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Wenn Forschung zur Schlagzeile verkommt

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Können Presse und Rundfunk die Ergebnisse der Wissenschaft adäquat in die Öffentlichkeit transportieren?

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Können Presse und Rundfunk die Ergebnisse der Wissenschaft adäquat in die Öffentlichkeit transportieren?

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Den Elfenbeinturm für die Wissenschaft gibt es nicht mehr. Denn zum einen kostet sie zu viel, um- in Abgeschiedenheit tun zu können, was sie will. Zum anderen ist unser Leben so sehr von der Wissenschaft bestimmt, daß ihre Ergebnisse alle angehen. Wissenschaft ist von öffentlichem Interesse und soll von der Öffentlichkeit kontrolliert werden. Darüber herrscht weitgehend Ubereinstimmung.

Bei näherem Hinsehen wird klar, daß es die Wissenschaft nicht gibt, sondern nur sehr verschiedene Wissenschaftszweige mit recht unterschiedlichen Zielen und Methoden. Aber eine einheitliche Öffentlichkeit gibt es genauso wenig: Die Öffentlichkeit eines Hörsaales oder Vortragsraumes hat andere Spielregeln als die politische oder die Medienöffentlichkeit.

Die Medien prägen weitgehend das Bild, das die Menschen von den einzelnen Wissenschaften haben. Und häufig beeinflussen sie auch die Entscheidungen über Forschungsgelder: Eine Einrichtung, die oft in den Medien vorkommt, hat bei den Politikern bessere Chancen. Auf diese Weise bekommen die Medien eine Funktion, die sie sich nicht selbst angemaßt haben; sie ist nur das praktische Resultat einer perspektivelosen Forschungspolitik.

Dabei können die Medien nur sehr bedingt ein adäquates Bild der Wissenschaften vermitteln, weil deren Logik den medialen Gesetzmäßigkeiten weitgehend widerspricht: Die Präzision wissenschaftlicher Fachsprachen ist ungeeignet für Schlagzeilen, und komplizierte Hypothesen sind kaum in einem Zwei-Minuten-Beitrag für den Rundfunk unterzubringen. Und vor allem sind die Medien darauf angewiesen, das Interesse ihrer Konsumenten zu erregen. So werden Aktualität und „human inte-rest” zum dominierenden Auswahlkriterium - alles, was unmittelbar der Lebensbewältigung dient, kann in den Medien reüssieren. Dabei hat es die Medizin besonders leicht, bestimmte Sparten der Naturwissenschaft ebenfalls. Geistes- und Sozialwissenschaften haben einen schwierigeren Stand auch weil sie dem Be-bilderungszwang der Medien weniger entgegenkommen können.

Aber wie es verschiedene Formen von Öffentlichkeit und divergierende

Auffassungen und Methoden von Wissenschaft gibt, so kann man freilich auch die Medien nicht über einen Kamm scheren. Die Wirkungsforschung hat eindeutig ergeben, daß Printmedien zur Vermittlung von abstrakten Inhalten besser geeignet sind als die szenischen Medien Hörfunk und Fernsehen. Das Ruch ist zwar dabei, seine Stellung als kulturelles Leitmedium zu verlieren, aber Lesen ist noch immer die Basistechnik zur Verarbeitung komplexer Informationen.

Unter diesen Rahmenbedingungen ist Wissenschaftsjournalismus in mehrfacher Hinsicht ein schwieriges Geschäft. Es geht um das Vermitteln und Übersetzen von Wissenschaften - nicht nur von Ergebnissen, sondern auch von den Methoden, mit denen sie zustande kommen, und von Standpunkten, von denen sie abhängen. Ubersetzung heißt immer, in zwei Sprachen zu Hause zu sein - im konkreten Fall: in der Wissenschaftssprache und in den medialen Darstellungsformen.

Die praktischen Probleme des wissenschaftsjournalistischen Alltags beginnen damit, daß man mit seinen Produkten kaum Quoten und Auflagen steigern kann. Eine Wissenschaftsseite ist zwar notwendig für das Image einer seriösen Zeitung, aber jeder Chefredakteur und Herausgeber weiß, daß über 90 Prozent der Leser sie überblättern. Wissenschaftsredaktionen in Printmedien sind daher chronisch unterbesetzt und unterdotiert. Der Hauptträger der Wissenschaftsberichterstattung in Osterreich ist daher der Rundfunk.

Abgesehen von den praktischen Problemen des Metiers steht jede Form der Information in den Medien

- nicht nur im Wissenschaftsbereich

- vor einem fundamentalen Problem: dem der Informationsexplosion, die zu einer Implosion führen kann. Der einzelne kann schon aufgrund der Geschwindigkeit, mit der unterschiedlichste Informationen im Fernsehen oder auch im Rundfunk dargeboten werden, diese kaum mehr verarbeiten; und noch weniger hat er die Möglichkeit, entsprechend diesen Informationen zu handeln.

Aus der Sicht der Medien bedeutet das: Wer in der Welt alltäglicher Kurzinformationen, Zusammenfassungen und Meldungsübersichten überhaupt vorkommen möchte, kämpft gegen eine enorme Konkurrenz um „Sein oder Nichtsein”; in der Praxis reduziert sich diese Frage oft auf „Design oder Nichtsein”; denn ohne Design geht nichts mehr. Schließlich wird der Konsument immer geübter im Wegschauen, Weghören und Vergessen. So ist „einäugiges” Fernsehen (neben einer anderen Tätigkeit) die Regel geworden; „ein-ohriges” Radiohören ebenso.

Vor allem für das Fernsehen gilt die Kritik von Neil

Postman: Unterhaltung, Entertainment ist zur Super-ideologie des gesamten Mediums geworden; das Fernsehen hat „die Unterhaltung zum natürlichen Rahmen jeglicher Darstellung von Erfahrung gemacht”. Information wird, in diesen Rahmen eingepaßt, zum „Info-tainment”. Das ist die typische Weise der „Erlebnisgesellschaft”, mit Information umzugehen.

Der Essener Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz plädierte beim 20. Salzburger Humanismusgespräch dafür, sich mit dieser Situation abzufinden, weil ohnedies niemand gültige Kriterien dafür angeben könne, was die Medien vermitteln sollten. Daher soll man sich von der Illusion verabschieden, sie könnten aufklärend wirken; der Markt, die Einschaltquote soll entscheiden, denn sie ist Ausdruck formaler Demokratie. Der Regensburger Philosoph Ulrich Hommes konterte heftig: Für ihn haben die Medien nicht nur die Verantwortung für das, was gesendet und geschrieben wird, sondern auch für das, was den Konsumenten vermittelt werden soll.

Umberto Eco hat zwei Arten von Medienkritikern unterschieden: Auf der einen Seite stehen die Apokalyp-tiker, die mit den modernen Massenkommunikationsmitteln das Ende unserer Kultur heraufziehen sehen; Eco hat ihnen „das Heimweh nach einer anderen Epoche, in der die Werte der Kultur das Erbteil und der Besitz einer einzelnen Klasse waren und nicht jedermann offenstanden”, unterstellt. Am anderen Ende der Skala findet sich eine lustvolle Affirmation des gegebenen Zustan-des, der als ungeahnte Erweiterung der Kultur emphatisch begrüßt ward. Dazu ist freilich anzumerken, daß oft genug schon demjenigen die Verteidigung des Ist-Zustandes unterstellt wird, der ihn illusionslos analysiert.

Der Zürcher Kommunikationswissenschaftler Ulrich Saxer ist Medien-Wirkungsforscher: Nach seiner Anayse des Ist-Zustandes können die Medien weniger bestimmen, was die Menschen denken sollen, als man gemeinhin annimmt. Aber sie legen weitgehend fest, worüber die Menschen nachdenken und sprechen - sie haben das sogenannte Themati-sierungsprivileg. Dieser Befund ist einerseits desillusionie-rend, gerade auch was wissenschaftliche Themen betrifft. Denn die Tatsache, daß Ansichten und Meinungen nur partiell von den Medien bestimmt werden, ist oft weniger auf die Eigenständigkeit und Mündigkeit der Hörer und Leser zurückzuführen, sondern eher Ausdruck rudimentären Verstehens. Ein schnelles Medium wie das Fernsehen ist geradezu ein Angebot zum Rudimentärverstehen und prägt das Medienverhalten insgesamt. So wird es immer fraglicher, was von den medial vermittelten Informationen tatsächlich übrigbleibt.

Andererseits können die Medien eben Themen kreieren und ihnen Aufmerksamkeit verschaffen. Aufmerksamkeit ist ja mittlerweile zum knappsten öffentlichen Gut geworden - was wiederum eine Folge des wachsenden Medienangebotes ist. Tatsache ist, daß Meldungen und Kurzinformationen aus dem Bereich der Wissenschaft in den Medien breite Schichten erreichen.

Das „Salzburger Nachtstudio”, die einstündige Wissenschaftssendung des ORF, erreicht jeden Mittwoch etwa 35.000 Hörer so viele wie eine große Universität. Es gibt also auch für wissenschaftliche Themen einen „Markt”. Und die Medien sind nicht nur Übersetzer, Transformatoren oder gar Vereinfacher von Wissenschaft, sondern haben die Chance und Verantwortung, Fragen und Themen aufzugreifen und auch an die Wissenschaft heranzutragen. Mediale Vermittlung darf nicht zur Einbahnstraße verkommen.

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