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Stjepan Radic

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Leibhaftig sehe ich ihn noch vor mir, den mittelgroßen Mann mit den breiten Schultern. Derb, gedrungen ist seine Gestalt. Kräftige Arme agieren dauernd und ein festes, eckiges Haupt sitzt darüber. Das Gesicht ist nicht eigentlich markant; Dutzenden solchen Gesichtern begegnet man in den Dörfern Kroatiens; nur ein Zug darin fesselt eigenartig: die freie, offene Stirn. Unter ihr bannt dich das Auge, das eine, das fest auf dich gerichtet ist, während du mit ihm sprichst, das andere irrt, flackert, sucht im Raum herum, als hole es die Begriffe von den Wänden, die Worte, deren er sich bedient. Doch es war nicht etwa Nervosität, sondern nur der Ausdruck einer frühzeitigen argen Kurzsichtigkeit. Sein ganzes Wesen war das eines Bauern. — Auch im Reden blieb Radic Bauer. Nicht weil es ihm an Bildung fehlte; er sprach mehrere Sprachen, darunter Deutsch recht gut; die Bildung seiner Zeit war ihm vertraut, die deutschen Philosophen, besonders Hegel, lwaren ihm ebenso Grundlage seines 'Denkens, wie das des Russen Bakunin bezeichnenderweise es für seinen großen serbischen Gegenspieler war, für Nicola Passow, der eigentlich Bulgare gewesen und sich erst später Pasic schrieb.

Radic war bewußt Bauer und wollte trotz seines Doktortitels Bauer bleiben.

Wie er vom Dorf kam, so wollte er zum Dorf sprechen. Er wollte nicht die Bildung der Stadt aufs Dorf tragen, er wollte umgekehrt die Kultur des Dorfes, seine Wahrhaftigkeit, seine Naturverbundenheit und Natürlichkeit in die Stadt bringen. Im Dorf sah er den Wert, in der Stadt den Unwert. Daher auch seine Forderung, daß nicht die „Stadtfräcke“, wie er spottete, über die Bauern, sondern die Bauern über die anderen herrschen. Die Ernährer sollen herrschen, nicht die Verzehrer. In der Durchführung ließ Radic mit sich reden, aber in der Doktrin blieb er bei seinem Extrem.

Das Elend. und die arge Rechtlosigkeit, in denen sich die kroatische Bauernschaft allen Gesetzen zum Trotz praktisch befand, waren der stärkste Antrieb zur Gründung der Kroatischen Bauernpartei. Es soll aber nicht bloß das Bauerntum „politisiert“ werden, sondern die Bauern sollen erzogen werden, selbst Politik zu treiben. Im Sabor, im Landtag, streitet sich ein Häuflein Advokaten, Journalisten, Geistliche und sonstige Städter — um ihre eigenen Angelegenheiten. Den Bauern suchen sie nur auf vor den Wahlen. So denkt und redet Radic. Er will das von Grund auf ändern. Er zieht von Dorf zu Dorf — und was in Kroatien noch nie dagewesen war, wird Tatsache: Bauern versammeln sich in einem Bauernhaus zu einer von Bauern einberufenen Versammlung, um über Bauernangelegenheiten zu beraten.

Die Bauernpartei hielt sich in jeder Hinsicht unabhängig, von der städtischen Intelligenz, vom städtischen Kapital, von der städtischen Presse.

1904 saßen neben 19 Mitgliedern mit höherer Schulbildung nur 2 Bauern; 1905 waren die Bauern schon die Mehrheit, und allmählich trachtete Stjepan Radic, die gesamte Führung der Partei, bis auf die wenigen Ämter, die wegen ihrer notwendigen Rechtskenntnisse in der Hand von Akademikern bleiben mußten, in die von Bauern zu legen; aber auch die wenigen Akademiker wurden aus den Dörfern geholt.

Die Organe der jungen Partei „Hrvatska Misao“ — der kroatische Gedanke — wie „Dom“ — das Heim — standen ausschließlich unter der Führung Radic', und das Geld für die sie herstellende kroatische Bauerndruckerei wurde durch kleinste Aktien — zu 20 Kronen das Stück! — aufgebracht.

So zog Radic in den Wahlkampf. 1906 blieb er noch ohne Mandat, 1908 gewann er 3, 1911 stieg die Zahl auf 11. Der Umsturz von 1918 aber änderte die Lage von Grund auf. Jetzt gehörte ihm die Führung in den kroatischen Gebieten des ganzen neuen Staates der Serben, Kroaten und Slowenen. Von den 93 auf das Gebiet des früheren kroatischen Sabors entfallenden Mandaten gewinnt er 49.

Radic nannte sich selbst 1910 im Sabor . den „größten Akrobaten der Politik“. Tatsächlich bediente er sich einer Taktik, die höchst widerspruchsvoll war. Bald war er rebellisch, daß man ihn in den Kerker warf, bald war er demagogisch, daß man ihm die Achtung entziehen zu müssen glaubte, bald friedfertig und versöhnlich, daß ihm Unterwürfigkeit zur Last gelegt wurde, dann war er wieder bis zum äußersten aggressiv, den Gegner verhöhnend und beleidigend.

Auch hier in Wien gab er Kostproben dieser seiner Leidenschaftlichkeit und seines Temperaments. Bei einem Vortrag in der Leo-Gesellschaft kam er auf den Gegensatz zwischen Serben und Kroaten und dabei plötzlich in heftigem Ausfall auf den Papst zu sprechen, „der dem alten Lumpen, dem Pasic, seinen Segen erteilt habe“. — Pasic war nämlich als Ministerpräsident in einer der förmlichen Audienzen beim Papste, die zur politischen Etikette gehörten, gewesen. Ähnlich entgleiste Radic bei derselben Gelegenheit, als er von dem letzten Kaiser von Österreich redete. Mit sichtlich ehrlich gemeinten Worten schilderte er die menschlichen Vorzüge Kaiser Karls: „Er war ein guter Mensch, ein anständiger, frommer, braver Mann. Er hatte das beste Herz und den gerechtesten Sinn, aber als Politiker“. . . und dann kam plötzlich ein primitivgrobes Wort.

Wer in solchen Proben ungezügelter Rhetorik Stjepan Radic* einen Charakterdefekt sieht, urteilt aber doch zu hart. Radic sprach nur seine Sprache, die derbe Sprache seiner Bauern, und er wählte seine Worte nicht anders, ob er im Dorfwirtshaus redete oder auf akademischem Boden. Den Wechsel seiner politischen Taktik könnte man als Wankelmütigkeit bezeichnen, aber auch als bedenkenlose Urwüchsigkeit und Realistik. Jener Vortrag in Wien ließ ihn auch eine Erklärung abgeben über die Haltung zum serbischen Königshaus. Wie ein Schwur klang es, als Radic in die Versammlung schrie: „Nie werden wir Kroaten die fluchbefleckte Mörderhand eines Kara-djeordjevic ergreifen. Nie werden wir die Vidovdan-Verfassung anerkennen!“ Es vergingen nicht allzuviele Monde, war Radic Unterrichtsminister. Das Ziel war Radic alles, der Weg nichts; mochte er noch so krumm sein, wenn er nur dahin führte. Das Ziel aber blieb für Radic immer unverrückbar das gleiche. Zunächst wollte er die kroatische Autonomie. Der autonome kroatische Staat sollte der erste freie Bauernstaat werden. Er sollte Muster und Beispiel sein.

Aus diesen Grundsätzen heraus müssen wir die Gegnerschaft Stjepan Radic' gegen allem Zentralismus verstehen. Sein leidenschaftlicher Kampf gilt den „Herren“, den Intellektuellen, deren Zivilisation ihm nur hohle Äußerlichkeit, nur wesenlose Tünche, nur Tand und Dünkel scheint. Wer die politisierenden Schichten Serbiens näher betrachtet, der kann diese Meinung begreifen. Auch das serbische Volk ist ein braves, arbeitsames, biederes Bauernvolk. Aber seine Politik wurde nur allzuoft und allzusehr von entwurzelten volksfremden Intelligenzlern und solchen, die sich dafür hielten, geführt. Daher rührt auch Stepan Radic' sofortige Bereitwilligkeit, mit den Serben zusammenzuarbeiten. Er will nicht bloß der kroatische, er will der südslawische Bauernführer seinl Sein Blick umkreist den ganzen Horizont. Daher auch seine Befürwortung einer südslawisch-bulgarischen Union. Daher seine Reise nach Rußland. Nicht den Kommunismus sucht er dort, nicht das Panslawentum, sondern die große Masse der Bauern. Wladimir Iljitsch Lenin verkündete die Herrschaft der Arbeiter und Bauern, und Josef Dschugaschwili Stalin betonte die Rolle, die den Bauern in der russischen Revolution zukommen soll. Das zieht Radic nach Moskau. Eine allgemeine Bauernrevolution ist sein innerstes Streben, eine weitausgedehnte Föderation von Bauernstaaten sein letztes Ziel. In der katholischen Kirche, der er angehört, glaubte er gleichzeitig dafür eine wertvolle Grundlage zu finden. Er sah in ihr eine Macht zur Verbreitung, Befestigung und Sicherung des Friedens. Alle Bauernpolitik aber ist Friedenspolitik. Die Pflugschar ist des Schwertes ewiger Feind.

Seine Persönlichkeit umwittert eine eigenartige Tragik. Zeitweise kommt er zu Verständigungen mit den Serben, bald mit ihren Demokraten, bald mit den Radikalen. Radic tritt in die Regierung ein, die Pasic leitet, doch auch in ihr kämpft' er seinen alten Kampf. Die Politik der städtischen serbischen Führer gilt ihm als korrupt, die Kabinettsdiplomatie des Regierungschefs als volksfremd. So wird er als Regierungsmitglied zum Ankläger, und er trägt seine Anklage hinaus in die Massen. Er wühlt sie auf und entzündet einen Brand, der bald das ganze Staatsgebäude erfaßt. Wild lodern die Leidenschaften auf. Das hätte Radic*

nicht zu fürchten gebraucht, denn dadurch, daß er die Leidenschaften des Volkes aufpeitschte, wurde seine Partei mächtig. Nur eines übersah er. In Kroatien redete e r zu den Bauernmassen — in Serbien aber redeten die alten Berufspolitiker In Serbien gab es keine Bauernbewegung wie jenseits der Save und der Donau, wo aber ein Bauer in der Politik Serbiens stand, war er genau so Berufspolitiker wie die andern auch. So schieden sich die Geister nicht, wie Radic wollte, in Bauern und Städter, sondern in Serben und Precamn — „Jenseitige“, wie sie alle zusammen jetzt genannt wurden —, die Kroaten, die Slowenen, die Serben im ehemaligen österreichischen Gebiet, die, mit Radic' seinerzeitigem Feind Pribicevic an der Spitze, zur Opposition gegen die immer ( mehr das Großserbentum betonende Regierung werden. Ein Gegensatz tut sich auf, wie ihn die Geschichte zwischen so nahe verwandten Stämmen selten, wenn je gesehen hat. Radic ist sich der Gefahr nicht bewußt, er lebt in einer erträumten Welt. Noch wenige Wochen vor seinem Ende verteidigt er unter Parteifreunden den Mann als einen „anständigen Kerl“, der dann den tödlichen Streich gegen ihn führen sollte — nur weil er Bauer war. So leitete er den Kampf auch nicht eigentlich, er macht ihn nur mit; in vorderster Linie selbstverständlich. Aber die Obstruktion, die seine Partei und ihre Kampfgefährten in der Skupstina treiben, sind das Werk der zweiten Garnitur. Dafür aber ist sie um so wüster, um so rücksichtsloser. Und während eines dieser Stürme fallen Schüsse und von vier Kugeln aus dem Revolver des ehemaligen montenegrinischen Komitatschi Punisa Racic getroffen, sinkt der kroatische Bauernführer nieder. Er sollte von den Wunden nicht mehr genesen.

Harte, dornenvolle, blutgetränkte Wege sind Serben und Kroaten seither gegangen, beide bis heute begleitet von der breiten Spur, die Stjepan Radic hinterlassen, ein Mann, der so voll Glut und so voll Widersprüchen war, wie der Schauplatz, auf dem er Geschichte machte.

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