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Kommen die Giganten ?

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Orwell hatte bekanntlich für 1984 unsere Entmündigung durch den „großen Bruder“, den Bildschirm, vorausgesagt. Und viele' Epigonen, wie beispielsweise Neil Postman, haben darauf ihre Plantagen und Gebäude errichtet.

Bekanntlich ist glücklicherweise das Gegenteil eingetreten: Die Fernbedienung und der Videorecorder, diese beiden wahrhaft „neuen Medien“, haben sich etabliert und die Gewohnheiten unseres Media-„Konsums“ entscheidend verändert. Das konnte man auch in Österreich 1984 bereits deutlich absehen.

1984 hat John Naisbitt seine „Mega-Trends“ geschrieben, aus denen eigentlich auch alles über die Medienzukunft herauszulesen ist.

1984 haben in der Schweiz 20 Experten mit einer Delphi-Studie begonnen, die letzten Endes unter anderem zur Erkenntnis kam, daß die bisherigen Vorstellungen über die Funktion der Medien („Information“ und „Unterhaltung“) falsch sind - mit den Begriffen „Orientierung“ und „Integration“ werden die Funktionen und Aufgaben der Medien viel richtiger beschrieben.

Allein diese Ereignisse sind so wichtig, daß die Medienzukunft deshalb definitiv mit 1984 beginnt.

Wenn wir von diesem Datum ausgehen und den Verlauf verschiedener Entwicklungen der letzten vier Jahre ansehen, dann können wir versuchen, uns einen groben Rahmen für eine vorsichtige Extrapolation vorzunehmen.

Die elektronischen Medien haben die Printmedien nicht umgebracht, der angesagte Medien-Kannibalismus hat nicht stattgefunden: Bei steigendem TV- und Radioangebot ist die Anzahl, sind die Auflagen, die Reichweiten der Printmedien gewachsen.

Aber die verschiedenen Teile der Mediaangebote, die Programme, die einzelnen Artikel werden wesentlich selektiver genutzt. Es wird viel mehr überblättert, überhört und übersehen. Es wird mehr ausgefiltert — aufgenommen wird hingegen zunehmend nur das, was von vornherein Nützliches, Brauchbares, Interessantes signalisiert.

Die Mediäplaner in den Werbeagenturen wissen schon längst, daß Media-Mix-Strategien meist wirksamer sind als „single-me-dia“-Strategien. Weil einerseits nicht jedes Medium alles in gleicher Weise gut „transportiert“ uncf weil es Medien-Interaktionen gibt: Die Nützlichkeit eines Zeitschriften-Essays wird durch einen Tageszeitung-Kommentar signalisiert ... die Nützlichkeit eines Tageszeitungs-Kommentars vielleicht durch eine Radio-Meldung.

Mediaangebote haben eine umso höhere Chance, je mehr sie den Vorstellungen eines „öffentlichen Ereignisses“ entsprechen, öffentliche Ereignisse werden daher zunehmend im Medien-Verbund produziert und multimedial vermarktet.

Das zeigt sich heute bereits sehr deutlich in allen Bereichen des Sports, der Kultur, der Politik (und in der FURCHE darf man in diesem Zusammenhang auf die Papstreisen verweisen!).

So und nicht anders ist das Entstehen der großen, global agierenden Medien-Verbund-Konzerne zu verstehen. (Wer hat vor 1984 schon die Namen Berlusconi, Murdoch oder Kirch gekannt? !•)

Der schon heute legendäre Schilling, für den der „Vorwärts“ zum Verkauf steht, ist wahrscheinlich das vorletzte Signal für die Entpolitisierung der Medienlandschaft. Und Auseinandersetzungen über Denkmäler und Kraftwerke zeigen, wie leicht die Gummibänder zwischen Politikern und Medien reißen können.

Ohne Werbung lassen sich Medien, für die sich die Media-„Kon-sumenten“ frei entscheiden können (also Medien, die sich an den Bedürfnissen des „Empfängers“ und nicht an den Bedürfnissen des „Senders“ orientieren), nicht mehr finanzieren.

Diese Erkenntnis wird bei jenen, die zum Kommerz ein eher gehemmtes oder gar gestörtes Verhältnis haben, Betroffenheit auslösen. Allen jenen, die eine Vision einer gigantischen Medien-Prostitution heraufdämmern sehen, darf man in Erinnerung rufen, daß nur jener, der von vielen abhängig ist, echt unabhängig ist.

Die Kommerzialisierung der Medien bringt also unterm Strich mehr Freiheit für die Medien selbst. Selbst wenn man immer wieder mit Auswüchsen und Perversionen konfrontiert werden wird.

Die Entwicklung dieses Trends ist jedenfalls eine Tatsache: Multinationale Markenartikler und ihre Werbeagenturen beteiligen sich nicht nur an Filmproduktionsgesellschaften; sie kaufen sich in TV-Stationen ein, produzieren Stars des Show- und Sport-Business und finanzieren Satellitenstarts.

Der „gemeinsame Markt“ steht in den Grundzügen bereits heute -die endgültige Realisierung der EG im Jahr 1993 wird dazu lediglich einige Akzente der Schärfe setzen.

„70 Prozent der Österreicher konsumieren bereits deutsche Medien“

Österreich ist — so oder so — bereits Teil dieses Marktes: Ein EG-Verleger besitzt fast die Hälfte von Medien, die zwei Drittel der Österreicher erreichen... und natürlich beeinflussen.

Man hat den österreichischen Politikern—nicht ganz zu Unrecht — vorgeworfen, den „WAZ-Deal“ nicht begriffen zu haben; mag sein... es mag aber auch sein, daß Wissen hinter der Gelassenheit steht — das Wissen nämlich, daß 70 Prozent der Österreicher schon seit Jahrzehnten bundesdeutsche Medien „konsumieren“, ohne daß sich daraus ernsthafte Gefahren für die eigenständige Identität der Österreicher ergeben hätten. (Es könnte natürlich sein, daß sich das Resultat dieses „heimlichen Anschlusses“ auf die Bezeichnungen westösterreichischer Speisekarten, auf den Import des Oktoberfestes in Form des Musikantenstadels und auf die Besetzung des Direktorensessels im Burgtheater ausgewirkt hat.)

Es ist ohne Frage auch ein Verdienst der weltumspannenden Medienkommunikation, daß „eiserne Vorhänge“ in die Höhe gezogen werden. Schon deshalb wäre es mehr als absurd, nach Protektionismus in der Medienlandschaft zu rufen. Und bei einer etwas genaueren Betrachtung der wesentlichen Wirkungsmechanismen in der Welt der Medien ergibt sich die Schlußfolgerung, daß es vermutlich auch überflüssig ist, nach Schutzzäunen für die nationale Identität zu suchen. Es ist nämlich schon heute sehr gut zu erkennen, daß „das Dorf zur Welt wird, weil die Welt zum Dorf wird“.

Globale Ereignisse steigern das Bedürfnis nach regionalen Bezügen ... globale Medienereignisse steigern den Bedarf nach regionalen Medien. Und — um auf Wirtschaft, Marketing und Werbung als wesentliche Schubkraft der Medienentwicklung zurückzukommen — mit wachsender Aggressivität globaler Marken steigen der Bedarf und die Chance nach „eigenständigen, regionalen Erlebnismarken ...“ (Wie dies erst kürzlich Hermann Bahlsen — der Keks-Bahlsen- feststellte. Und er fügte hinzu: „Die Vielfalt (der Markenartikel) wird die Landschaft bestimmen—darin liegt die Chance für den europäischen Binnenmarkt.“)

Die Konsequenz: Mehr Vielfalt kann nur durch mehr Werbung entstehen... mehr Vielfalt und mehr Werbung brauchen auch mehr Medien. Und so ergibt sich die „multi-optionale“ Medienlandschaft: eine heute noch unvorstellbare Medienvielfalt... ein für viele Medientheoretiker unvorstellbares Nebeneinander, Übereinander, Untereinander und Durcheinander im globalen, multinationalen, nationalen und regionalen Mediaangebot.

Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage der nationalen Identität nicht mehr—oder zumindest nur in sehr eingeschränktem Ausmaß.

Einem Verleger, der nicht kalkulieren kann, einem Chefredakteur, der kein Blatt machen kann, einem Programm-Intendanten, der die Leute langweilt, kann — und sollte — man ebenso wenig helfen, wie einem Hersteller, der etwas produziert, was nicht gebraucht wird.

Die Vielfalt der Bedürfnisse wächst, das Bedürfnis nach Vielfalt wächst. Darin liegt die Chance für alle... ganz besonders aber für die Medien.

Unter dieser Prämisse ist auch leicht vorherzusehen, wie die regionale, die österreichische und die europäische Medienzukunft aussehen wird; mit der gleichen Aussage, aber mit einer wesentlich höheren Wahrscheinlichkeit wie beim Lotto: „Alles ist möglich ...“, und das ab sofort.

Der Autor ist Geschäftsführer der Media 1, Gesellschaft für creative Mediaplanung in Wien.

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