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Digital In Arbeit

Demokratie ist gefordert

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Ein kleiner Knopfdruck war es, mit dem Wiens Bürgermeister Häupl letzte Woche den Privatsender Wien 1 auf Sendung schickte. Eigentlich nur ein weiterer Schritt, mit dem Osterreich an europäische Mediennormalität herangeführt wurde. Nicht einmal der erste „private" Sender in Osterreich, denn seit März gibt es schon das Programm Steiermark 1, und auch andere Kabelgesellschaften bedienen ihre Kunden mit mehr oder' weniger professionellen TV-Versuchen. Auch bei Wien 1 könnten zur Zeit Fragen über die gebotene Professionalität gestellt bleiben, aber nach jahrelangem medienpolitischem Stillstand stellt das Stadtfernsehen einen Markierungspunkt dar - zumal vor noch wenigen Jahren niemand wirklich geglaubt hatte, daß in Österreich Privat-TV möglich wäre. Schließlich ist auch „Privatradio in Österreich" eine unendliche Geschichte, bei der mittlerweile doch ein Happy-End möglich scheint: Mit 1. Mai tritt das neue Regionalradiogesetz in Kraft; die Nachfrage nach Frequenzen ist, wie das Bundeskanzleramt mitteilt, mehr als rege.

Bestehen bleibt, daß im Gegensatz zum Rest der EU die Liberalisierung der elektronischen Medien sich immer noch hinzieht. Der österreichische Markt war schon in den letzten Jahren von Europa nicht abgekoppelt, die Netze bundesdeutschen Fernsehens reichen auch über die Alpen und wurden in den letzten Monaten durch das Einführen von Österreichfenstern (in der Werbung bei RTL, bei bestimmten Sportübertragungen bei SAT.l) verstärkt.

Die Europäisierung der österreichischen Entwicklung unterstreicht Fragen, die über Anlässe wie die Eröffnung von Stadtfernsehen oder den Wettlauf um Radiofrequenzen hinausgehen. Warum die Vorgänge auf dem Kommunikationssektor zu grundsätzlichen Diskussionen Raum geben sollten, liegt auf der Hand: Medien transportieren gesellschaftliche Entwicklungen nicht bloß; in vielen Bereichen der Gesellschaft sind sie nicht mehr nur Berichterstatter, sondern selbst Akteure.

„Extra media nulla salus": Mit dieser Anpassung eines ebenso alten wie mißverständlichen Kirchenprinzips hat der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski vor einiger Zeit den Punkt angesprochen. Nicht Kirche oder Religion, so die These, sind die Heilsversprecher der Gegenwart, sondern die Medien. Derartige Argumentation schließt ein, daß viele Elemente des Religiösen durch die Medien, wie sie dem Zeitgenossen entgegentreten, aufgegriffen erscheinen. Das führt mitten in eine Diskussion, die öffentlich noch kaum geführt wird.

Die Bewertung der Medien für die Gesellschaft im allgemeinen und für die österreichische oder europäische Szene im besonderen geht also von grundsätzlichen Feststellungen aus. So sind die Standards, denen sich Berichterstattung verpflichtet wissen sollte, bei der Beschäftigung mit dem Thema Medien schwerer einzuhalten als auf anderen Gebieten. Medien haben auch über sich selbst zu berichten (die Einrichtung von Medienressorts, Medienseiten oder -magazinen in allen relevanten Publikationen gibt Zeugnis davon). Aber wie kann ein Thema, in das die Interessen der Berichtenden massiv hineinspielen, auch nur einigermaßen distanziert abgehandelt werden? .

Daß die Gesellschaft durch die Medien beeinflußt wird, heißt nichts anderes, als daß Medien auch Politik machen. In der Theorie mag eine Übertragung des Konzeptes der Gewaltenteilung auf die Rolle der Kommunikationsmittel bestechen. Aber Politik und ihre Beobachtung (sowie Bewertung) sind nicht voneinander getrennt. Das hat Konsequenzen für das politische System.

In Europa haben sich auf dem Mediengebiet zwei Spielarten herausgebildet: Medien-Marktwirtschaft, in der verschiedene Produkte mit unterschiedlichen Weltanschauungen um den Verbraucher wetteifern. Der Zeitungsmarkt ist so entstanden. Auf dem elektronischen Sektor gab und gibt es die Form der öffentlichrechtlichen Anstalten, die ein Quasi-Monopol darstellten und daher besonderer gesetzlicher Vorkehrungen bedurften, um in einer demokratischen Gesellschaft legitimiert zu sein. Im Großteil Europas sind diese Systeme in ihrer Bedeutung stark verändert, zumal es beinahe überall Privatradio und -fernsehen gibt.

Daß Osterreich nun nachzieht (nach der inferior verlaufenen Mediendiskussion der letzten Jahre), läßt Bewegung erwarten. Aber verlangt auch ernsthafte Auseinandersetzung darüber, welchen Stellenwert „öffentlich-rechtlich" in der ausufernden Szene haben soll. (Ob in Österreich der diesbezügliche Versuch, den ORF in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, wirklich taugt, steht auf einem anderen Blatt.) • Wobei auch die Frage von Medien-Oligopolen nach wie vor zu stellen ist: Denn auch im freien Wettbewerb haben sich nur wenige Große durchgesetzt, die die Landschaft dominieren. In Österreich ist dies bekanntlich auf dem Print-Sektor sehr ausgeprägt (mehr als zwei Drittel der österreichischen Tageszeitungsleser bedienen sich der Produkte aus einem Medienimperium!), anderswo (beispielsweise in Italien) erscheint der elektronische Markt ähnlich dominiert, selbst wenn es staatliche Monopole nicht mehr gibt.

Unabhängig von der Kritik an einzelnen Erscheinungsformen ist die Beschäftigung mit dem Stellenwert der Medien zu einer der Fragen der Gesellschaft geworden. Mit Forderungen und Konsequenzen für verschiedene Bereiche:

■ Von der Politik ist einzumahnen, daß sie auf Entwicklungen nicht nur reagiert. Österreichs Medienpolitik war lange Jahre vom „Gesetz der vollen Hosen" bestimmt (wie Fritz Csoklich, einer der Altmeister in Österreichs Medienszene, einmal formulierte). Politische Kunst ist gefordert, um eine strukturelle Entflechtung von Politik und Medien zu erreichen. Die Angst der Politiker vor den Medien enthebt nicht von der Verpflichtung, auch Medienpolitik zu gestalten.

■ Für die Demokratie steht einiges auf dem Spiel: Wenn das Becht vor allem von den Medien (oder - was noch schlimmer wäre - vom Fernsehen) ausgeht, ist der Grundkonsens der Gesellschaft in Gefahr.

■ Für den einzelnen bleibt zumindest die Herausforderung, sich gegen die Entmündigung einer Medienherrschaft zur Wehr zu setzen. Denn der vermeintlich unbestechlichen Instanz von Quoten und Beich-weiten kann zumindest mit bewußter Auswahl des medialen Angebots begegnet werden. Letztlich ist auch hier gesellschaftliche Wirkung durch gemeinsames Vorgehen zu erzielen: Der Grundstein für Basisinitiativen zu medienpolitischer Bewußtseinsbildung scheint überfällig.

Apropos: Das Bundfunk-Volksbegehren der sechziger Jahre, das den Parteienprop'orz im ORF bekämpfte, gilt immer noch als Meilenstein. Ein aus den Reihen der Journalistengewerkschaft vor einigen Monaten angekündigtes neues Volksbegehren „SOS Medienfreiheit" wurde bis dato jedoch nicht eingeleitet; es scheint von den Gentechnik- und Frauenaktivitäten der letzten Wochen überrollt worden zu sein. Und doch ist klar, daß die Frage einer freien, aber geordneten Medienlandschaft ebenso wichtig ist wie manipulierte Nahrung oder die Gleichberechtigung der Geschlechter.

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