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Achtung! — Die Flut...

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Die Flut, die Bilder-Flut! Immer wieder ertönt der mahnende Ruf besorgter Zeitgenossen, der uns vor der Bilderflut, die auf uns eindringt, und vor ihren Folgen warnen soll. In der Tat sehen wir uns einem ständig und unaufhaltsam stärker werdenden Strom von Bildern ausgesetzt: Bilder in den Illustrierten, eine immer weiter zunehmende Zahl von Bildern in den Tageszeitungen, die bewegten Bilder, die der Film mit aller Macht in uns hineindrängt, und jetzt kommt noch das Fernsehen dazu, das uns die Bilder — die bewegten Bilder — unmittelbar ins Haus liefert. Das Wort verliert daneben immer mehr an Bedeutung, es wird zur Bildunterschrift, zum Kommentar degradiert.

Aber das Rad der Zeit läßt sich nicht zurückdrehen: Das „Zeitalter des Bildes” hat sich zwangsläufig aus dem „Zeitalter des Wortes” entwickelt, veranlaßt durch “den unaufhaltsamen technischen Fortschritt, und es liegt lediglich an uns selbst, unseren Nutzen daraus zu ziehen und Schäden zu verhüten. Und haben nicht gerade die Bilder, und ganz besonders Film und Fernsehen, den Horizont der Menschen, und besonders der weniger „gebildeten”, außerordentlich erweitert? Können wir überhaupt ermessen, wie vieles heute den der Bilderflut ausgesetzten Menschen völlig vertraut und geläufig ist, was noch unsere Großeltern bestenfalls vom Hörensagen kannten?

Es ist offenbar in der Natur des Menschen einerseits und anderseits in der außerordentlich starken Wirkung, um nicht zu sagen Faszinationskraft, die vom Fernsehen nun einmal ausgeht, begründet, daß „frischgebackene” Fernsehzuschauer Abend für Abend vor dem Bildschirm sitzen und das gesamte dargebotene Programm mit gierigen Blicken kritiklos verschlingen. Erst nach längerer Zeit beginnt dann die Periode des „Schimpfens”. Da ja das Fernsehprogramm allen Zuschauerschichten etwas bringen und auf möglichst alle Geschmacksrichtungen Rücksicht nehmen muß, findet natürlich jeder Zuschauer Sendungen, die ihm nicht zusagen. Diese Sendungen werden dann zwar auch gesehen, aber es wird darüber geschimpft. Und das wäre nun der richtige Zeitpunkt, sich zu besinnen und auch beim Fernsehen das zu tun, was jeder Mensch auf anderen Gebieten auch tut — beim Essen, beim Zeitunglesen, beim Besuch von Vergnügungen: Auswählen.

Auswählen! Das ist das Wort: Die Sendungen aussuchen, für die man besonderes Interesse hat, die einen Gewinn in irgendeiner Hinsicht versprechen. Und schon ist der Bilderflut ein Damm errichtet.

A uch wenn man eine solche weise Einstellung dem Fernsehen gegenüber gefunden hat, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß man nun viele Stunden vor dem Bildschirm verbringt. Darüber ist schon viel geredet und viel geschrieben worden. Mit tief -empfundener Empörung: weisen die einen darauf hin, daß auf diese Weise jede ¡Geselligkeit, jedes Familiengespräch unterbunden und jeder zwischenmenschliche’ Kontakt zerstört wird — und mit ebensolcher Genugtuung frohlocken die anderen, daß nun endlich die immer mehr auseinanderstrebende Familie wenigstens vor dem Fernsehempfänger wieder vereint ist, daß das gemeinsame Erleben der Sendungen neuen Gesprächsstoff gibt und damit die Möglichkeit neuer Kontakte schafft.

Es ist aber nicht das Fernsehen allein, ja, es ist auch nicht die Bilderflut allein, die sich an den Menschen herandrängt und gebieterisch seine Zeit und seine Teilnahme fordert. Andere „Fluten” kommen dazu: der Tourismus, die Motorisierung und manche andere. Aber das alles ist doch wieder nur ein Teil der allgemeinen Entwicklung, die ja auch eine ständige Vermehrung der Freizeit mit sich bringt. Und vielleicht sollten wir, im großen gesehen, froh sein, daß sich beides, der Zuwachs an Freizeit und die Vermehrung der Freizeitbeschäftigungen, im Prinzip kompensieren.

Besonderes Gewicht bekommt das Problem dort, wo es die Jugend betrifft. Dabei wird, im Gegensatz zum Film, dem Fernsehen weniger der verderbliche Einfluß, als vielmehr die „Reizüberflutung” vorgeworfen, die — angebliche — Tatsache, daß die Jugendlichen viel zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, dadurch ihren Schlaf verkürzen und außerdem die Vielzahl der aufgenommenen Eindrücke nicht verarbeiten können.

Was nun die Jugendlichen der unteren Altersstufen, also die Kinder betrifft, so liegt die Verantwortung für einen etwaigen Mißbrauch des Fernsehens wohl ausschließlich bei den Eltern.

Ihre Aufgabe ist es, zu bestimmen, was und wieviel die Kinder sehen und wann sie zu Bett gehen sollen. Das frühe Schlafengehen ist ja bei den Kindern im allgemeinen nicht sehr beliebt; es ist aber offenbar leichter und für das eigene Vergnügen der Eltern weniger störend, die Kinder von der abendlichen Lektüre eines Buches als von der Teilnahme am Fernsehprogramm abzuhalten. Es sind sogar Fälle bekannt, wo die Eltern ihre Kinder abends mit in eine öffentliche Fernsehstube schleppen, weil sie weder die Kijider allein zu Hause lassen noch selbst auf den Genuß des Fernsehprogramms verzichten wollen. Dafür kann man doch wahrlich nicht das Fernsehen verantwortlich machen!

“XJatürlich haben sich auch da und dort Fachleute dieses - ‘ Problems angenommen und sorgfältige Untersuchungen über den Einfluß des Fernsehens’auf’das Kind durchgeführt, ¡.und man sollte noch viel mehr von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. In! der Tat zeigt sich, daß das Fernsehen auf die Kinder eine besonders starke Wirkung ausübt, da es in vielen Belangen der altersbedingten psychologischen Grundhaltung des Kindes entgegenkommt. Um so wichtiger aber erscheint es, daß die Eltern auf eine sinnvolle Beschränkung der Sehzeit an sich und auf eine entsprechende Programmauswahl achten und daß sie nach der Sendung mit dem Kind über die gesehenen Eindrücke sprechen und ihm so deren Verarbeitung erleichtern.

Auch über den Einfluß des Fernsehens auf die dem Kindesalter bereits entwachsenen Jugendlichen liegen einige wissenschaftliche Untersuchungen vor. Eine vom „Hans-Bredow- Institut für Rundfunk und Fernsehen an der Universität Hamburg” an fünfzehn- bis zwanzigjährigen Hamburger Jugendlichen durchgeführte Untersuchung dürfte auch für uns recht aufschlußreich sein. Sie zeigt vor allem, daß der Einfluß des Fernsehens auf Tagesablauf und Freizeitbeschäftigung keineswegs so groß ist, wie vielfach angenommen wird. Das Fernsehen ist für diese Jugendlichen eine Freizeitbeschäftigung unter vielen. Es ergibt sich sogar, daß die Mehrzahl der Jugendlichen weniger fernsieht und die Sendungen sorgfältiger auswählt als die Erwachsenen!

Daß das Fernsehen tiefgreifende Veränderungen im privaten wie im öffentlichen Bereich bewirkt, steht außer Zweifel. Daß es die Möglichkeit zu wesentlich positiven Einflüssen auf den Menschen und das menschliche Leben hat, kann nicht bestritten werden. Daß die Möglichkeit zu schädlichen Einflüssen — die es, wie alles im Leben, in sich birgt — nicht zur Auswirkung kommt, das zu erreichen, liegt ausschließlich an uns.

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