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Presse für den Menschen Der Publizist Jesus

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Die Katholische Weltunion der Presse führt im Oktober 1977 in Wien ihren elften Weltkongreß durch. Zum Thema „Eine Presse für den Menschen“ legte Msgr. Franz Willinger den katholischen Journalisten in Österreich einen Fragenkatalog zur Gewissenserforschung vor.

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Die Katholische Weltunion der Presse führt im Oktober 1977 in Wien ihren elften Weltkongreß durch. Zum Thema „Eine Presse für den Menschen“ legte Msgr. Franz Willinger den katholischen Journalisten in Österreich einen Fragenkatalog zur Gewissenserforschung vor.

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Wenn es von Jesus heißt, er sei gekommen „den Menschen zu retten“, wenn Jesus dem „Menschen“ Hoffnung zusprach, Rechte zuerkannte und ihn auf Pflichten hinwies, dann kann der „Mensch“ nicht mehr nur ein Objekt sein, für das Handeln anderer Menschen, speziell der Mächtigen! Und zu den Mächtigen gehören auch alle Zeitungsmacher!

An die Pflicht erinnern

Der „Mensch“ ist vor neuen raffinierten Mächten und Manipulatoren zu schützen und in seiner Entfaltung zu fördern. Sein originales Recht auf Leben, auf menschenwürdige Entfaltung, Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit, auf Bildung, Information, Überzeugungs-Ausdruck und Gewissensfreiheit, auf Forschung und auf einen eigenen Glaubensentwurf über dieses Dasein hinaus, also auch auf Religion, die Sicherung seines Einflusses auf soziales Geschehen und auf politische und wirtschaftliche Entwicklungen, das und manches dazu muß bewußte Grundlage sein für eine Publizistik, die sich christlich nennt.

Es ist aber auch zu fragen, ob solche Publizistik dem „Menschen“ etwa nur schmeicheln darf, mit Hinweis auf und Kampf für seine Rechte? Ob unsere Presse den „Menschen“ nicht auch ständig an seine Pflichten erinnern muß - auch dann, wenn er es nicht mit Dankbarkeit quittiert und solches Verhalten dem Zeitungsgeschäft nicht unbedingt zum Vorteil wird?

Was ist Wahrheit?

Bei der täglichen Arbeit sind dem einzelnen Journalisten und dem Team einer christlich orientierten Zeitung zahlreiche Detaüprobleme zur Meditation und zur Lösung gestellt: Auf wieviel Information etwa hat der Leser ein Recht? Wie steht es mit der Wahrheit? Wenn ich Nachrichten selektio- niere - und ich muß das tun angesichts ihrer Fülle - tue ich es im Sinne des Lesers oder mehr in Richtung eigener oder bezahlter Diplomatie? Wenn ich Privates an die Öffentlichkeit hebe - weil das aus sozialer Verantwortung notwendig erscheinen kann - tue ich es so, daß von mir dabei kein „Mensch“ zertreten wird, weder ein kleiner noch ein großer - denn auch große Missetäter und Sünder sind vor Gott rehabilitierbar!

Immer selbstkritisch

Bin ich als Journalist, sind wir als Zeitungsteam bereit, eigene Fehlhaltungen sehen, korrigieren zu wollen, unter allen Bedingungen fair zu handeln, Gegendarstellungen Raum zu geben aus Respekt vor dem Informationsrecht des Lesers, aus Respekt vor der menschlichen Würde des Lesers? Würden wir das auch in Konfliktfällen tun? Würde ich bei jeder journalistischen Arbeit bereitwillig am Redaktionstisch mir gegenüber den „Leser“ Platz nehmen lassen, offen mit ihm reden, mich von ihm kontrollieren lassen? Kritisches Bewußtsein wird heute groß geschrieben und ist für journalistisches Arbeiten unerläßlich - sind wir uns aber dessen bewußt, daß es von hochgezüchtetem kritischen Bewußtsein zur Unmenschlichkeit hinüber nur eines kleinen Schrittes bedarf? Den man auch als Journalist leicht tut - wenn man nicht zu jeder Stunde auch sehr selbstkritisch ist! Würden wir bei unseren Zeitungen Bereitschaft zeigen, mit Leser-Zu sammenschlüssen zusammenzuarbeiten?

Die Fragen könnten in langer Kolonne weitergeführt werden:

Ist nicht eine Medienpädagogik für breite Leserschichten dringend? Damit wäre keinesfalls eine schulmeisterliche „Erziehung“ der Leser zugunsten der Redaktionen gemeint, eher ein systematisches Einblick-Geben in die Zeitungsarbeit, in die Zeitungswelt, in die dahinter stehenden politischen und finanziellen Mächte und Dirigismen. Wären wir bei unseren Redaktionen und Pressehäusem für eine offene Tür, durch die der Leser aus- und eingehen kann? Müßte nicht die Erwachsenenbildung von uns selbst dahin gedrängt werden, den Leser zu mündigen Entscheidungen zu befähigen: Was verantwortungsbewußte Presse und was Skandalpresse ist, sollte er klar werten, aus dem Überangebot als „Mensch“ richtig wählen können!

Ist nicht auf einem anderen Horizont als im vorigen Jahrhundert die Solidarität des Lesers mit der verantwortungsbewußten, der in seinem eigensten Anliegen wirkenden Presse anzusprechen und herbeizuführen?

Format und Herz

Muß nicht auch einmal gefragt werden, ob nicht gerade wir Katholiken in der Presse eine zu starke Neigung zum Intellektualisieren haben? „Presse muß Format haben!“ Sicher! Die Existenz geistig anspruchsvoller Presse bleibt eine Grundforderung. Übersehen wir aber nicht zu oft, daß der

Mensch mehr ist als nur Intellekt? Daß er auch viel Herz braucht für seine großen und kleinen täglichen Ereignisse rund um ihn, was nicht immer tiefgründig sein kann! Daß er in viel Freizeit hinwächst und deshalb entspannende Unterhaltung und Fröhliches sucht.

Hilft ihm unsere Presse dabei? Hilft sie ihm, diese Welt und deren Streß mit Humor und Hoffnung anzuleuchten? Jammern und unken wir zu viel? Helfen wir ihm, diese Welt sinnvoll zu finden und das moderne Leben auf der Ebene „Mensch“ zu bewältigen? Sprechen wir eine Sprache, die den durchschnittlichen Leser „abholt“?

Mit Hirten und Bauern

Sollte uns nicht der Publizist Jesus ein Ideal sein: in Galiläa redete er mit Hirten, Bauern und Arbeitern von ihren Dingen und Ereignissen so konkret, daß daraus lebensaufhellende Gleichnisse und Erkenntnisse entstanden, für jedermann faßbar, heute noch unausschöpfbar! Er entwickelte kein Fach-Chinesisch, konnte aber mit Schriftgelehrten messerscharf diskutieren. Hier stand ein Publizist, der für seine Kommunikation mit den Massen jedes Register ziehen, der jede Menschenschichte „abholen“ konnte. Sein Kommunikationsfeld waren Straßen, Plätze, grüne Wiesen, Arbeitsstätten, Restaurants von damals und Gebetshäuser. Nur Dimensionen, Quantität und maschinell-elektronische Perfektion sind in unseren Kommunikationsräumen anders. Haben wir die menschennahe Art des Publizisten Jesus? Beseelt uns seine Sorge um den „Menschen“? Haben wir sein Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen genügend studiert, und vielleicht dann einiges bei unserem Umgang mit dem Leser „Mensch“ zu adaptieren versucht?

Wir müssen Psychologie studieren und Menschenbehandlung mühsam und mit vielen Schnitzern lernen. Was wir aber jederzeit und auf alle Fälle vom Publizisten Jesus kopieren dürfen, das ist seine Sorge um den Menschen, seine aus Liebe immer offene und ehrliche Redeweise, sein Respekt vor der Freiheit und Würde des Menschen.

Vielleicht ist es nicht sinnlos, wenn wir gelegentlich auch zu den Evangelien greifen und uns fragen: Lebt in unserer Kommunikations-Ethik etwas von der Art des Publizisten Jesus? Darüber zu meditieren, sich hier zu orientieren, wäre lohnend.

Gemeinsame Ideale

Was ist heute für die Presse „katholischer“ als dies: In einer sich einigenden und doch zerklüfteten Welt im Sinne Jesu die Stimme für die Würde und Freiheit des Menschen zu erheben, diese Werte unermüdlich zu interpretieren, sie im eigenen Arbeiten mit dem Leser zu praktizieren, also auf dem Felde der Massenkommunikation. Nur eine Minderheit von etwa 30 Staaten mit echter Demokratie gibt der Presse für solche Versuche noch grünes Licht; fast alle anderen machen Journalisten und Zeitungen zu Instrumenten ihrer Ideologien, nützen sie zur Beherrschung des Menschen.

Wenn wir „eine Presse für den Menschen“ anstreben, können wir weithin auch konform mit jenen Kollegen gehen, die aus humanen oder demokratischen Überlegungen im weltweiten Vorgang der Massenkommunikation tätig sind. Gemeinsam mit ihnen können Ideale lebendig erhalten und in die Zukunft getragen werden, die für die Existenz von Menschenwürde und Freiheit eine wichtige Voraussetzung sind. Auch innerhalb unserer eigenen Demokratien ist darauf zu achten, daß die Presse „für den Menschen“ nicht durch neue Gewalten-Träger erdrückt wird.

„Eine Presse für den Menschen“ zu verwirklichen, wird eine harte Arbeit und Aufgabe bleiben. Sie wird aber unsere Chance sein - ideell vom Redaktionstisch her, möglicherweise auch wirtschaftlich vom Verleger her. Eine Presse für den Menschen, wie wir sie anstreben, müßte in der Massenkommunikation der Welt von heute

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