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Digital In Arbeit

Der Fernsehschirm -eine Super-Lehrkanzel?

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D ie ständige Wissenszunahme stellt den Bildungsbereich vor neuartige Probleme. Schulen und Ausbildungsstätten sollen Schritt halten, sollen die heranwachsende Generation befähigen, die den Menschen abverlangten Qualifikationen zu erwerben.

Uberfüllung der Lehrpläne und Aus-bildungscurricula, Ausdehnung der Ausbildungszeiten, die Forderung nach permanentem Weiterlernen, das sind nur einige Phänomene, die diese Situation kennzeichnen.

So ist es nicht verwunderlich, wenn Bildungsexperten dankbar die Möglichkeiten der Massenmedien und hier insbesondere der elektronischen Medien aufgreifen. Sie scheinen wie geschaffen, mit den Forderungen an Bildung und Ausbildung fertig zu werden und der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit im. Bildungswesen zu entsprechen.

Die Massenmedien können nicht nur Unterhaltung und Information, sondern auch Lerninhalte an eine fast unbegrenzte Vielzahl von Menschen übermitteln. Es ist unerheblich, ob an einem Studienprogramm des Hörfunks oder Fernsehens tausend oder Millionen Menschen teilnehmen. Als Beispiel kann auf die vom ORF ausgestrahlten religiösen Studienprogramme „Wem glauben?" und „Wozu glauben?" verwiesen werden.

Große Teilnehmerzahlert bei Studienprogrammen der Massenmedien werden auch dadurch ermöglicht, daß die Teilnahme unkompliziert ist. Der Lehrer kommt gewissermaßen ins Haus.

Die elektronischen Massenmedien erleichtern die Teilnahme an Bildungsprogrammen ferner dadurch, daß sie besondere Möglichkeiten der akustischen und optischen Veranschaulichung haben. So vermitteln sie Begegnung mit großen Denkern, vergegenwärtigen wichtige Ereignisse, verdeutlichen entscheidende Details, machen durch Zeitraffer und Zeitdehner Entwicklungen sichtbar, sie können ihre Botschaft eindrucksvoll gestalten.

Angesichts der rasanten technischwirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung haben die Medien den Vorzug, daß sie auf aktuelle Herausforderungen schneller und offensichtlich auch besser reagieren können als das konventionell organisierte Bildungs- und Ausbildungssystem.

Diese und weitere Vorzüge lassen die Massenmedien besonders geeignet scheinen, mit der Bildungsproblematik unserer Tage besser fertig zu werden. Das gilt auch für die sogenannte Allgemeinbildung: etwa die Teilnahme an kulturellen Darbietungen, wie Konzert und Oper, Theater und Literatur; für die Teilnahme am politischen Zeitgeschehen, für die Transparenz öffentlicher Kontrolle, Aufklärung über komplexe gesellschaftlich-politische Vorgänge und die dadurch ermöglichte Mitbestimmung und Mitgestaltung,die Verbesserung der Wahrnehmung demokratischer Rechte.

Deshalb ist es naheliegend, daß Bildungspolitiker, Planer und Pädagogen solche Möglichkeiten nicht ungenutzt lassen wollen. Uberall erhalten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten den Auftrag, zur Volksbildung im weitesten Sinne beizutragen; von der allgemeinen Bildung bis zur speziellen Ausbildung, von Einführungen bis in den akademischen Bereich.

Verschiedentlich sind eigene Institutionen geschaffen worden; etwa die Open University in England. In Österreich hat 1969 eine Projektgruppe Massenmedien ihre Arbeit aufgenommen, die Studienprogramme in Hörfunk und Fernsehen zu Themen der Wirtschaft, des Sozial- und Arbeitsrechtes bis zu religiösen Fragen entwickelt.

Neuerdings ist allerdings im Zuge einer allgemeinen Ernüchterung auf dem Bildungssektor auch die Skepsis gegenüber den elektronischen Massenmedien gewachsen. Aus Amerika kommt die Befürchtung von der „Droge im Wohnzimmer" und die Aufforderung „Schafft das Fernsehen ab". Es wäre jedoch falsch, auf die Phase der Euphorie die der Verteufelung folgen zu lassen. Stattdessen ist nüchterne Überlegung und kritische Bestandsaufnahme gefordert. Den Stellenwert der Medien wird man nur in einer kritischen Analyse dessen, was Bildung heute zu sein hat, bestimmen können.

Bildung kann heute weniger denn je als Vielwisserei verstanden werden. Wissensvermittlung als Beitrag zur Bildung - wo und wie auch immer sie betrieben wird - muß aktives Lernen, eigenes Einsehen anstreben. Sie muß, wenn sie nicht, wie der Club of Rome ausführt, das menschliche Dilemma vergrößern will, dem Menschen zeigen, wie man lernt, wie man sich Wissen erwirbt. Lehren, das zum Speichern von Wissensdaten konditioniert, das nicht selbständiges, kritisches Fragen provoziert, verfälscht die Bildungsaufgabe. Es versucht zu überreden, statt zu überzeugen.

Diese Gefahr ist beim Lernen mit Massenmedien nicht gering. Gerade weil sie so bequem zu handhaben sind, erzeugen sie das Bewußtsein, Wissen ohne eigene Anstrengung erwerben zu können. Geschickte didaktische Gestaltung, raffinierte Darstellung und der Gebrauch medialer Gags scheinen kritisches Fragen überflüssig zu machen. Dazu kommt eine eigenartige Autoritätsgläubigkeit gegenüber den Medien, wodurch sie der argumentativen Auseinandersetzung entzogen scheinen.

Es darf auch nicht übersehen werden, daß Bildung heute, im Gegensatz zur schulischen und bildungspolitischen Wirklichkeit, ausdrücklich mit Haltung, Verantwortung und Wertbewußtsein zu tun hat. Je mehr die Verfügungsmöglichkeiten des Menschen wachsen, umso mehr ist seine Verantwortung herausgefordert.

Diese gründet in einem Wertbewußtsein, dessen Fundament in der pluralistischen Gesellschaft fragwürdig geworden zu sein scheint. Das alles bestätigt die Wichtigkeit der Erzichungsauf-gaben sowie die Bedeutung der Sorge um Haltung und Charakter, um Selbständigkeit und Grundsatztreue, um Redlichkeit und Wahrhaftigkeit.

Die Wissensvermittlung durch Massenmedien kann aus dieser Verpflichtung nicht entlassen werden. Allerdings ist hier die Situation der Massenmedien besonders schwierig. Erziehung darf nicht zur Verhaltenkonditionie-rung, zum geheimen Anpassungsdruck und dadurch zum Erzeugen von Opportunismus verkommen. Adalbert Stifter hat gesagt, um unterrichten zu können, müsse man etwas wissen, um erziehen zu können, müsse man jemand sein. Erziehen kann man nur durch Beispiel und Vorbild.

Die Massenmedien sind in Gefahr, ungewollte Vorbilder und Beispiele vorzustellen; sie sind in Gefahr, sich in das Wertbewußtsein der Teilnehmer einzuschleichen und sie von dort unbemerkt zu beherrschen. Der Sog von Idolen und Stars, von modischen Bewegungen und Lebenseinstellungen - wie sie von den Medien verbreitet werden - ist nicht zu übersehen.

Wenn die von ihnen zu leistende Wissensvermittlung zu einer zeitgemäßen Bildung beitragen soll, muß selbständiges Erkennen ausdrücklich gewollt sein. Nicht Wissensdaten, sondern die zu ihnen hinführenden Argumentationsketten sind zu bieten. Einwände und Gegenargumente dürfen nicht verschwiegen werden. Kritisches Fragen darf durch mediales Imponiergehabe, überhebliche Besserwisserei nicht eingeschüchtert werden. Auch das Wissen in den Medien bleibt Stückwerk, verweist auf neue Fragen. Nur so kann die für Bildung maßgebende Aktivität des Geistes gefördert werden, so daß auch hier Urteilsfähigkeit und selbständiges Denken, Fragen, Argumentieren und Antworten das Ziel bleibt.

Auch die Massenmedien können der Forderung nach wertender Stellungnahme und Erziehung nicht ausweichen . Wo man das versucht, da entsteht die Gefahr der Manipulation durch geheime Steuerung des Bewußtseins und des Verhaltens. Da werden Positionen verschleiert und insgeheim Opportunisten gefördert. Die Medien beziehungsweise die in ihnen gestalteten Inhalte haben Beispielcharakter. Die Medienmacher können diese Konsequenz nicht abschütteln. Sie sollten versuchen, ihr gerecht zu werden, damit die Frage des Charakters und der Haltung im Bildungsprozeß nicht verlorengeht und es zur Unbildung verkommt.

Diese Bemerkungen zur Pädagogik der Medien machen die Frage nach ihrer Stellung im sogenannten Medienverbund, im Zusammenwirken mit Formen des direkten Unterrichtsgespräches, nicht überflüssig. Hier ging es uns um die Voraussetzung dafür.

(Der Autor ist Universitätsprofessor Tür theoretische Pädagogik in Wien)

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