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Agrams „bitterer Reis”

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Die jüngsten Studentenkrawalle in Agram, die im Westen fast unbeachtet geblieben sind, haben wieder schlagiichtartig die Zustände im Jugoslawien Titos erhellt. Das Genfer Tischrücken ist das große Ereignis, aber nur allzu- gerne läßt man die Dinge auf sich beruhen, wenn der Sturm vorüber ist. Der eine behält vielleicht noch den Warnruf Titos im Ohr, man solle sich um „die schwachen Stellen” an den Universitäten umsehen, welche die „Feinde” entdeckt hätten, aber im Grunde tritt alles auf der gleichen Stelle, es geht nichts vor in den Menschen. Indes haben die Vorgänge in Agram zwei Dinge erneut gezeigt, nämlich, daß die studentische Jugend, auch in den vom Kommunismus beherrschten Ländern, eine wache, ja oft heroische Avantgarde ist und sich in nichts von den westlichen Kommilitonen unterscheidet, daß aber auch der Hunger noch immer eine elementare, in das Weltgetriebe eingreifende Macht ist. Jedenfalls müssen viele Dinge zusammengekommen sein, damit ein solcher Schwund des Vertrauens einsetzen konnte. Wir wollen sie, etwas zurückgreifend, aufzeigen.

Die neue Generation im Staate Titos ist sehr viel anders, als es die alte war, die in den Wäldern gekämpft hatte. Mit Recht nennt man sie eine „skeptische Generation”, auch wenn sie das Parteibuch in der Tasche trägt, die aber um Himmelswillen nicht mit den „zornigen jungen Männern” in England und anderswo verglichen werden darf. Deren Zornesausbruch entspringt der Langeweile, wie sie im Wohlstand so üppig gedeiht, während die Studenten Jugoslawiens in bedrückender, geistiger wie materieller, Not leben. Mit wachen Augen sehen sie lieber nach dem Westen als auf die eigenen kommunistischen Embleme. Deshalb will sie der Staat an die Kandare nehmen, auf „Linie” bringen. Durch Verteuerung des Studiums, unter geschickter Ausnützung des ohnehin niedrigen Lebensstandards sollten die Widerspenstigen gezähmt und „bekehrt” werden. Die Linientreuen belohnten Stipendien, die anderen sollten hungern. Die Widerspenstigen blieben aber hart und darbten. Ihre tristen Studienbedingungen wurden schließlich in Amerika publik, wo bekanntlich eine große Anzahl US-Bürger südslawischer Herkunft lebt. Eine Hilfsaktion setzte ein. Schon 1946 hatten Kanadier kroatischer Abkunft einige Waggon Wäsche geschickt, sie landeten in verstaatlichten Hotels. 1949 spendeten amerikanische Hilfsorganisationen neun Waggon Reis und Eipulver, sie wurden vom Staat übernommen und zu erklecklichem Gewinn verkauft. Amerikanische Kroaten senden seit dem Jahre 1953 jährlich regelmäßig einige Waggon Reis für die staatlich geleiteten Mensen. Bisher hat kein Student auch nur ein Körnchen Reis bekommen. Die „planmäßige” anderweitige Verwendung von Reis war der erste schwere Vertrauensbruch. Im gleichen Jahr arrangierten die in einem Seminar untergebrachten kroatischen Studenten in Semlin einen „Hungerbummel”. Es war harmlos, trotzdem eröffnete die UDBA (die Geheimpolizei) das Feuer, tötete sieben Studenten, verwundete eine große Anzahl und verhaftete mehrere hundert. Sie wurden erst freigelassen, bis sie — unter Druck — gestanden hatten, sie seien von „ausländischen Feinden” aufgehetzt worden. 1956 kam es wieder zu Unruhen, bei kleineren Demonstrationen in Bosnien und Dalmatien wurden Jugendliche und Studenten verhaftet und zu mehrjährigen Kerkerstrafen verurteilt.

Die Agramer Unruhen vom 12. Mai trugen ernsteren Charakter. Sie zeigen einige Züge der Meuterei auf dem Panzerkreuzer Potemkin, bei der es auch um ungenießbares Essen gegangen war. Das Essen in der größten Mensa academica Agrams, „Stari Zbor”, war seit einer Woche fast ungenießbar gewesen. Vom 6. Mai an bekamen die Studenten auch kein Brot mehr. Ihre zaghaft und — man kann ruhig sagen — furchtsam vor getragenen Beschwerden wurden zynisch zurückgewiesen. Am 12. Mai war das Maß voll: Mehr als 3000 Studenten verweigerten die Annahme des ihnen schon servierten, ungenießbaren Essens und verlangten stürmisch Brot. Als man ihnen auch das verweigerte, formierten sie sich und zogen zum Amtssitz des Generalsekretärs der Kroatischen Kommunistischen Partei, Dr. Baka- ric. Auf, dem Wege schlossen sich noch etwa 4000 Arbeiter und Bauern an. Die rasch alarmierte Miliz und UDBA konnte den Zugang zum Palais Dr. Bakaric’ nicht rechtzeitig abriegeln, und aus Angst, die erbitterten Studenten würden das Gebäude stürmen, willigte der Generalsekretär ein, eine Abordnung zu empfangen. Er erklärte ihr, er sei nicht in der Lage, zu helfen, für die Mensen sei die Stadtverwaltung kompetent, und riet den Studenten, sich mit ihren Beschwerden an den Bürgermeister Holjevac zu wenden.

Der imposante Zug marschierte schweigend und in Achterreihen zum Bürgermeisteramt. Während dieses Marsches tauchten in der Menge die ersten Paroletafeln auf: „Gebt uns wenigstens Brot”; „Wo ist unser amerikanischer Reis hingekommen?” Eine Arbeitergruppe trug eine Riesentafel mit der Aufschrift „Füttert uns wenigstens so, wie Tito seinen Hund füttert”. Auch vor dem Bürgermeisteramt verhielten sich die vereinigten Studenten, Arbeiter und Bauern vollkommen ruhig. Eine Abordnung kreuzte nun im Zimmer des Stadtoberhauptes auf. Bürgermeister Holjevac warf erst einen Blick durchs Fenster. Weil nur wenige Milizen zu seinem persönlichen Schutz in der Nähe waren, gab er sich leutselig, versuchte die Studenten zu beruhigen, versprach einen Besuch in der Mensa und ermahnte sie, nun ruhig nach Hause zu gehen. Unterdessen hatten aber die unten wartenden Demonstranten erfahren, daß noch vor wenigen Tagen genügend Brotmehl vorhanden gewesen sei — ebenso auch Reis und Gemüse —, aber alle Lebensmittel waren zurückgehalten worden, um der UDBA zu ermöglichen, das Jubiläum ihres 15jährigen Bestandes „würdig” zu feiern. Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein, und die vom Bürgermeister kommende Abordnung wurde gar nicht mehr angehört. Der ganze Zug, unterdessen auf 8000 Mann angewachsen, zog nunmehr — laut und erregt — zum Sitz der Regierung. Und hier kam es nun zur Katastrophe. Gegen 50 UDBA- Offiziere und 300 Milizen sperrten den Zugang, und als die Masse vordrängte, eröffnete die Geheimpolizei (wie in Budapest im Oktober 1956) das Feuer auf die vorderste Reihe. Acht Studenten (unter ihnen eine Studentin) wurden auf der Stelle getötet — mehr als 200 verwundet. Die Masse flutete schreiend zurück. Hätten die Studenten — wie in Budapest — Waffen gehabt, wäre es wahrscheinlich zu einem unabsehbaren Massaker gekommen. Soweit es möglich war, nahmen sie ihre Verwundeten mit — doch fielen mehr als 350 Studenten der UDBA in die Hände. Tags darauf kam der Befehl des Zentralkomitees — angeblich von Tito persönlich ausgegeben —, diese gefangenen Studenten „gründlich” zu befragen, um alle „Fäden aufzudeoken, die ins Ausland führten”.

Bisher hatte Marschall Tito es seinen Paladinen überlassen, Unruhen ähnlicher Art öffentlich zu besprechen — diesmal trat er persönlich auf den Plan. In einer längeren Rede verurteilte er die Studentenunruhen scharf, nannte die Protestierenden Staatsfeinde und Volksverräter und verstieg sich zur Behauptung, die Unruhen seien vom „westlichen Ausland” inszeniert worden. Bei der Gelegenheit sagte er, „seine Partisanen hätten wochenlang gehungert und wären dann doch singend in den Kampf gezogen, an ihnen sollten sich die Studenten ein Beispiel nehmen”. Das war eine oratorische Fehlleistung, denn zwischen den im Wald hausenden Partisanen des Jahres 1943 und den Intellektuellen des Jahres 1959 ist zweifellos ein großer Unterschied. Einen Tag später wurde Tito von seiner eigenen Presse desavouiert, die die Studentenunruhen überhaupt leugnete und jede Nachricht darüber als „böswillige Verleumdung” brandmarkte. Es kann dies als ein Zeichen der in letzter Zeit geschwächten Position Titos . im Zentralkomitee angesehen werden. Die russophilen Mitglieder des Zentralkomitees sind heute aktiv und arbeiten nach den Weisungen des russischen Botschafters in Belgrad, dem daran gelegen ist, das Ansehen des Marschalls, wann immer sich ,die Möglichkeit dazu bietet, zu verringern.

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