Versuch, in der Wahrheit zu schreiben

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Versuch, in der Wahrheit zu schreibenAnmerkungen zur Ethik der Medien.

Der Satz von der Wahrheit, die stets das erste Opfer des Krieges sei, kommt einem auch diesmal wieder unweigerlich in den Sinn. Seit Kriege Medienereignisse sind, ist Medienkritik notwendigerweise konstitutiver Bestandteil der publizistischen Verarbeitung des Kriegsgeschehens.

Doch die Frage nach Wahrheit und Lüge im öffentlichen Raum, der ja nicht anders denn medial vermittelt existiert, stellt sich nicht nur in Zeiten des Krieges. Sie rührt an Grundfragen der Demokratie als Basis unseres alltäglichen Zusammenlebens.

I.

"Denn in der Geschichte ist nicht nur der Erfolg entscheidend, sondern der Geist, aus dem heraus gehandelt wird." Der Satz mutet seltsam antiquiert an - in einer Zeit, in der doch nur der Erfolg zu zählen scheint. In der Tat: Die Worte sind schon etwas angegraut. Sie wurden vor über 50 Jahren geschrieben - von der im März 2002 verstorbenen Zeit-Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff. Herbert Riehl-Heyse hat dieses Zitat an den Schluss seines Nachrufs auf Dönhoff in der Süddeutschen Zeitung gestellt und noch hinzugefügt: "Ein Satz, wie er gut auch über den Schreibtischen von Journalisten hängen könnte." Dönhoff schrieb damals über das missglückte Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944, dessen Protagonisten sie nahestand, und meinte, trotz des Scheiterns der Aktion sei diese bedeutsam gewesen - eben weil es nicht nur um Erfolg, sondern auch und vor allem um die menschlichem Handeln zugrundeliegenden Prinzipien gehe.

Nochmals: Heute, hat man bisweilen den Eindruck, ist es umgekehrt - nach den Prinzipien, dem "Geist, aus dem heraus gehandelt wird", fragt doch schon längst niemand mehr. Ökonomische Zwänge verschärfen sich, Redaktionen sollen schlanker werden ... Wie sieht es vor diesem Hintergrund mit ethischen Spielräumen aus?

II.

"Zur Lüge verdammt?": In einem Buch mit diesem Titel hat sich der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff mit der Wahrheitsfrage in verschiedenen Bereichen, darunter auch den Medien, auseinandergesetzt. Sind Journalisten also "zur Lüge verdammt"? Schockenhoff verneint dies. Aber er sieht deutlich die Ambivalenz dieses Berufs. Er zeigt den Zusammenhang zwischen Medien und funktionierender Öffentlichkeit auf, verweist aber auch auf die vielfältigen Gefahren der Manipulation.

Zum Wesen der modernen Demokratie gehöre, so Schockenhoff, die Verschränkung von Medien und Politik. Wer wollte das bestreiten: Politik findet via Medien statt - oder sie findet eben nicht statt. Was sich abseits der Mikrofone und Kameras ereignet, ereignet sich entweder doch nicht ganz abseits - man kennt Exklusivberichte von Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, Klausuren, deren Orte eigentlich als "streng geheim" galten u. ä. -, oder aber es entwickelt sich durch den absoluten Ausschluss der Öffentlichkeit eine Eigendynamik der Spekulationen und Gerüchte, auf welche die Politik dann erst wieder via Medien reagieren muss. Nicht alles dringt an die Öffentlichkeit, das ist klar. Selten sogar erfährt man "die ganze Wahrheit". Aber genau daraus bezieht das Spiel ja seinen Reiz: aus dem Jonglieren zwischen Veröffentlichung und Geheimhaltung, an dem beide Seiten, Medien wie Politik, beteiligt sind. Dazu gehört auch, dass sich wohl kaum etwas von Relevanz restlos verbergen lässt. Oft "bricht" gerade dann "etwas aus", wenn es den politischen Eliten am wenigsten passt. Dies gilt nicht nur für das tagespolitische Geschäft, sondern auch - siehe etwa BeneÇs-Dekrete - für größere Zusammenhänge.

Das Ineinander von Politik und Medien bedeutet, dass Politik immer auch Polit-Inszenierung ist. Man darf hier etwa an Kanzler Klima in Boxhandschuhen auf einem Magazincover, in Gummistiefeln vor laufenden Kameras beim Hochwassereinsatz, an Regierungswallfahrt und -wanderungen erinnern. Die äußerste Übertreibung dieser Entwicklung markierte die schillernde Figur des Polit-Entertainers, wie sie in den letzten Jahren verschiedentlich quer durch Europa für Furore gesorgt und in Jörg Haider ihre erfolgreichste Ausformung erfahren hatte, derzeit aber etwas ins Hintertreffen geraten zu sein scheint.

III.

Das Problem, um das es hier geht, liegt freilich noch tiefer, es hat mit dem Wesen des Journalismus an sich zu tun. Eberhard Schockenhoff zitiert in seinem Buch Emil Dovifat (1890-1969), den Begründer der wissenschaftlichen Publizistik in Deutschland: "Die Nachricht trägt in all ihren Formen meinungsbildende Kräfte in sich. Das liegt in ihrer Natur und ist nicht auszuschalten. Indem also die Zeitung jüngstes Gegenwartsgeschehen in ihren Nachrichten übermittelt, ist auch sie subjektiv. Wer diese Subjektivität der Zeitung leugnet, leugnet die Zeitung selbst." Das wurde 1937 geschrieben - zu einer Zeit also, die keine gute war, auch wenn sie heute schon zur alten zählt, zu einer Zeit, da Polittainment bzw. Infotainment noch Fremdworte waren. Hier wird uns das Grunddilemma der Medien deutlich vor Augen geführt: Es gibt keine Objektivität, Journalismus ist und war immer, so könnte man Dovifat folgend sagen, Zuspitzung und Verkürzung. Dem Metier als solchem ist der Hang zum Boulevard, zur Masse, zur Unterhaltung, ja - zum Schielen nach der Quote inhärent.

IV.

Wir sollten also vorsichtig sein, wenn wir von Ethik im Journalismus u.ä. reden. Dennoch sind ethische Maßstäbe unverzichtbar, auch wenn es schwieriger geworden sein mag, sie zu benennen. Vielleicht ließen sich folgende Leitlinien formulieren:

* "Schreiben ist Handeln": Dieses Wort Sartres zitierte der Schriftsteller Siegfried Lenz in seinem Nachruf auf Marion Dönhoff in der FAZ. Auch das sollte bei Journalisten über dem Schreibtisch hängen - als Erinnerung daran, dass das gedruckte (oder gesendete) Wort vieles bewirken kann. Der Sartre-Satz hat etwas Aufklärerisch-Ermutigendes an sich, aber er muss auch als Mahnung zum verantworteten Umgang mit der Sprache gelesen werden.

* "Eine der gefährlichsten Illusionen ist die von der Machtlosigkeit des einzelnen", sagte der frühere ORF-Hörfunkintendant Manfred Jochum einmal. Die Versuchung, sich hinter der Redaktion zu verstecken, mag groß sein - aus Bequemlichkeit, Resignation ... "Gefährlich" ist es allemal: Weil so die Macht den Technokraten und Skrupellosen bleibt.

* "Die Bilder lügen immer": So hat Otto Friedrich in dieser Zeitung einen Leitartikel zum Thema "Krieg und Medien" aus Anlass des Afghanistan-Feldzugs übertitelt. Skepsis ist eine journalistische Tugend. Man mag von Peter Handkes vieldiskutierten, umstrittenen Reiseberichten aus Serbien halten, was man will; eines haben wir von ihm lernen müssen: den Bildern zu misstrauen, die Eindeutigkeit zu hinterfragen, die Möglichkeit der Manipulation mitzudenken - und damit die Möglichkeit, es könnte auch ein wenig anders gewesen sein.

* Von Fritz Csoklich konnte man bei der Kleinen Zeitung lernen, dass Journalismus eine tägliche Gratwanderung zwischen Masse und Qualität ist, von der man im Vorhinein nicht weiß, ob sie gelingt - die Abgründe lauern auf beiden Seiten. Diese Einsicht müsste wohl auch zu so etwas wie einer journalistischen Demut führen: Es geht, um Václav Havel zu paraphrasieren, um den Versuch, in der Wahrheit zu schreiben und zu senden. Nicht mehr - aber auch nicht weniger.

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