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Medien-Zeitgeschichte: Viele Schritte zu mehr Pressefreiheit

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Die Zweite Republik musste sich über die Jahrzehnte erst zur liberalen Demokratie entwickeln. Teil II dieser Medien-Zeitgeschichte beleuchtet wenig bekannte Zustände und geht den Ursachen nach, warum Österreich im internationalen Vergleich punkto Pressefreiheit aufgeholt hat.

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Die Zweite Republik musste sich über die Jahrzehnte erst zur liberalen Demokratie entwickeln. Teil II dieser Medien-Zeitgeschichte beleuchtet wenig bekannte Zustände und geht den Ursachen nach, warum Österreich im internationalen Vergleich punkto Pressefreiheit aufgeholt hat.

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Stellen wir uns vor, Innenminister Karl Nehammer ist zugleich auch Präsident der Zeitungsherausgeber. Undenkbar in einer liberalen Demokratie, aber im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik war es viele Jahre freudige Praxis – für beide Seiten. Die Zeitungsbesitzer, die damals noch mehrheitlich politische Parteien waren, stellten den Präsidenten. Praktischerweise bot sich dafür der Innenminister an, der für die Zuteilung des Mangelgutes Druckpapier zuständig war. Er hatte allerdings auch politische Wünsche an die Presse: Man möge in den Gazetten Österreich als demokratisches Musterland zeichnen, das wenig streitet, damit die Alliierten dem Land alsbald den Staatsvertrag geben und abziehen, empfahl er bei Herausgeberverband­-Sitzungen.

Wobei ein Großteil der damals tätigen Journalisten es durch Erfahrungen im „Ständestaat“ und unter NS-­Herrschaft ohnedies gewohnt war, sich keine Freiheiten herauszunehmen. Konservative Zeitungsmacher sahen in der am 1. Oktober 1945 proklamierten Pressefreiheit durchaus Gefahren. Edmund Weber etwa begrüßte zwar im Kleinen Volksblatt (ÖVP) die Pressefreiheit, nannte den Entschluss der Alliierten „großzügig“, warnte dann aber umso nachdrücklicher: „Freiheit darf nicht mit Hemmungslosigkeit verwechselt werden. (…) Ebenso wird die Freiheit zum Unglück, wenn sie übergeordnete Interessen des Ganzen vergißt und, wie uns die Geschichte schon mehrfach bewies, ein falsches Freiheitsstreben des einzelnen das Vaterland als Ganzes in Knechtschaft führt.“

Staatlicher Einfluss auf die Medien

Konträr dazu der Chefredakteur der Arbeiter Zeitung, Oscar Pollak (SPÖ), damals erst wenige Tage aus dem Londoner Exil zurück: „Gewiß, wir leben heute in außergewöhnlichen Zeiten, in dringender Not; wir können uns nicht den Luxus irreführender Propaganda oder heftiger Pressefehden gestatten. Aber je früher man erkennt, daß die Lenkung und Bevormundung der Presse aus einem Notbehelf eine Untugend macht, die auf Dauer die Demokratie gefährdet, desto besser.“

Pollak wies in seinem Leitartikel „Pressefreiheit und Pressesitten“ am 5. Oktober 1945 zudem auf Folgendes hin: „Die Verheerungen, die der Nationalsozialismus im geistigen Leben angerichtet hat, sind womöglich schlimmer als die leiblichen Nöte und Zerstörungen, die wir ihm verdanken. Auf dem Gebiet der Presse zeigen sich seine Nachwirkungen vor allem in zwei Dingen: einer gräßlich verballhornten Sprache und einer in früheren Zeiten undenkbaren Unempfindlichkeit gegenüber dem Versuch, die Zeitungen zu bevormunden und zu beeinflussen.“

Wohlbemerkt, Oscar Pollak gehörte zur kleinen Minderheit der aus dem Exil heimgekehrten Journalisten, die als offensive Verfechter einer großen Pressefreiheit agierten. Als die Alliierten 1953 die Nachzensur beendeten, schrieb er einen „Nachruf auf die Zensur“: „Wir freuen uns darüber – aber wir sagen noch nicht einmal Danke. Wir sagen: endlich.“ Mutig schrieb das von ihm geführte Parteiblatt, etwa gegen die Übergriffe der sowjetischen Besatzungsmacht, und erwarb sich damit den Ruf einer „Zeitung, die sich was traut“.

Doch der Staat saß gegenüber Medien am längeren Hebel. In den späten 1940er und in den 1950er Jahren mussten Journalisten mit Regeln leben, die zum Teil während des Austrofaschismus und sogar während der NS­Herrschaft eingeführt und die dann 1945 nicht außer Kraft gesetzt wurden. Besonders bedeutsam hierbei waren der § 308 des Strafgesetzbuchs (Gerüchte gegen öffentliche Sicherheit) und der seit 1939 fehlende § 40 im Pressegesetz, der vor willkürlichen Beschlagnahmungen schützte. Einige Journalisten protestierten nach 1945 zwar dagegen, waren aber letztlich zu schwach. Zudem wurden diese restriktiven Bestimmungen praktisch nur gegen oppositionelle Medien angewendet, die eine sehr schwache parlamentarische Vertretung hatten.

1945 erwies sich bei genauem Hinsehen nicht als die vielzitierte „Stunde null“. Mangels Rückholung und Rückkehr der ins Exil vertriebenen besten Schreiber konnte im Journalismus 1945 nicht an republikanische Verhältnisse vor 1933 angeknüpft werden. Mit ihnen fehlte aber auch unglaublich viel Erfahrungswissen. Journalismus benötigt kluge Interessenvertretungen sowie ein systematisches Nachdenken darüber, welche Recherchetechniken eingesetzt und welche Haltung eingenommen werden sollen.

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