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Dem Menschen helfen, seine Freiheit zu nutzen

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Die Diskussion um die Erwachsenenbildung fordert immer mehr die Institutionalisierung des lebenslangen Lernprozesses. Der Leiter des Arbeitsamtes und Pädagogische Referent der Volkshochschule Graz, Hofrat Dr. Aladar Pfniß, umriß vor der elften Sommerakademie für Erwachsenenbildner im Bildungshaus Rief bei Salzburg die Aufgaben und Ziele einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung. Erfaßte sein Referat für die FURCHE zusammen:

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Die Diskussion um die Erwachsenenbildung fordert immer mehr die Institutionalisierung des lebenslangen Lernprozesses. Der Leiter des Arbeitsamtes und Pädagogische Referent der Volkshochschule Graz, Hofrat Dr. Aladar Pfniß, umriß vor der elften Sommerakademie für Erwachsenenbildner im Bildungshaus Rief bei Salzburg die Aufgaben und Ziele einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung. Erfaßte sein Referat für die FURCHE zusammen:

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Wenn seit einigen Jahren - insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland - Bestrebungen im Gange sind, den Begriff „Erwachsenenbildung“ durch den Begriff „Weiterbildung“ zu ersetzen, so muß darin vor allem der Versuch erblickt werden, dem Menschen von heute klarzumachen, daß niemand jemals „ausgelernt“ haben kann. Die durch Wissenschaft und Technik bewirkten ständigen Veränderungen fordern ein ständiges Weiterlernen, eine dauernde Weiterbildung jedes der Schule und der Berufsausbildung entwachsenen Menschen.

Die Ďynamik des heutigen Lebens verlangt von jedem ein hohes Maß an Mobilität Wer weiterkommen will, speziell in beruflicher Hinsicht, muß bereit sein, sich den sich schnell verändernden Umweltverhältnissen anzupassen und den Forderungen des Tages zu entsprechen. Er muß vor allem imstande sein, sich die erforderlichen neuen Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen.

Heute gibt es kaum mehr einen namhaften Politiker oder einen leitenden Wirtschaftsfunktionär, die nicht bereit wären, für Erwachsenenbildung einzutreten. Es dürfte jedoch noch viele Zeitgenossen geben, die von der Richtigkeit der Erkenntnis, daß dauernde Bildung sowohl für die individuelle Entwicklung des Menschen als auch für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in der Welt unerläßlich sei, nicht überzeugt sind. Andernfalls müßten die zur Verwirklichung großangelegter Projekte der Erwachsenenbildung erforderlichen Mittel von den gesetzgebenden Körperschaften längst bewilligt sein. Das aber ist offenbar nicht möglich, weil die Politiker den Auffassungen der breiten Bevölkerungsschichten Rechnung zu tragen haben. Dazu kommt, daß diejenigen, die von der Notwendigkeit des Ausbaues der Erwachsenenbildung überzeugt sind, nicht immer einer Meinung sind, was im einzelnen unter Erwachsenenbildung zu verstehen, in welcher Weise Erwachsenenbildung zu realisieren sei.

Unter Schulung ist ein zeitlich begrenzter Vorgang zu verstehen, durch den einem Menschen bestimmte Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten beigebracht werden. Alle Schulung ist planmäßige Beeinflussung des Menschen im Sinne eines jeweils bereits im voraus feststehenden Programms. Schulung kann sehr wichtig sein, aber Bildung ist mehr.

Unter Bildung hat man dagegen einen in der Kindheit beginnenden und zeitlebens nie endenden geistig-seelischen Prozeß zu verstehen, durch den ein Mensch - ständig an sich arbeitend und sich mit seiner Umwelt auseinandersetzend - innerlich reift und wächst und allmählich zu einer ihm gemäßen Denk- und Lebenweise, zu dem ihm eigenen Lebensstil findet. Bildung erstreckt sich immer auf den gesamten psychischen Bereich des einzelnen Menschen und zielt auf dessen Selbstverwirklichung ab. Man kann also niemandem Bildung „vermitteln“, sondern kann dem bildungswilligen Menschen lediglich helfen, in seinem Bildungsstreben weiterzukommen.

Wir leben heute in einer Welt, die für jeden von uns immer kleiner wird, weil jeder Punkt der Erde rascher denn zuvor von überall her erreichbar ist. Diese Welt wird aber auch deshalb kleiner, weil wir über die verschiedenen Ereignisse in der Welt rascher denn je informiert werden. Hörfunk, Fernsehen und Presse versorgen uns gleichsam stündlich mit neuen Nach- richten.,So nehmen wir - oft unmittelbar - Anteil an vielen Geschehnissen in allen Ländern der Erde. Weil wir unentwegt viel erfahren, ist es wichtig, das in Ton und Bild und Schrift Erfahrene möglichst rasch zu sichten und zu prüfen, um schließlich nur das zu behalten, was wirklich behaltenswert ist. Wir müssen außerdem bemüht sein, Einzelheiten womöglich immer in bezug auf ein größeres Ganzes zu sehen. Nur dann gewinnen wir den richtigen Maßstab zur Beurteilung so mancher Einzelheiten. Eine solche Betrachtungsweise ist vor allem dann erforderlich, wenn es um politische und gesellschaftliche Probleme geht.

Klarheit über die Kräfte der Welt

Wir leben heute in einer pluralistischen Gesellschaft, in der es ein schwach entwickeltes Miteinander, dafür aber ein ausgeprägtes Neben- und Gegeneinander gibt. Die ständig zunehmenden politischen und sozialen Spannungen bewirken letztlich jenes Unbehagen, das an vielen Stellen der Welt zutage tritt und immer mehr Menschen aller Bevölkerungsschichten erfaßt. Diese Gegebenheiten werden das Zusammenleben der Menschen in Zukunft mehr als bisher beeinträchtigen und die Freiheit und Sicherheit des einzelnen gefährden.

In dieser Situation muß sich jeder Mensch, der sein Leben selbst gestalten will, den seine Lebenssphäre bedrohenden Kräften und Mächten ent- gegenstellen. Das tut er dadurch, daß er sich bemüht, Klarheit über die in der heutigen Welt wirkenden Kräfte und Mächte zu gewinnen; daß er versucht, die Stellung des Menschen in der Welt von heute im allgemeinen und seine eigene im besonderen zu präzisieren, daß er bestrebt ist, Einblick in das Wesen des Menschen zu bekommen, um dadurch die Gefahren, denen der Mensch als einzelner und in der Gruppe ausgesetzt ist, kennen- und bezwingen zu lernen. Das tut er schließlich dadurch, daß er versucht, seine individuellen Zielsetzungen mit den ihm von der Gesellschaft auferlegten Pflichten in Einklang zu bringen, soweit diese Pflichten für ihn annehmbar sind, das heißt gegen seine Freiheit und Würde nicht verstoßen.

Eine zeitgemäße Erwachsenenbildung hat nun die Aufgabe, dem Menschen zu helfen, seine Stellung in der Gesellschaft zu erkennen, seine sozialen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, um auch seine persönlichen Möglichkeiten bestens nutzen zu lernen. Sie hat ihm darüber hinaus zu helfen, durch Bildung neue Perspektiven menschlichen Seins zu erkennen, damit er durch sein Tun und Lassen zur Humanisierung dieser Welt beizutragen in der Lage sei.

Fähig werden, die Gruppen zu erkennen

Eingedenk dessen, daß die Menschen verschieden sind, wird eine zeitgemäße Erwachsenenbildung von den jeweils verschiedenen Bedürfnissen, Wünschen und Interessen der Menschen ausgehen müssen und deren oft unterschiedliche Zielsetzungen zu berücksichtigen haben. Aber immer sollte sie bemüht sein, den einzelnen dazu Zu befähigen, auch seine Grenzen kennenzulernen und bereit zu sein, seinen Mitmenschen vorurteilslos zu begegnen. Eine zeitgemäße Erwachsenenbildung sollte ferner dem um Bildung bemühten Menschen helfen, sich seiner geistigen Freiheit bewußt zu werden, sie zu entwickeln und sich ihrer zu bedienen. Denn zeitgemäß handeln bedeutet auch, den Kräften und Mächten, die den Bestand der - oft zeitlos gültigen - Werte einer Zeit gefährden, Widerstand entgegenzusetzen. Eine zeitgemäße Erwachsenenbildung hat dafür zu sorgen, daß die für die jeweilige Berufsweiterbildung notwendige Grundbildung der Weiterzubildenden gegeben sei und die der speziellen beruflichen Weiterbildung adäquate Allgemeinbildung rechtzeitig in die Wege geleitet werde. Sie hat überdies durch umfassende Bildungswerbung und eingehende Bildungsberatung allen Interessenten zu helfen, die ihnen angemessenen Bildungswege zu beschreiten, wobei die formale Bildung und die Entfaltung der schöpferischen Kräfte des Menschen besonders zu berücksichtigen wären. Ihr höchstes Ziel ist jenes individuelle geistig-seelische und sittliche Geformtsein, däs Freiheit und Würde, Leistungswillen, Kritikfähigkeit und Eigenständigkeit mit'einschließt und im Lebensstil eines gebildeten Menschen zum Ausdruck'kommt.

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