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Sie kämpften an vielen Fronten

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Sieben Tage lang trotzte ein Volk der Besatzung, lehnte es sich dagegen auf, daß alle Hoffnungen, die in den letzten Monaten mühsam genährt wurden, mit einem Schlag wieder vernichtet werden sollten. Eine Woche nach dem Einmarsch der Russen aber schien es, als resignierte man in der CSSR. Der anfangs so heroische Widerstand brach nahezu schlagartig nach außen hin in sich zusammen. Fassungslos stand man im Westen vor diesem Phänomen. Angesichts der Leute, die weniger als eine Woche nach der Besetzung ihres Landes ruhig zur Arbeit gingen und wenige Tage darauf selbst die Plakate, Aufschriften und andere Zeichen des Widerstandes zu entfernen begannen, fragte man sich: Wer war es, der den Widerstand getragen hatte, und wie tief war dieser Widerstandswille eigentlich, daß er so rasch zu mehr oder offen deklarierter Mutlosigkeit absank?

Die Jugend voran

Zu Anfang schien es, als wäre es die gesamte Bevölkerung, die hier Widerstand leistete, und doch zeigte sich bald, daß es vor allen die Jugendlichen waren, die unermüdlich die Panzer umlagerten, die Russen in Diskussionen verwickelten, Flugblätter und Zeitungen verteilten. Die Älteren hingegen, wurden nur für kurze Zeit von dieser Woge der Auflehnung gegen die Russen mitgerissen. Selbst in den ersten Tagen der Besetzung gab so mancher, der zwar voll von Empörung über die Okkupation war und selbstverständlich auch sein kleines Fähnchen in den Nationalfarben am Rock stecken hatte, bereits resignierende Kommentare. Sia zeigten, daß zumindestens jene Bevölkerungsteile, die bereits die deutsche Besetzung erlebt hatten, kaum auf die Dauer ernsthaften Widerstand leisten werden. „Das haben wir doch alles schon erlebt. Wieso soll es diesmal besser ausgehen als vor dreißig Jahren?“

Und doch gab es in den ersten Tagen auch solche, die diese Erinnerungen verdrängen wollten, die daran glaubten, daß ihr Land in den Jahren seit dem Kriegsende eine so harte Schule durchgemacht hat, daß es diese neuerliche Vergewaltigung nicht einfach hinnehmen wird.

Jene aber, die diesen Widerstand wirklich trugen, waren vor allem junge Menschen, Studenten, junge Akademiker und Intellektuelle. Sie waren unbelastet von der letzten Kapitulation der Tschechoslowakei vor einer fremden Macht, sie glaubten an die Kraft und den Widerstandswillen des eigenen Volkes.

Die zerbrochene Front

Die Aufrufe dieser Jugendlichen, die durch ein Megaphon auf den Wenzelsplatz hinuntergerufen wurden, blieben ohne Echo. Nur wenige ältere Leute hörten auf sie, und wenn, schüttelten sie oft den Kopf. Und während sich bereits hier die Kluft zwischen jung und alt auftat, wurde sie erst recht vergrößert, als das niederschmetternde Ergebnis der Moskauer Verhandlungen bekannt wurde. Nach der Rede von Svoboda erkannten diese jungen Menschen, daß der alte Präsident geschlagen aus Moskau zurückgekehrt war. Ihre Reaktion darauf war spontan und konsequent. Sie hatten eine Woche lang Svoboda als Symbol des Widerstandes, als Mahnmal der Souveränität der CSSR verehrt — und nun diese Enttäuschung erlitten. Nun rissen sie die Plakate, die sein Bild zeigten, vom Wenzelsdenkmal, überklebten sein Gesicht mit Klebebändern und wischten seinen Namen vom Sockel. Noch glaubten sie an die Einigkeit der letzten Woche, noch meinten sie, daß jeder sagt: „Die Russen müssen abziehen. Wir werden uns zur Wehr setzen!“

Aber in diesen Stunden des Dienstagabend brach diese Front des Widerstandes auseinander. Und es schien eine symbolische Szene, als mitt der hereinbrechenden Nacht schon eine Stunde vor Beginn der Ausgangssperre die Jugendlichen am Wenzelsplatz allein gelassen wurden, während eine ängstliche und mutlose Bevölkerung in ihren Wohnungen vor den Maschinengewehren der Besatzer Schutz suchte.

Am Tag darauf, als fast keine Zeitungen erschienen, zeigte eines der wenigen Flugblätter, daß jener Widerstand, der in den letzten Tagen nicht so augenfällig in Erscheinung getreten war wie jener der ständig demonstrierenden Jugendlichen, noch nicht angebrochen war, nämlich:

Der Widerstand des Geistes

Am 28. August veröffentlichte die tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften nämlich eine Erklärung, die den Abzug der fremden Truppen und eine Rückkehr zum Kurs der letzten Monate forderte.

Dieser Widerstand und seine Wirkung auf breite Schichten war vielleicht eine der großen Lehren und Überraschungen der russischen Okkupation. Er begann bei den Stu

denten. Sie wurden die emsigsten Hilfsarbeiter des Widerstandes. In Preßburg, Olmütz, aber auch in Prag zeigten die Studenten die gleiche entschiedene Haltung.

Während sie aber die unzähligen anonymen Helfer waren, wurden Intellektuelle bekannten Namen Symbole des Widerstandes. Nur wer gesehen hat, wie sich die Leute um d,ie neueste Ausgabe der „Literarny Dšgt rissen, wie sie um den Glücklichen, der eines der wenigen Exemplare errungen hatte, herumstanden und versuchten, wenigstens einige Zeilen daraus lesen zu können, nur der kann begreifen, welche Rolle die Schriftsteller und Intellektuellen in den letzten Monaten und nun in der Zeit des Widerstandes

gegen die Russen spielten und spielen. Keiner der Beiträge in „Literarny Listi“ war namentlich gezeichnet, aber allein die kleine Notiz, daß es Vaculik, dem Verfasser des Manifestes der „2000 Worte“, gut gehe und er außer Gefahr sei, riß die Leute zu Begeisterungsausbrüchen hin.

Als auf einem anderen Flugblatt der bekannte Dichter Vaclav Havel eine Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen brachte, lernten die Leute diese Sätze auswendig. Sie sprachen davon, daß man vor den „Knaben aus Kasachstan“ keine Angst haben muß, sondern vor den Leuten in den eigenen Reihen, die mit den Russen Zusammenarbeiten könnten. „Denn die Knaben aus Kasachstan, sie können nicht unsere Bücher schreiben, sie können nicht unsere Zeitungen herausgeben, sie können nur hinter ihren Panzern sitzen, und diese ignorieren wir.“

Gelockerte und starre Fronten

Es wäre falsch, zu glauben, daß man sich vom Ausland Hilfe erwartet hätte. Es war eines der großen Ereignisse der ersten Tage, daß man sich plötzlich auf eigenen Kräfte besann und ein Staatsbewußtsein entwickelte, das nichts mehr mit dem tschechischen Chauvinismus vergangener Zeit zu tun hatte. Man kämpfte für sein Land, für die CSSR, weil man in diesem Land nach jahrelanger Bevormundung durch Rußland nun endlich einen eigenen Weg gehen wollte. Man warf mit einem Schlag alte nationale Vorurteile über den Haufen. Deutsche, wenn sie aus der Bundesrepublik waren, wurden als Freunde behandelt, und ein Plakat wie „Die Faschisten sind nicht in der Bundesrepublik, sondern in der DDR“ zeigte, daß hier eine Neuorientierung des Denkens stattgefunden hatte.

Während aber solche Vorurteile abgebaut wurden, war es interessant, zu beobachten, daß der Gegensatz zwischen Tschechen und Slowaken selbst in diesen Tagen der Bedrohung durch Rußland nicht zum Erliegen kam. Vor allem auf Grund der schlechten Informationsmöglichkeiten über große Entfernungen hinweg isolierten sich die beiden Landesteile. Der Parteitag der Slowakischen KP wurde in Prag nicht sehr beachtet, ja man sprach wenige Tage nach der Begeisterung über den außerordentlichen Parteitag der KPTsch davon, daß der slowakische Parteitag besser unterbliebe. Die Slowaken wiederum beschuldigten die

Tschechen der Untätigkeit und der Kapitulation. Ihnen schien oft das, was die Tschechen als passiven Widerstand bezeichneten, als Feigheit. „Wir hätten gekämpft“, sagte so mancher Slowake, und die besonders blutigen Unruhen in Preßburg schienen ihm recht zu geben. Die Tschechen aber meinten: „Was hätte es ihnen genützt?“

Dieses Fehlen des militärischen Widerstandes

war ein weiteres Phänomen der unruhigen Tage. Wieder einmal sah die Armee der Tschechoslowakei zu, wie fremde Truppen einmarschierten.

Eine andere Form des militärischen Widerstandes bestand und kam wahrscheinlich nur deshalb nicht zum Ausbruch, weil die Russen nach Möglichkeit jeden Zusammenstoß vermieden. Die Arbeiter, mehr als

60 Prozent der Bevölkerung der CSSR, traten nur zweimal zwischen 12 und 13 Uhr in den Streik und beteiligten sich nur wenig an den Demonstrationen. Aber in den Fabriken, da hatten ihre Milizen alles vorbereitet, um sich im Falle einer russischen Besetzung zur Wehr setzen zu können. Tatsächlich haben russische Panzer nie eine Fabrik besetzt. Es wird erst später möglich sein, diesen entschiedenen Widerstand der Arbeiter zu analysieren, aber es war sicher für die Sowjets eine der großen, von ihnen nicht geahnten Überraschungen, daß diese Arbeitermacht, obwohl in ihrer Grundhaltung kommunistisch, gegen sie Stellung nahm und in seltener Einmütigkeit den eigenen Weg zum Kommunismus verteidigte. Der vom Kommunismus gepredigte Zusammenschluß von Arbeitern, Bauern und Intelligenz — hier wurde er eine Woche lang Wirklichkeit!

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