Lügenpresse - © Foto: Boris Roessler / dpa / picturedesk.com

Mythen und Medien: Die verachtete Wirklichkeit

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Wie Mythen und Medien zusammenhängen – und warum wir der Ignoranz gegenüber faktenbasierten Darstellungen entgegenarbeiten müssen.

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Wie Mythen und Medien zusammenhängen – und warum wir der Ignoranz gegenüber faktenbasierten Darstellungen entgegenarbeiten müssen.

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Mythen sind eng mit Medien verknüpft. Mit dem Ausdruck „vom Mythos zum Logos“ bezeichnen wir den Übergang von der mythischen, also sagenhaft-erzählenden, zur rationalen Erklärung der Welt. Dieser Wechsel fällt mit dem Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Kultur zusammen. Die Medienphilosophie vertritt die These, dass die Entstehung des nachvollziehbaren, vernünftigen Argumentierens abhängig von der Schriftkultur mit ihren Buchstaben, Schriftrollen und Pergamenten war: Ein kompliziertes Geflecht aus Argumenten braucht Schrift und Papier, in der Mündlichkeit greift man gewöhnlich auf Erzählungen zurück. Sokrates hat, soweit wir wissen, mündlich diskutiert, Platon hat dann Dialoge geschrieben (und Sokrates dabei als Figur auftreten lassen) und zugleich gegen die Schrift polemisiert. Aristoteles hat dann schließlich philosophische Aufsätze verfasst.

Die Art und Weise, wie wir uns die Welt erklären, ist also immer auch abhängig davon, welche Medien wir zur Verfügung haben. Zwei weitere Beispiele: Der Übergang von der Manuskriptkultur zur Buchdruckkultur ist mit dem Aufstieg der wissenschaftlichen Erkenntnis in der Renaissance verbunden. Und der Übergang von der Schriftkultur zur audiovisuellen Kultur mit den elektronischen Medien am Anfang des 20. Jahrhunderts ermöglicht massenhafte zeitgleiche Erfahrung. Alle wissen im Grunde das gleiche, weil sie alle die gleichen TV-Programme sehen. Mit der Erfindung von Privat- und Kabelfernsehen beginnt sich auch das aber schon aufzulösen. Wie wir uns also die Welt erklären und was wir wissen, ist abhängig von den Medien, die wir dazu nutzen können.

Suspekte Schrift – schon bei Platon

Nun stecken wir mitten im Übergang von der analogen elektronischen Presse- und Fernsehwelt hin zur digital vernetzten Medienkultur des Internets. Welche Welterklärung legt das Internet als Multimedium, das alle Medien in sich birgt, also nahe?

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der heutigen Unübersichtlichkeit der Medien und der heutigen Unübersichtlichkeit der Welt. Worin liegt diese aktuelle Unübersichtlichkeit der Medien des Internetzeitalters begründet? Nun, schon die Schrift kann einem suspekt vorkommen. Platon etwa formuliert in seiner Schriftkritik den Gedanken, dass die Schrift das Gedächtnis schwäche und Weisheit gar nicht schriftlich zu vermitteln sei. Die Druckerpresse mit beweglichen Lettern führte zum Kontrollverlust über das, was veröffentlicht wurde. Kirche und Staat reagierten mit einem ausgefeilten Zensurwesen. Medien als solche – in ihrem jeweiligen Potenzial – sind also beteiligt an Veränderung, Revolution, Machterhalt, Bildung, und Herrschaft. Und im Zeitalter des Internets wird uns schließlich bewusst, dass nicht nur Medien wie das Fernsehen oder die Boulevard-Zeitung unser Bild von der Wirklichkeit verändern (das wissen wir schon ziemlich lange), sondern Medien überhaupt sich einmischen, wenn Menschen sich die Welt erklären wollen.

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