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Bemerkungen zur Okkupation

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Trotz aller Wahr-Sagen hatte für die meisten Österreicher die am Freitag, dem 11. März 1938, begonnene Okkupation des Landes durch deutsche Truppen - zwei Tage vor der „Volksbefragung” - die Wirkung eines Schocks. Auch, wenn nicht vor allem, für die meisten österreichischen Nationalsozialisten, die nun, scheinbar Majorität in Österreich, insgesamt zu einer nutzlosen Minorität in der gesamtdeutschen NSDAP geworden waren, bestenfalls als Konfidenten und idiomkundige „Eingeborene” geeignet.

Wenn man als Nichthistoriker das umfangreiche Schrifttum zur ersten Okkupationsphase durchsieht, kann man sich heute des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich in allzuvielen Fällen nur um Literatur aus Literatur handelt Von jenen, die damals dabei gewesen sind, als Opfer, als Zuseher oder als Opposition ab der ersten Stunde, wird selten ein Beitrag zur Darstellung der dramatischen Szenerie geleistet.

Freilich: Geschrieben wurde während der ersten Tage der „Befreiung” über diese kaum etwas; zumindest nicht von ihren Opfern. Im Gegenteil: Schon vorher Geschriebenes wurde von den Verwahrern weitgehend vernichtet. Jedenfalls besteht heute unverkennbar für die Phase I der Okkupation, die bis zum 10. April 1938, bis zur Abstimmung über den „Anschluß”, dauerte, ein teilweiser Belegnotstand, gefördert durch den Versuch nach 1945, das Verhalten bestimmter Personen in den Märztagen 1938 zu „überschweigen”: von Personen, deren Weste bei genauer Besichtigung nicht jene Farbe aufwies, die sie berechtigt hätte, 1945 gegen unverkennbare Nationalsozialisten vorzugehen und auf diese Weise (zum Teil neuerlich) in die Politik einzusteigen.

Nun zu einer höchstpersönlichen Interpretation der Ereignisse, nach 39 Jahren. Ohne Anspruch auf historische Genauigkeit.

Dem Anschluß war vorgearbeitet worden

Die Okkupation selbst war in der bemerkenswert raschen und widerstandslosen Form nur möglich, weil in Österreich der staatliche Apparat, fast alle amtlich-erzieherischen Lernmu- ster und die meisten gesellschaftlichen Verbände (ausgenommen Kommunisten und Legitimisten) bis 1933 eine generelle Aufnahmebereitschaft für den „Anschluß” geschaffen hatten. In den wenigen Jahren, die dem mit einer Arbeitslosenquote von 30 Prozent und dem Konflikt mit der sozialdemokratischen Arbeiterschaft belasteten Vaterländischen Regime zum Aufbau von Gegenmustern blieben, konnten sie nicht mehr abgebaut werden.

Dabei gab es keineswegs eine auch nur im Kern einheitliche österreichische NS-Bewegung. Was die Anhänger der Nationalsozialisten einigte, waren lediglich einige stereotype Phrasen, etwa jene um die „Heimkehr” in ein „Reich”, um einen „Anschluß”, ohne zu wissen, an „was”, sowie die elementare ökonomische Not, die nicht nur „beten” lehrt, sondern auch zu einem Gesinnungswandel fuhren kann. Schließlich die von oben geförderte Abneigung der Österreicher, ihren Staat als etwas anderes, denn als ein Provisorium zu verstehen. Wie es um den Nationalsozialismus in Österreich vor 1938 gestanden ist, schildert, wenn auch gegen seine Absicht, Dr. Walter Pembauer („Im letzten Kampf um Österreich”), den das Vaterländi- sche-Front-Regime zum Leiter eines „Volkspolitischen Referates” gemacht hatte: Jeder in der NSDAP schien gegen jeden zu sein.

Für die Infiltration in Österreich durch Österreicher selbst nur ein Beispiel: Im Handbuch „Deutsch-Öster- reich”, das der Kärntner Univ.-Prof. CarlBrockhausen 1927 herausgegeben hat, wird im Vorwort davon gesprochen, daß Deutsch-Österreich „zwangsweise” Österreich heiße. Als Zweck des Buches wurde erklärt, mit Hilfe desselben den Anschluß an die

„Brüder im Reich” geistig vorzubereiten. Die Mitarbeiter des Buches waren überwiegend auf den unabhängigen Staat Österreich vereidigte öffentliche Funktionäre, auch solche, die später als „Nichtarier” verfolgt wurden oder andere, die brav dem VF-Regime dienten wie Gesandter Eduard Ludwig, aber auch Personen, die nach 1945 nichts dabei fanden, nun den Anschluß zu bekämpfen.

Die letzte, hektische Woche vor der Okkupation zeigt im Rückblick einen erstaunlichen Enthusiasmus der Anhänger eines unabhängigen Österreich, eher aber eine Euphorie. Noch am5.März 1938 hielten wir von der Ka- tholisch-Deutschen Hochschülerschaft im Festsaal der Wiener Universität aus Anlaß unserer Jahrestagung eine Massenkundgebung ab, deren Stimmung in keiner Weise das Kommende und international ohnedies bereits Tolerierte ahnen ließ.

Illegale und Märzveilchen

Die Tage nach der Okkupation zeigten die Konstitution einer neuen Gesinnungsstruktur in Österreich, die sich bis zur Wende von Stalingrad nicht wesentlich änderte. Neben die Alt-Nationalsozialisten und sie im „Enthusiasmus” überbietend, trat die heterogene Schicht der „Zwischenwähler”. Angst und Hoffnung auf Vorteilsgewinnung ebenso wie Opportunismus führten die Mehrheit jener, die man heute in einem Bezeichnungsnotstand „Liberale” nennt, in das Lager der Nationalsozialisten. Sie standen eifrig da Spalier, wo man gesehen werden konnte und überboten sich in einem Nachholverfahren an Begeisterung.

Vor allem war es eine hohe Quote des „arischen” Besitzbürgertums, dessen Umstellung, soweit sie überhaupt notwendig war, in einem Tempo vor sich ging, das um nichts jener Schnelligkeit nachstand, mit der sich die gleichen Personen 1945 neuerlich „dosiert” anpaßten. Derart, daß jedesmal „die Kassa stimmte”.

Eine augenscheinliche Änderung erfuhr die Zusammensetzung der Großgruppe der Kirchengänger. Einerseits verschwand eine erstaunlich geringe Quote von „dominicantes”, dieselben, die sich 1945 zum Ausgleich bis zur Teilnahme an Bibelrunden und Exerzitien engagierten. Auf der anderen Seite gab es auch (geringe) Zugänge an Protest-Christen, an Menschen, die in einem Bekenntnis zur Kirche, zumindest in einer Zahlung des neuen Kirchenbeitrages, eine noch nicht verbotene Form des Widerspruchs zum neuen Regime sahen.

Gleichzeitig aber kam es innerhalb des Katholizismus zu Demaskierungen: Etwa der „Katholische Lesever- ein Akademia” erwies sich im Kern als eine NS-Zelle. Nach einem Vortrag, den ich im genannten Leseverein am 9. März hielt, stand man auf und sang demonstrativ die SS-Hymne. Wenige Tage vor dem Anschluß - also „rechtzeitig” - trat informell eine große Katholische Studentengemeinschaft aus dem Verband der Katholisch-Deutschen Hochschülerschaft aus. Gleichzeitig gab es kurze Zeit auch Merkmale eines „NS-Klerikalismus”: Die „Arbeitsgemeinschaft für den religiösen Frieden”, in der sich angeblich 35 dem Nationalsozialismus gegenüber „offene” Priester (wir würden heute sagen: „Friedenspriester”) gesammelt hatten. Diese Ziffer nannte mir der „Chef1, ein Religionsprofessor P., bei einem Gespräch im Büro der Arbeitsgemeinschaft.

In der Schule, in der ich als Vertragslehrer tätig war, erwies sich, daß der einzige echte Illegale der Religionslehrer war.

Die „Reichspost”, das Tagblatt der Katholiken oder eines parteipolitischen Katholizismus, durfte als ein in seinem politischen Teil völlig adaptiertes Blatt unter neuer Leitung einige Zeit weiterbestehen. Bereits am 13. März konnte ein Otto Howorka (nicht mit Nikolaus Howorka zu verwechseln) in einem Leitartikel „Der Erfüllung entgegen” den Anschluß begrüßen: „Wir Deutsche Österreichs treten heute geschlossen ein in die V olksgemeinschaft.”

Die stets vorhanden gewesene pluralistische Struktur im österreichischen Katholizismus zeigte 1938 kurzfristig dadurch eine starke Rechtsneigung, daß sich eine Großgruppe der katholischen Akademiker als „national” deklarierte, freilich, ohne sich des vollen Inhaltes des Adverbs bewußt zu sein. Die Tatsache, daß nicht wenige gläubige Katholiken auch der NSDAP angehörten, war nun eine nach 1945 nicht ausreichend beachtete Ursache dafür, daß es in den ersten Phasen nach der Okkupation nicht zu jener Form des Kirchenkampfes gekommen war, die sich die im Wesen atheistischen österreichischen Nationalsozialisten vorher erhofft hatten.

In der Ubergangsregierung des Bundeskanzlers Seys-Inquart, der sich selbst anfänglich noch als Katholik ausgab, hatten die Katholiken Glai- se-Horstenau, Wilhelm Wolf(CVer)und Oswald Menghin (CVer) Ämter. Wolf und Menghin - die beide nie der NSDAP beigetreten waren - standen in der kurzen Zeit, in der man sie zur Tarnung Regierungsämter bekleiden ließ, zu ihrer katholischen Weltanschauung. Das soll angemerkt werden. Als Ehrenrettung.

Infolge einer undifferenzierten Beurteilung der Ereignisse in den Märztagen 1938 im Sinn der blasphemisch- unmoralischen Kollektivschuldthese, wurde nach 1945 die Tatsache übergangen, daß es nicht nur „schlechte”, sondern auch „gute” Nationalsozialisten gegeben hatte, vor allem Gesinnungs-Nationalsozialisten, die den Terror ihrer Parteigenossen in einer erkennbaren Weise mißbilligten und überdies den Opfern des Regimes halfen, so bei der Beschaffung von Posten für jene, die aus politischen Gründen entlassen und mit einem faktischen Berufsverbot belegt wurden. Jedenfalls gab es zwischen den fanatisierten Nazis und ihren Gegnern eine breite Zone. Auch die „Reichsdeutschen” - Personen, die aus dem Teil des Großdeutschen Reiches, das man zur Abgrenzung „Altreich” nannte - als Administratoren, wenn nicht als Kolonisatoren, in die „Ostmark” kamen, hatten nicht einheitlich jene Eigenschaften, die man ihnen später in einer Stereotypisierung der Beurteilung zuschrieb. Bei vielen muß mąn sagen: im Gegenteil - die Folge von fünf Jahren Erfahrung mit dem Nationalsozialismus. Viele brotlos gewordene Österreicher wurden überdies von reichs- deutschen Unternehmungen nur deswegen eingestellt weil sie keine Nazi waren.

Uber die Zeiten hinweg…

Als ich im Herbst 1945 aus der Gefangenschaft heimkam, hatte sich neben den Männern des echten Widerstandes und den für ihre Gesinnung in den Konzentrationslagern Eingekerkerten eine merkwürdige Gesellschaft von Auch-Helden etabliert. Zum Teil in einer für sie profitablen Weise. Ich war nicht wenig erstaunt, daß mich teüweise die gleichen Männer wieder „suchten”, die mich 1938 in „Schutzhaft” nehmen ließen. Viele der „1945er” waren ehedem dem Nationalsozialismus nicht abgeneigt gewesen, aber Fachleute, die man in der Zweiten Republik benötigte. Auch deswegen, weil sie sich in den Jahren seit 1938 im Zivilleben Kenntnisse angeeignet hatten, welche die in den Konzentrationslagern Inhaftierten und zur Wehrmacht Eingezogenen nicht erwerben konnten. Peinlich aber war es, wenn Menschen, die 1938 in eine sichere („liberal” etikettierte) Neutralität gegangen waren, 1945 als die Ankläger des Nationalsozialismus (sie sagten meist aus Gründen der Vorsicht „Faschismus”) und überdies vermittels einer verfügbaren Presse als Präzeptoren der Zweiten Republik aufspielten (und dies zuweilen heute noch tun).

Der Autor war zum Zeitpunkt des Anschlusses der Vorsitzende der Katholisch-Deutschen Hochschülerschaft Österreichs und gehört zu den Überlebenden der katholischen studentischen Führungsgamitur der Ersten Republik.

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