Zeitungen - © APA / Pfarrhofer

Die Zukunft der Zeitung

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Weshalb die Rede vom Untergang der Printmedien gefährlich ist. - Eine Zusammenfassung der Ideen, die Bernhard Pörksen dieser Tage bei einer Tagung des Verbandes Österreichischer Zeitungen vorgetragen hat.

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Weshalb die Rede vom Untergang der Printmedien gefährlich ist. - Eine Zusammenfassung der Ideen, die Bernhard Pörksen dieser Tage bei einer Tagung des Verbandes Österreichischer Zeitungen vorgetragen hat.

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Vor ein paar Jahren hat der amerikanische Journalistik-Professor Philipp Meyer - noch bevor das Internet zum Echtzeit- und Universal-Medium wurde - ein Buch mit dem Titel The Vanishing Newspaper veröffentlicht. Es handelt sich um einen melancholischen Abgesang: Anfang 2043 findet sich ein letztes Mal die gedruckte Zeitung in den Briefkästen, denn in den ersten Monaten des Jahres 2043 stirbt die Tageszeitung.

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Natürlich weiß man, dass Prognosen nicht immer eintreffen, aber seitdem überbieten sich Journalisten, Blogger und Medienwissenschaftler in euphorisch-brüllenden Prophezeiungen, wann die letzte Zeitung gedruckt wird. Seitdem regiert eine Lust an der Apokalypse, die das Medium der Zeitung vorschnell verloren gibt. Seitdem liest man, das Jahrhundert des Journalismus sei zu Ende. Der Printmarkt wird als "Dead Tree Industry“ verspottet.

Natürlich, so muss man hinzufügen, gibt es eine schleichende, ökonomisch begründete Krise des Gedruckten. Es ist alles andere als klar, wie das klassische Geschäftsmodell des Printjournalismus zukünftig aussehen wird. Weil lukrative Anzeigen ins Netz abwandern, weil Konjunkturzyklen auf die Erlöse durchschlagen. Und weil die endgültige Antwort auf die 1-Million-Euro Frage der professionellen Publizistik noch nicht gefunden ist: Wie lässt sich Qualität refinanzieren? Wie schafft man einen Ausgleich zwischen ökonomischem Erfolg und publizistischen Idealen? Wie löst man die Spannung zwischen ökonomischen Kalkül und Sozialverantwortung, die den redaktionellen Journalismus regiert, sich aber dramatisch verschärft?

Die selbsterfüllende Prophezeiung

Deutsche Tageszeitungen haben in den letzten zehn Jahren etwa fünf Millionen Käufer verloren, diverse Magazine sind verschwunden oder ächzen unter der Anzeigenflaute. Luxuriöse Spielwiesen sind planiert. Es fehlt in vielen Redaktionen an Geld für investigative Geschichten und aufwändige Recherchen. Einzelne Medienhäuser stellen ihre Volontärsausbildung ein, Volontäre erhalten keine Anschlussverträge mehr. Nur noch die Hälfte aller freien Journalisten, eine besonders gebeutelte Gruppe, kann laut Schätzungen von ihrem Einkommen leben. Die Folge: Es entsteht ein Prekariat, das sich von Job zu Job hangelt. Diese Prekariatsangehörigen sind auf die Querfinanzierung des Berufs und der Berufung angewiesen und sehen sich in die Situation des armen Poeten abgedrängt: Sie verfolgen eine Leidenschaft, von der es sich nur noch mehr schlecht als recht leben lässt. Manche Arbeits-ämter raten vom Beruf Printjournalist ab. Als Traumjob gilt vielen die Tätigkeit in der Werbung oder in einer PR-Agentur.

Und doch ist die penetrant vorgetragene Rede vom Untergang der Printmedien auf fatale Weise falsch und letztlich gefährlich. Sie kann sich nämlich in eine selbst erfüllende Prophezeiung verwandeln: Irgendwann sind die Zeitungen vielleicht am Ende, womöglich einfach deshalb, weil man sie mit einer solchen Energie ins Grab geredet hat. Das bedeutet in der Konsequenz: Man darf die Debatte über das Wesen und den Wert des Gedruckten nicht allein den so selbstbewusst formulierenden Apokalyptikern überlassen. Es gilt, sie breiter zu führen, sie aus der ökonomischen Umklammerung zu befreien, weil ein wacher, ein aufwändig recherchierter Printjournalismus, der orientiert und inspiriert, der kritisiert und kontrolliert, offensiv verteidigt werden muss.

Warum die Zeitung bedeutsam ist

Gewiss, es gibt Publizisten, die genau dies tun. Der amerikanische Autor Eric Altermann hat 2008 im Intellektuellen-Magazin New Yorker den Zeitungsjournalismus fulminant als Basis des informierten Urteils in demokratischen Gesellschaften präsentiert. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel beschrieb 2009 die Printmedien als Instrumente des vielschichtigen Diskurses über Fragen von öffentlicher Relevanz. "Die gedruckte Zeitung“, so ihre Formel, "ist ein episches Medium“ - ein Ort für Erzählungen aus der Wirklichkeit, ein Instrument der Orientierung, das in Zeiten hektischer Dauerkommunikation unabdingbar sei. Der Philosoph Jürgen Habermas hat vor Jahren vorgeschlagen, über die öffentliche Alimentierung von Qualitätsblättern nachzudenken: unabhängiger Journalismus durch massive Subvention. Es ist aber mehr als fraglich, ob man das wollen soll.

Was auch immer man von solchen Ideen hält, faktisch sind derartige Einsprüche und Essays noch viel zu selten; man muss sie mühsam suchen. Noch fehlt die sich lautstark und wirksam artikulierende Lobby des Zeitungsjournalismus, die Intervention der kulturellen Intelligenz, der Verleger, Publizisten und Wissenschaftler, die sich für kulturelles Kapital begeistern können.

Die Bewusstseinsbildung für den Wert des Gedruckten findet im Moment seiner größten Krise nicht ausreichend statt. Eine offensive Debatte lässt sich nicht erkennen. Viel eher regieren die Lust an der Apokalypse und ein modernisierungshungriger Opportunismus, der das Medium des Gedruckten vorschnell verloren gibt.

Man kann es nur wiederholen: Der selbstreflexive Negativismus der Zeitungsbranche hat ein Ausmaß erreicht, das die Stimmung vergiftet - und bei aller berechtigten Krisenrhetorik doch vergessen lässt: Journalismus ist nach wie vor ein wunderbarer Beruf, den man allerdings auch kaputt reden kann. Und gerade jetzt, in diesem besonderen geschichtlichen Moment gilt es, das Gespräch über die Zukunft der Zeitung anzetteln, weil mehr auf dem Spiel steht, geht es doch um die Bedeutung und den Wert unabhängiger Gesellschaftsbeobachtung insgesamt. Gewiss ist dies keine einfache Gleichung - nach dem Motto: zuerst die Zeitungskrise, dann das Ende des Journalismus, schließlich der Niedergang der Demokratie.

Aber noch gibt es - jenseits der leichtfertig verachteten Printmedien - kein publizistisches Forum, das in ähnlicher Weise Themen von allgemeiner Relevanz auf die Agenda zu setzen vermag, sie professionell auszuwählen und publikumsgerecht zu arrangieren verstünde. Schon der Prozess und die Besonderheiten der Produktion einer Zeitung erzwingen ein eigenes Zeit- und Weltverhältnis, das die Reflexion und den Diskurs zumindest begünstigt.

Im Gegensatz zum Netz, das Ad-hoc-Kommunikation und blitzschnelle Aktualisierung ermöglicht, programmieren Printmedien die Entschleunigung, die Verzögerung. Und diese unvermeidliche Verzögerung kann auch ein Vorteil sein. Zeitungen sind - idealerweise - Medien des zweiten Gedankens, die eine Aktualität hinter der Aktualität sichtbar werden lassen können. Sie versorgen, wenn es gut läuft, diese Gesellschaft Tag für Tag mit neuen Deutungsvorschlägen und Wahrnehmungen. Sie verwandeln Ahnungen in Behauptungen und individuelle Befindlichkeiten in Begriffe; sie verknüpfen Besonderes und Allgemeines, Konkretes und Abstraktes, sie geben - gerade in Zeiten des Dauerbombardements mit Daten und Informationen - Orientierung in der eigenen Nahwelt und liefern gleichzeitig das größere Bild, die umfassendere Perspektive. Darin besteht ihre besondere Leistung, darin besteht ihre zentrale Idee.

Diese Idee der Zeitung muss, auch um die Zukunft des Mediums zu sichern, zu einem gesellschaftlich akzeptierten Mantra werden, eine Art Kurzgebet, das man beständig wiederholt und das kognitiven Automatismus wird.

Kernfrage des Zeitungswesens

Die Netzkommunikation hat längst ihr eigenes Mantra - und es ist sehr gut, sehr einprägsam, sehr überzeugend: blitzschnelle, günstige, weltweite Kommunikation, barrierefreie Partizipation und leicht zugängliche Information. Gibt es in diesem Sinne ein Mantra, einen Slogan, eine faszinierend-attraktive Leitformel, die die Idee der Zeitung auf den Punkt bringt, die das Medium einhüllt, es beschützt, seine Verächtlichmachung blockiert, seinen Wert und sein Wesen in einem einzigen Satz erklärt und den Griff zur Zeitung über die Generationen hinweg stabilisiert? Noch existiert dieses Mantra nicht wirklich, aber ob es gelingt, es zu entwickeln und ausreichend attraktiv zu machen, erscheint mir als eine Kernfrage des Zeitungsjournalismus insgesamt.

Natürlich, man kann sich auch fragen: Wird Philipp Meyer Recht behalten? Was findet sich Anfang 2043 in den Briefkästen? Heißt der Briefkasten dann überhaupt noch Briefkasten? Und gibt es sie dann noch, die Zeitung? Aber das ist, so scheint mir, die falsche Frage.

Einstweilen leben wir ohnehin in der Gegenwart. Und hier, in einer Phase sich überstürzender Ereignisse und großer und kleiner Krisen werden die Nachdenklichkeit, die Tiefenschärfe und die Debattierfreude des klassischen Zeitungsjournalismus dringender gebraucht denn je.

Der Autor ist Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen.

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