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Digital In Arbeit

Zweck und Mittel

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Durch verschiedene Skandale wie gefälschte Hitler-Tagebücher und rücksichtsloses Eindringen in die Privatsphäre einzelner Menschen, aber auch durch alltägliche Falsch-Meldungen hat der Ruf der Journalisten gelitten. Ungerecht freilich wäre es, in konservativer Hysterie die angeblich guten alten Zeiten zu beschwören oder selbstgerecht so zu tun, als ob Journalisten auf Grund ihres Berufes ipso facto einen schlechten Charakter haben müßten — wie man dies sonst in bestimmten Kreisen grundsätzlich von „den Mächtigen“, von Direktoren, Politikern und Generälen anzunehmen beliebt (und diese gleichzeitig zu beerben sucht!).

Weder die moderne Gesellschaft noch die Kirche kann auf den Dienst der Massen-Medien verzichten. Wie der einzelne Mensch, so bedarf auch die Gesellschaft ihrer Sprache. Als Tun des Menschen steht sie natürlich unter dem Anspruch der Ethik, die angesichts der Sachzwänge, die die Arbeit des Journalisten zu korrumpieren drohen, eine spezifische Form annimmt.

Eine erste Gefährdung der Moral des Journalisten ergibt sich aus verschiedenen Abhängigkeiten: Intendanten, Parteizentralen, Geldgeber und andere Mächte wollen (offen oder in verdeckter Form) mitbestimmen, was erscheint und was nicht. Natürlich, nicht jede Form solcher Mitbestimmung ist ungerecht. Aber sie kann zur Korruption werden, die das Gewissen des Journalisten vergewaltigt. Die entwürdigende Sklaverei der Medien am Gängelband allmächtiger Parteien oder einzelner Diktatoren — mit all ihren bitteren Folgen für die betroffene Gesellschaft — zeigt es überdeutlich und in erschreckender Weise.

Außerdem muß der Journalist auf die öffentliche Meinung

Rücksicht nehmen. Er gestaltet sie zwar mit, zugleich aber hat sie auch Macht über ihn. Denn: Verhält er sich im Namen der Unabhängigkeit vom Lesergeschmack wie das sprichwörtliche „verkannte Genie“, indem er das, was sein Publikum denkt und fühlt, einfach übergeht, ist es nur eine Frage der Zeit, wann er seinen letzten Leser und wohl auch seinen Job verloren haben wird. Die Beziehung zum Publikum hat allerdings eine Kehrseite: Wenn er den Leuten nicht nur „aufs Maul schaut“, sondern seine Arbeit von den Bedürfnissen einer bestimmten (welcher?) öffentlichkeit bestimmen läßt, dann ist die Gefahr groß, daß er in den Sog einer anderen, ebenso unmoralischen Fremdbestimmung gerät wie die oben genannte: Wo ein Bedürfnis, dort ein Angebot — wenn die Schweine wollen, dann bekommen sie auch Perlen zum Zertreten.

Die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit dem neuen Wiener Erzbischof haben die dritte große Versuchung des Journalisten exemplarisch deutlich gemacht: Sie besteht in dem rücksichtslosen Willen zum publizistischen Erfolg um jeden Preis — ein Wille, der vielfach mit anderen dunklen Motiven eine unheilige Allianz eingeht.

Angesichts dieser Gefährdungen sind es vor allem drei moralische Kriterien, die die Arbeit des Journalisten begleiten sollten:

Das erste betrifft die Auswahl der Themen: Kommerzielle Uber-legungen sind auch im Umgang mit den Massenmedien legitim, aber sie dürfen nicht zum einzigen Handlungskriterium werden. Sonst verkommt die Medien-Arbeit zu einer rein vom Kapitalismus geführten Sensations-Presse, die die Werte, die das eigentlich menschliche Leben ausmachen, noch immer verachtet hat. Gerade die Massenmedien müssen dem Gemeinwohl als oberste Norm untergeordnet bleiben.

Dieser abstrakte Begriff ersetzt nicht das professionelle Wissen und Können, aber er weist ihm die Richtung. Er ist so unverzichtbar wie die Norm „Gesundheit“ für den Arzt oder diejenige der „Sicherheit“ für den Autofahrer.

Angesichts der bitteren Erfahrungen mit gelenkten Lügen, von Diktatoren erfunden und von ihren journalistischen Handlangern verbreitet, kann man gar nicht oft genug wiederholen: Der Journalist ist der Wahrheit verpflichtet. Wie im Alten Testament der wahre Prophet an der Unbestechlichkeit seines Wortes gemessen wurde, ist heute der Journalist gefragt, wie er es mit der Wahrheit hält. Wenn er dieser seiner Verantwortung gelegen oder ungelegen nachkommt, dann gehören die Gesetze, die in Verbindung mit der modernen Kommunikationstechnik den Berufsstand Journalist und damit das weithin vernehmbare, freie Wort „von unten“ gegen alle Interessen ermöglichen, zur Grundlage einer freien Gesellschaft. Sie müssen als Reichtum eines Volkes auch dann verteidigt werden, wenn der von ihnen gewährte Freiraum manchmal mißbraucht wird.

Zum Ethos der Wahrheit gehört auch die Wahrhaftigkeit der Begriffe, der Bilder, der ausgewählten Texte. Auch wenn ein bestimmter Bericht formell der Wahrheit entspricht, so bleibt immer noch die Frage nach der Art und Weise, wie eine Sache dem Publikum dargestellt wird: Halbe Wahrheiten, geschickt plazierte Andeutungen und eine tendenziöse, den eigentlichen Sachverhalt entstellende Begriffswahl können einen Menschen diffamieren oder unmenschliche Praktiken in einem harmlos-wohltätigen Licht erscheinen lassen. Die „Endlösung“ ist wohl das schrecklichste Beispiel der Geschichte: Wer möchte schon gegen eine „Lösung“ sein und noch dazu eine, die „end“-gültig ist? Ähnliche Verschleierung durch Sprache geschieht heute, wenn man zum Beispiel von „embryonalem Gewebe“ redet, in Wirklichkeit aber menschliche Embryonen, letztlich also Kinder meint, die zur Tötung freigegeben werden.

„Wahre“ Berichte können aber auch durch die Art der Darstellung und auf Grund der eigentlichen Absicht unmoralisch sein. Der klassische Fall ist der genüß-lich-voyeuristische Bericht: wahr in dem, was gezeigt wird, und doch zutiefst verlogen. Wer wider besseres Wissen die Worte eines Lügners uneingeschränkt weitergibt, macht sich mitschuldig.

Und schließlich: Der Zweck heiligt auch dann nicht jedes Mittel, wenn es um die Beschaffung von Informationen geht. Mag den Recherchen ein öffentUches Interesse entsprechen — wie es zum Beispiel gegeben ist, wenn es um die Ansichten eines künftigen Erzbi-schofs geht —, es gibt Werte, die keiner journalistischen Güterabwägung zum Opfer fallen dürfen.

Die genannten Grundsätze einer Ethik für Journalisten ersetzen nicht die Gewissensentscheidung des einzelnen, sondern ermöglichen sie. Sie verpflichten den Journalisten, seinen durch nichts ersetzbaren Dienst zu tun. Die Wahrheit, der auch er dient, ist „das Fundament und die Richtschnur allen befreienden Handelns“ (Kardinal Josef Ratzinger).

Der Autor lehrt Moraltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt.

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