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Zwischen Sensation und Information

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Wie seriös ist der moderne Journalismus? Diese Frage wird in der Öffentlichkeit immer öfter gestellt. Sie steht bei allen parlamentarischen Beratungen über Pressefragen immer unsichtbar im Raum. Eine Antwort auf diese Frage ist aber auch tatsächlich schwer zu geben, vielleicht überhaupt nur dann, wenn man sich über den Standort der Massenmedien in der modernen Gesellschaft ebenso im klaren ist wie über das Selbstverständnis der Journalisten.

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Wie seriös ist der moderne Journalismus? Diese Frage wird in der Öffentlichkeit immer öfter gestellt. Sie steht bei allen parlamentarischen Beratungen über Pressefragen immer unsichtbar im Raum. Eine Antwort auf diese Frage ist aber auch tatsächlich schwer zu geben, vielleicht überhaupt nur dann, wenn man sich über den Standort der Massenmedien in der modernen Gesellschaft ebenso im klaren ist wie über das Selbstverständnis der Journalisten.

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Karl Steinbuch hat in seinem berühmten Buch „Die informierte Gesellschaft“ festgestellt, daß Information Anfang und Grundlage der Gesellschaft ist. Information ist aber auch die Hauptaufgabe der Presse und aller anderen Massenmedien. Hier aber erhebt sich, bei der unabsehbaren und immer weiter ansteigenden Menge an Informationen, die Frage: „Information über was?“ Uber das, was der Staatsbürger wissen muß, um als Stimmbürger richtig entscheiden zu können, über das, was das Individuum wissen muß, um seinen Standpunkt in der Gesellschaft selbst bestimmen zu können, oder aber über das, was der Leser, Hörer oder Zuseher gerne liest, hört und sieht, über Sensationen, Klatsch und Verbrechen. Oder in der Sprache der Wissenschaft ausgedrückt: Liegt das Kriterium für die Auswahl der Information im „öffentlichen Interesse“ oder aber im „Interesse der Öffentlichkeit“, im Interesse der Massen am Skandal, am Negativen, am „Bösen“?

Gerade in dieser Fragestellung kommt aber auch die Doppelgesichtigkeit der Presse besonders deutlich zum Ausdruck. Die moderne Zeitung, ob sie nun als Massenblatt die Meinungen der Kontinente formt, oder als bescheidenes Wochenblättchen den begrenzten Kreis des dörflichen Lebens umschreitet, ist in allen ihren Erscheinungsformen in gleicher Weise tiefer Gedstigkeit verhaftet und damit neben Rundfunk und Fernsehen das wichtigste Mittel zur Meinungsbildung, zur selben Zeit aber auch ein, ökonomischen Gesetzen unterworfenes, Produkt, eine Ware, sogar eine stark krisenanfällige und leicht verderbliche Ware, die auf die geringsten Konjunkturschwankungen reagiert und nach ein paar Stunden nicht mehr absetzbar ist.

Aus diesen Feststellungen aber ergeben sich wieder zwei unvermeidbare Konsequenzen. Auf der einen Seite, der publizistischen: die beste Zeitung wird sinnlos, wenn sie keine Leser und Käufer findet, wenn sie, ökonomisch gesprochen, auf dem „Markt“ nicht ankommt. Und auf der anderen Seite: der Leser muß die Zeitung kaufen. Hier aber muß man leider feststellen, daß der Leser heute gar nicht gewillt ist, für seine Zeitung einen echten Preis zu bezahlen. An hohen Festtagen mit besonders umfangreichen Zeitungsausgaben bezahlt er oft nicht einmal den Preis des unbedruckten Papiers. Wie sich hier die Relationen verschoben haben, zeigt ein Vergleich: durch mehr als 60 Jahre, bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts galt in Wien die Gleichung „Zeitungspreis = Stra-

ßenbahnfahrpreis“. Und nun: die Straßenbahn wird bald sechs Schilling kosten, eine Zeitung aber kann man schon um S 1.50 erwerben.

Mangelndes Selbstverständnis

Hier scheint es bedeutsam zu sein, daß sich ein Großteil der Journalisten all dieser Problematik fast gar nicht bewußt ist. Dabei hat aber die Kommunikationswissenschaft nachgewiesen, daß neben der Persönlichkeit das Selbstverständnis des Kommunikatars über seine Stellung und die Stellung seines Mediums, in der Gesellschaft eine wesentliche Rolle für die Gestaltung der Aussage spielt.

Man hat sich in Österreich mit diesem Problemkreis noch recht wenig beschäftigt, so daß man Hans Heinz Fabris für seine explorative Studie über Einstellungen und Verhaltensweisen von Redakteuren dreier Tageszeitungen in Salzburg, die als Band 2 der „Arbeitsberichte“ des Instituts für Publizistik und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg unter dem Titel „Das Selbstbild von Redakteuren bei Tageszeitungen“ im Sommer 1971 veröffentlicht wurde, dankbar sein muß. Fabris konnte feststellen, daß die vielfachen Veränderungen in der inneren, und äußeren Medienstruktur im Selbstverständnis der Journalisten kaum ihren Niederschlag gefunden haben. Es scheint noch weitgehend von traditionellen Berufsbildern fixiert zu sein. Im Selbstbild der Journalisten dominiert das Rollenverständnis als „objektiver Berichterstatter und Informator“. Zwischen Kommunikatoren und Rezi-pienten der Aussagen der Massenmedien besteht nach Fabris ein .gebrochenes“ Verhältnis, das durch wechselseitige Unkenntnis des jeweiligen Gegenübers charakterisiert werden kann. Diese Feststellung ist besonders interessant, weil sich in einem Punkt, allerdings aus ganz verschiedenen Motiven heraus, ein merkwürdiger Gleichklang ergibt. Daß der Leser, der Rezdpient, die Sensation will, nimmt der Redakteur, der Kommunikator in seinem Selbstverständnis der Aufgabe eines „Schleusenwärters“ ganz einfach nicht zur Kenntnis. Auf der anderen Seite alber führt die Überfülle an Nachrichten fast zwangsläufig zu dem Trugschluß, daß das „Normale“ keine „Nachrdchten“ hergebe. Damit drängt sich, bei aller Absichtslosig-keit und Gutgläubigkeit der Redakteure als Auswahlprinzip das Anormale auf. Und unsere Zeitungen sind daher auch voll von Absonderlichkeiten, Konflikten und Verbrechen. Otto B. Roegele hat recht: „Sollte ein

Archäologe des Jahres 5000 eine Zeitung aus unseren Tagen finden, so wird er kaum umhin können, sich die Welt unserer Tage als eine überdimensionale Komlbdnation von Irrenhaus und Verbrecheirhöhle vorzustellen, es sei denn, er sed selbst ein wenig journalistisch bewandert uod wüßte daher nicht, daß die Tugend nun einmal viel langweiliger' ist als die Sünde ...“

Selbstkontrolle?

Ernste Kreise der Publizistik, aber auch alle Organisationen der Zei-tungsherausgeber, Verleger und Journalisten kennen die aufgezeigten Probleme. Sie wissen, daß die Pressefreiheit durch nichts mehr gefährdet wird, als durch den Mißbrauch der Freiheit, wie er sich eben, vor allem in der Boulevardpresse, durch die Jagd nach „news“, vor allem in der Intimsphäre, durch eine ausgeartete Kriminal- und Sexberichterstattung ergibt. Aus diesen Erwägungen heraus haben die österreichischen Zeitungsherausgeber und Journalisten bereits im Jahr 1961 den österreichischen Presserat als Selbstkontrolleinrichtung der österreichischen Presse gegründet. Er hat die Aufgabe, „die Pressefreiheit zu schützen und Mißstände im Pressewesen, besonders auf dem Gebiet der Kriminal- und Sexualberichterstattung sowie das der bloßen Sensationslust dienende Eindringen in die Intimsphäre festzustellen, mit dem Bestreben, sie zu beseitigen, wozu er Richtlinien und Leitsätze zu erarbeiten hat“.

Der Presserat ist eine moralische Instanz und lehnt es ab, als Diszi-planarsenat angesehen zu werden. Seine Autorität gründet auf der Integrität und dem Ansehen seiner Mitglieder, die in ihrer Tätigkeit völlig frei und unabhängig und nicht an Weisungen von Verbänden oder Organisationen gebunden sind. Der Presserat ist als moralische Instanz auf die freiwillige Anerkennung seiner getroff enen Maßnahmen angewiesen. Darin liegt seine Stärke. Niemand ist gehalten oder verpflichtet, ihm Rechenschaft abzulegen oder sich seinem Spruch zu unterwerfen. Die Tätigkeit der freiwilligen Selbstkontrolle beschränkt sich auf moralische Gesichtspunkte und entspricht damit der klassischen Auffassung der Presse als moralischer Anstalt.

Der österreichische Presserat hat in den zehn Jahren seines Bestandes eine Reihe von Richtlinien und Leitsätzen für die publizistische Arbeit erarbeitet und in einer Reihe von Fällen feststellen müssen, daß diese oder jene Zeitung durch eine bestimmte Veröffentlichung die Berufspflichten der Presse verletzt oder gegen das Ansehen der Presse verstoßen hat. Bei all diesen Beratungen stand immer das Problem der Berufspflichten aller in der Presse tätigen Personen im Mittelpunkt.

Es handelt sich dabei um eine Frage, die auch auf internationaler Ebene schon lange diskutiert wird.

Bereits im Jahr 1948 halben die Vereinten Nationen dieses Problem aufgegriffen und zu seiner Beratung eine Unitarkommission eingesetzt, die den Auftrag erhielt, einen internationalen Ehrenkodex für die Presse auszuarbeiten.

Standeskodex

Diesen Entwurf eines „Code d'honmeur international du person-nel de presse et d'information“ machte sich später der Wirtschaftsund Sozialrat der UN zu eigen, der 1952 einen Weltkongreß aller Organisationen der Massenmedden anregte, der sich mit diesem Entwurf beschäftigen sollte. Er kam aber nie zustande.

Auf Grund der bisherigen Vorarbeiten beschloß dann 1954 die Internationale Journalistenföderation (IFJ) die berühmte Deklaration von Bordeaux. Die acht Leitsätze dieser

„Principles on the conduot of Jour-nalists“ haben Geltung für alle Mitglieder dieser Organisation. In der östlichen Welt hat die kommunistische Organisation der Journalisten (IOJ) auf ihrem VI. Kongreß in Berlin eine Deklaration beschlossen, die ähnliche standesrechtliche Grundsätze proklamiert.

1968 wurde bei einem Symposion des Europarates in Salzburg über das Thema „Massenmedien und Men-schenirechte“ den Standesorganosa-tionen der Presse empfohlen, an der Schaffung eines internationalen Standeskodex mitzuwirken. Ferner hat sich die „International Association for Mass Communication Research“ 1966 in Paris, 1969 in Monte Carlo und 1970 in Konstanz mit Fragen des journalistischen Standesrechtes beschäftigt. Aber auch das Internationale Presseinstitut hat 1961 eine weltweite Studie des Standesrechtes der Massenmedien mit einem Kommentar veröffentlicht, die demnächst in neuer Auflage erscheinen wird. Schließlich und endlich wurde 1970 im Institut für Publizistik und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg eine umfangreiche Dokumentation über das journalistische Standesrecht in Europa zusammengestellt, die dem österreichischen Presserat bei der Zusammenfassung der bisher von ihm erlassenden Leitsätze und Richtlinien zu einem Ehrenkodex für die österreichische Presse wertvolle Dienste leistete.

Dieser Ehrenkodex wurde am 27. Oktober 1971 vom Presserat einstimmig beschlossen und am 30. November in einer Festveranstaltung der Öffentlichkeit vorgelegt. Es handelt sich dabei weitgehend um ethische Maßstäbe, die an die Arbeit des Journalisten angelegt werden. Der Ehrenkodex befaßt sich nur zu einem sehr geringen Teil mit internen Fach- und Standesfragen, in der Hauptsache verfolgt er den Zweck, einen Mißbrauch der publizistischen Macht zu verhindern und den Weg für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Massenmedien freizumachen. Die vorbildliche Erfüllung der öffentlichen Aufgabe, die den Massenmedien in der modernen Welt obliegt, ist nach einer Feststellung des bekannten Presserechtlers Doktor Martin Löffler der Kern der „Standesehre“ des Publizisten: „Die Standesregeln sind die unentbehrlichen Transformatoren, die die hohen ethischen Leitgedanken der Publizistik in die nüchterne Alltagsairbeit von Presse, Rundfunk und Femsehen umsetzen.“

In diesem Sinn stellt der kürzlich beschlossene Ehrenkodex für die österreichische Presse fest, daß Zeitungsherausgeber, Verleger, Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Journalisten gemeinsam die Verantwortung für die in der Demokratie lebensnotwendige Freiheit der Massenmedien tragen: bei aller Dynamik und engagierter Stellungnahme muß Wahrheit und Unabhängigkeit als oberstes Gesetz für alle journalistische Arbeit immer und überall beachtet werden. Die Verpflichtung zur Wahrheit und die Beachtung des Rechtes der Öffentlichkeit auf Wahrheit wird auch durch die Hast der Tagesarbeit nicht aufgehoben. Eng damit verbunden ist die Verpflichtung zur absoluten Korrektheit, die jeden Beeinflussungsversuch von außen bei Nachrichtenauswahl und Kommentar von vornherein ausschließt Dies bedeutet auch Korrektheit bei der

Beschaffung von Nachrichten und Bildern, die Verpflichtung zur Unterlassung unbewiesener oder unbeweisbarer Behauptungen und Beschuldigungen, das Verbot von Meuchelphotos und die Verpflichtung der Zeitung, unrichtige Berichte von sich aus zu berichtigen.

Ein sehr wesentlicher Teil der neuen Standesregeln der österreichischen Presse dient dem Schutz der Intimsphäre des Bürgers. Hier wird klapp und klar festgestellt, daß es der Aufgabe der Presse widerspricht, wenn eine Zeitung an die Stelle des Dienstes am öffentlichen Interesse die Befriedigung der öffentlichen Neugierde setzt. Nur wenn das Verhalten eines Menschen in seinem privaten Lebensbereich öffentliche Interessen berührt, kann es zum Gegenstand von Erörterungen in der Presse gemacht werden. Aber auch in diesen Fällen ist immer zu prüfen, ob durch derlei Publikationen nicht auch Persönlichkeitsrechte unbeteiligter Dritter berührt werden.

Ganz eindeutig ist auch die Feststellung: „Jede Diskriminieruing aus rassischen, religiösen, nationalen oder sonstigen Beweggründen ist unzulässig; persönliche Interessen dürfen die Berufsausübung in keiner Weise beeinflussen.“ Einem gewissen PR-Unfug in der Werbung will die Forderung nach einer strengen Trennung zwischen publizistischen und kommerziellen Interessen steuern.

Die österreichische Presse hat bereits 1961 mit der Gründung des Presserates eine erste Vorleistung zur Schaffung eines neuen Pressegesetzes erbracht. Die Schaffung des neuen Ehrenkodex stellt nun die zweite Vorleistung dar, der als dritte, bereits in allernächster Zeit, gemeinsame Beschlüsse über die Journalistenausbildung folgen sollen. Die Presse hat damit von sich aus alles getan, was die Seriosität der journalistischen Arbeit gewährleistet. Nach Ansicht des Presserates und aller Organisationen der Presse sind nun Bundesregierung und Parlament am Zug, ein neues, modernes Presse- beziehungsweise Mediengesetz zu schaffen.

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