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Digital In Arbeit

Schreibsklaven oder Lohnschreiber?

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„Meine Tochter hat in Deutsch mit Sehr gut maturiert. Ich glaube, sie wäre eine gute Journalistin.“ So oder ähnlich beginnen heute die meisten Gespräche über mögliche Berufskarrieren M in einer Profession, die gemäß dem ziemlich übereinstimmenden Ergebnis inner- und außerösterreichischer Umfragen von der Be^-völkerung ansehensmäßig nach Universitätsprofessoren, Ärzten und Politikern, aber noch vor Beamten, Offizieren und Geschäftsleuten eingestuft wird. Das ist ein schlechter Start für eine Karriere. Denn natürlich sollte es mit der Sprache stimmen. Und natürlich wissen wir, bei wie vielen Journalisten es damit nicht stimmt, was unsere Argumentationsposition schwächt. Aber ebenso unbestritten sollte es sein, daß die Sprache als Ausdrucksmittel journalistischer Berufsarbeit nur eine von einer größeren Zahl unverzichtbarer Voraussetzungen ist und immer nur Mittel zum Ziel, nicht das Ziel selbst.

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„Meine Tochter hat in Deutsch mit Sehr gut maturiert. Ich glaube, sie wäre eine gute Journalistin.“ So oder ähnlich beginnen heute die meisten Gespräche über mögliche Berufskarrieren M in einer Profession, die gemäß dem ziemlich übereinstimmenden Ergebnis inner- und außerösterreichischer Umfragen von der Be^-völkerung ansehensmäßig nach Universitätsprofessoren, Ärzten und Politikern, aber noch vor Beamten, Offizieren und Geschäftsleuten eingestuft wird. Das ist ein schlechter Start für eine Karriere. Denn natürlich sollte es mit der Sprache stimmen. Und natürlich wissen wir, bei wie vielen Journalisten es damit nicht stimmt, was unsere Argumentationsposition schwächt. Aber ebenso unbestritten sollte es sein, daß die Sprache als Ausdrucksmittel journalistischer Berufsarbeit nur eine von einer größeren Zahl unverzichtbarer Voraussetzungen ist und immer nur Mittel zum Ziel, nicht das Ziel selbst.

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Die Ziert, in der Friedrich Funder sein bereits bis zur Weihereife gediehenes Theologiestudium abbrach, um Journalist zu werden, ließ die Überlegung, man könne mit einer guten Sprachbeherrschung vielleicht auch Journalistisches anlangen, wohl nie aufkommen. In seinem ersten Memoirenband „Vom Gestern ins Heute“ schilderte er 60 Jahre nach dem Linzer Katholikentag von 1892, wiie dieser für ihn zum „lebensgestaltenden großen Ereignis“ geworden sei und ihn von der Notwendigkeit einer „Wiederverchristlichung der liberalen bürgerlichen Welt durch Mittel der Massenaufklärung“ überzeugt habe. Daß ein priesterlicher Freund, als er dessen Zimmer betrat, mit ausgestreckten Armen und dem Ausruf „Sie sind es! Sie müssen Journalist werden!“ auf ihn zuging, ließ Funder vollends nicht mehr an der göttlichen Berufung zweifeln.

Keine Frage auch, daß sozialdemokratische und bis zu einem gewissen Grad (weil es für sie ja nicht mehr die Gründerzeit war) auch liberale Journalisten jener Tage von ähnlich hehren Inspirationen beseelt waren. Informations- oder Meinungsjournalismus, Kommerz- oder Gesinnungspresse waren damals keine Alternativpaarungen. Man war Journalist, weil man kämpfen wollte.

Man mag dieser Zeit nachtrauern. Das ruft sie nicht wieder herbei. Man muß auch die Nachteile sehen, die sich aus solcher Berufsauffassung ergaben; Journalisten wurden zu Dienern derer, die den Kampf auf dem eigentlichen politischen Parkett führten. Bs wird immer zu den unvergeßlichen Persönlichkeitsleistungen Friedrich Funders zählen, daß er in dieser Kampfgenossenschaft mit den Politikerin niemals die eigene, selbständig formulierte und vertretene Position preisgab, niemals nur Schreibsklave und Lohnschreiber einer Partei oder auch der Kirche war. 1

Nicht allen „Gesinnungsjournalisten“ ist das immer gelungen. Ihre Herren und Auftraggeber gewöhnten sich an die Verfügbarkeit ihrer journalistischen Untertanen. So konnte Rudolf Antoni erst kürzlich einmal klagen: „Noch immer gleicht das Image des Journalisten, gleichgültig ob er nun dm ORF oder in der Presse tätig ist, verzweifelt dem des Haushundes, der seinen Herrn zu schützen, Eindringlinge zu verbellen und sie womöglich in die Waden zu zwik-ken hat. Das gilt uneingeschränkt für solche, die ihre Knochen von abhängigen wie von unabhängigen Blättern erhalten.“

Es gilt glücklicherweise weder für die einen noch für die anderen ganz uneingeschränkt. Aber wahr ist, daß der Journalist sich in einem Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten und Bedingtheiten zu bewahren und zu bewähren bat und jeder Versuch, „unabhängige“ gegen „abhängige“ Journalisten auszuspielen, Hochmut oder Täuschung oder Selbstbetrug wäre. Jedes elektronische Medium-und jede Zeitung haben einen Intendanten oder Herausgeber, der die Generallinie angibt. In jeder Redaktion gibt es hierarchisch und funktionell bedingte Abhängigkeiten. Redaktionsstatute vermehren, nicht verringern diese. Persönliche Bedingtheiten, Freundschaften mit jenen, die einem Informationen zustecken und über die man informieren soll, aber auch kollegiale Ko-operations- und Imitationseinheiten, ja selbst der Meinungsbildungsprozeß in Redaktionskonferenzen konditioniert. Inserenten wollen dann und wann zu einem Recht kommen, das ihnen nicht zusteht. Und die Leser, Hörer und Zuseher. Sie nicht zuletzt. Es ist erstaunlich, daß die Einfügung des Publikums in das Inter-dependenzmodell von Auftraggeber und Journalist durch Jürgen Habermas diesem wissenschaftliche Ehren eintragen konnte.

Daß Journalisten vom Publikum abhängig sind, haben wir immer gewußt. Der Herausgeber, der den Auftrag erteilt, eine Zeitung mit Maximalauflage zu machen und auf den Inhalt nicht den geringsten Einfluß nimmt, erteilt die engstmögliche Marschroute, schränkt die journalistische Entscheidungsfreiheit am weitesten ein. Naturgemäß gibt es keine noch so intellektuell konzipierte Zeitung, die nicht gerne mehr Leser hätte. Und es gibt kein sich noch so sehr im Regelfall in den Leserwind hängendes Massenblatt, das nicht gelegentlich einmal auch gegen die Mehrheit schreibt. Aber für eine im harten Konkurrenzkampf liegende Massenzeitung kann die Frage, wieweit die Konzessionsbereitschaft den Lesern gegenüber gehen muß, zu einem vielschichtigen Gewissensund Existenzproblem werden.

Freilich: Relativiert wird das Dilemma einerseits durch die Tatsache, daß man meistens nur glaubt, zu wissen, was „der“ Leiser wünscht. Und auf der anderen Seite muß sich der gewissenhafte Journalist ernsthaft fragen, ob seine eigenen Urteils- und Wertmaßstäbe wirklich die richtigen sind und wie weit sein Recht oder gar die Pflicht geht, diese auch seinem Publikum als Maßstab zu verordnen.

Damit kommen wir, wovon es nur scheinbar eine Abschweifung gegeben hat, zum Berufsbild des Journalisten zurück. Ist der Journalist in erster Linie Kommentator, Urteilshelfer, Kämpfer? Oder ist er vor allem Informant, Vermittler von „Objektivität“ und, großes Wort, von Wahrheit gar? Ist er, wie es Bernd Aswerus verlangt hat, im Zeitgespräch der Gesellschaft Mittler, ehrlicher Makler, Moderator, Gesprächsleiter und nur in zweiter, dritter, vierter Linie auch Gesprächsteibieh-mer, Diskutant?

In zunehmendem Maß scheint sich die Antwort zugunsten dieser neueren Sicht des Berufsauftrags zu neigen. Freilich gibt es dazu noch viel zu wenige Untersuchungen. Aber die vom Salzburger Fublizristikwissen-schafter Hans Heinz Fabris 1969 unter den Redakteuren dreier Salzburger Tageszeitungen angestellte Fallstudie dürfte vom gesamtösterreichischen Durchschnitt nicht allzu weit abliegen. In der Reihenfolge der Beruf saufgaben ergab sich ein klarer Vorsprung der „Information“ vor der „Meinungsbildung“, der „Unterhaltung“ und der „Lebenshilfe“.

Aber so sehr man diesem journalistischen Selbstverstäindnis eine prinzipielle Berechtigung zubilligen mag, so fragwürdig wird die Personalisierung dieser Kategorien. 93 Prozent der teilnehmenden Journalisten (30 von 36 befragten) sahen sich vor allem als „objektive Berichterstatter“, nur 27 Prozent als „Erzieher der Leser“.

Daran gefällt die Demut, was die Erzieherfunktion betrifft. Mißfallen muß der Objektivdtäts-Fetischismus. Was ist Wahrheit, hier und heute? Nicht im Theologischen, sondern beim Verkehrsunfall, dm Parlamentsbericht, in der Klatschspalte? Tausend Subjektivitäten fließen in den trockensten Sachbericht ein — und der soll dann „objektiv“ sein?

Gewiß, man soll auch bei der Selbstbezichtigung die Grenzen wahren und dem Publikum nicht in masochistischer Selbstkritik das Vertrauen in das ehrliche Bemühen der großen Mehrheit der Journalisten rauben. Aber der Medienkonsument muß wissen, daß vom Meddenprodu-zenten in aller Redlichkeit nicht letzte Objektivität, sondern nur Ausgewogenheit der Darstellung, nicht „Wahrheit“, sondern — wie es dankenswerterweise auch Kardinal König schon vor Jahren formuliert hat — subjektive „Wahrhaftigkeit“ zu erwarten sind.

Was also ist dann der Journalist? Ein Scharlatan, der vorgibt, von allem etwas zu verstehen, aber in Wirklichkeit von nichts eine Ahnung hat? Die Vermutung klingt immer wieder durch, wenn man halb bewundernd, halb zweifelnd gefragt wird, wie man denn täglich unter Zeitdruek etwas über ein Fachgebiet schreiben könne, worin man nicht dm eigentlichen Wortsinn Fachmann sei.

Die Antwort ist theoretisch einfach: Der Journalist (in diesem Punkt übrigens dem Politiker nah verwandt) muß in der Lage sein, Fachleuten der verschiedensten Sachgebiete intelligent zuzuhören, in deren Aussage das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und dann das Wesentliche in allgemein verständlicher Sprache wiederzugeben. Knapper, trefflicher hat es der Politikwissenschafter Anton Pelinka formuliert: „Publizisten sind Fachleute für aktuelle Vereinfachung“. Glanz und Glorie, Schatten und Kümmernisse des Berufes sind damit markiert. Auch die Weichstellen: Können wir alle intelligent zuhören? Und das Wesentliche vom Unwesentlichen scheiden? Und das Wesentliche allgemeinverständlich ...?

Genug der Selbstkritik. Die Schlußfolgerungen liegen auf der Hand. Eine solide Allgemeinbildung, vermehrtes Wissen auf einem bestimmten Gebiet, die Aneignung des Erlernbaren am Journalistenberuf (denn die Phrase vom bloßen Angeborensein ist gleichfalls Holler), kurz: mehr Vor- und Weiterbdidung, der Abbau der „wechselseitigen Be-rührungsaingst“ (Fabris) von Medien-wissenschaftem und Medienpraktikern — all das sollte endlich nicht nur gepredigt, sondern auch dn der Praxis verfolgt werden.

Dann käme man drauf, wieviel auch das sensationellste Naturtalent von der Wissenschaft noch Brauchbares dazulernen kann. Unter anderem nämlich die Erkenntnis von den Grenzen der Wirkfcraft des journalistischen Wortes. Und dann käme man drauf, wie sehr auch das ausgeklügeltste wissenschaftliche Mas-senkomimunikationsmodell noch immer von der Wirklichkeit abweicht. Weil neben dem Wissen auch heute und morgen die Gesinnung zählt und zählen wird.

Womit wir am Ende wieder näher, als es zunächst schien, bei Friedrich Funder, dem Unvergessenen, uns angesiedelt hätten.

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