundfunk im Kräftefeld zwischen Politik, Medien und Bürger auch eigenständige Funktionen und Möglichkeiten einräumt, wird doch das Kernstück des Pastoralschreibens, die Mobilisierung der Rezipienten, auch für den außerkirchlichen Bereich die große Aufgabe bleiben. Nur wenn die Rezipienten — ob als Verantwortungsträger am Startpunkt der Information oder als Bürger — bewußt an diesem Gespräch der Gesellschaft teilnehmen und auch dank ihrer Ausbildung teilnehmen können, nur dann wird es auch den Medien möglich sein, „Gemeinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft zu fördern und weiterzutreiben“ und damit die Demokratisierung der Gesellschaft zu ermöglichen.

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