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Tragik der Volksdeutschen „Inselpolitik“

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Ueber das Schicksal der' Restgruppen deutschsprachigen Inselvolkstums in Südosteuropa nach den katastrophalen Erschütterungen der Umbruchsjahre zwischen etwa 1938 und 1947 kann man heute nicht sprechen, ohne allen Ernstes die Frage aufzuwerfen, inwiefern die Fehlentwicklung eines geradezu klassischen Kapitels nationaler Unduldsamkeit letzten Endes in jenem Ueberlegenheitsgefühl begründet liegt, mit dem der deutsche Mensch unvorbereitet, gleichsam einem Abenteuer entgegen, in den verträumten, in sich ruhenden Osten ausgezogen ist, um einer Welt, die nach eigener Gesetzmäßigkeit gedieh, eine Ordnung aufzuprägen, die ihr fremd war und die sie von dem Augenblick an zunehmend auch als feindselig empfinden mußte.

Das Abenteuer setzte ein, als im frühen Mittelalter deutsche Bergleute und Handwerker in die Zips, nach Siebenbürgen und bis hinunter auf den Balkan vordrangen. Nicht, daß schon damals die Notwendigkeit empfunden wurde, zum Schutze der ethnischen Merkmale der Ausgezogenen Dämme zu errichten und Wälle aufzubauen, es lag im Strukturellen begründet, daß man sich einigelte, um nach jenem Lebensgefühl zu bestehen und in jenem Lebensstil weiterzuleben, der als angemessen empfunden wurde, bis die kriegerische Bedrohung jenen Zusammenschluß nach innen, jene Abgrenzung nach außen begünstigte, die in den so eindrucksvollen Wehrtürmen der Kirchenburgen einen symbolhaften Ausdruck für den Behauptungswillen, aber auch für die Vereinsamung der Inseldeut sehen fanden.

Die Geschichte nahm ihren Fortgang, als sich ein geradezu unheimlich lebenstüchtiger bäuerlicher Menschenschlag in der Nach-Türkenzeit in die menschenarmen Landstriche der unteren Donau ergoß und, kraft seiner charakterlichen Eigenschaften und dank der fortschrittlichen Wirtschaftsweise, die er aus dem Westen mitbrachte, das Gesetz des Handelns bestimmte, ohne sich bewußt zu werden, daß das Lebens- geset?,- das ęr vertrat, jemanden verletzen . konnte, ohne zu ahnen, daß eij unt .Träger, eine,r ungeheuren, zunächst unblutigen sozialen und wirtschaftlichen Revolution wurde, die er einfach durch seine Anwesenheit heraufbeschwor.

Dann kam das Ende, das die deutschsprachigen Inselgruppen ebenso unvorbereitet traf, wie seinerzeit die Ostwanderung unvorbereitet abgewickelt wurde. Jahrhunderte hindurch gestauter Haß erstickte das Leben und vergalt auf unvorstellbare Weise jene Unterlassung des Kolonialistenmenschen, daß der gewonnene Boden, der einen ernährt, auch mit geistigen Mitteln erobert werden muß. Hier aber scheint eine der tieferen Ursache der Deutschtumskatastrophe im Osten und Südosten zu liegen.

Der deutsche Ostwanderer hat den Raum, in dem er sich rein materiell beheimatet fühlte, geistig nicht beherrscht. Die bodenständigen

Volksdeutschen Kräfte konnten nicht ausreifen. Sie blieben im Provinzialismus stecken oder übernahmen kritiklos die wissenschaftliche Fragestellung der binnendeutschen Forschung. Die nachhaltige Beeinflussung der inseldeutschen Volksforschung mit einem unverkennbaren Zug zur Romantifizierung war nur möglich, weil die Inselgruppen von jenen aus dem Binnenraum in die Insellage hineingetragenen Wissenschaftszweigen „entdeckt“ wurden, die am stärksten von national-emotionellen Antrieben beherrscht waren: der Germanistik und Volkskunde. Es mag vielleicht grotesk klingen, und doch scheint es nicht so abwegig, zu behaupten, daß die geistig-politische Entwicklung des Inselvolkstums im Südosten eine ganz andere Richtung genommen hätte, wären die Volksdeutschen von Soziologen „entdeckt“ worden.

Der hypertrophe Nationalismus, den alle in den ethnischen Mischzonen des Südostens lebenden Volksgruppen mit besonderer Sorgfalt kultivierten, mußte schließlich zwangsläufig den Raum politisch sprengen. Der deutsche Beitrag zur Sprengstoffbildung bestand zunächst darin, daß man über einen klaglos funktionierenden Apparat unter der Parole „Deutsche Kulturleistungen im Südosten“ zuletzt schon fast so sprach, also ob außer dieser Kulturleistung, die außer Zweifel steht, kaum noch etwas ernstlich in die Waagschale fiele. Leider bietet auch die Publizistik in der Vertreibung kaum Anlaß zur

Annahme, daß diese entstellte und verzerrte Schau auf einen durch eine Vielfalt von Impulsen entwickelten ganzheitlichen Raum als überwunden gelten könnte.

Es schien mir notwendig, diese einleitenden Bemerkungen den folgenden Feststellungen über die Situation der Restgruppen deutschen Inselvolkstums in Südosteuropa vorauszuschicken.

Wenn auch die Vertreibung selbst nach einem kommunistischen Plan erfolgte, so wurde doch der ganze Vorgang unter starken nationalistischen Ressentiments abgewickelt. Die Geschichte des kommunistischen Systems kennt Massenumsiedlungen größten Ausmaßes, Zwangsarbeit und Entrechtung, und doch muß die Methodik des Völkermordes durch die Tito-Partisanen als Novum bezeichnet werden. Hinter die letzten Geheimnisse des grauenvollen Geschehens in Jugoslawien zwischen 1944 und 1948, dessen Opfer die Volksdeutschen wurden, wird man erst kommen, wenn auch der Anteil einer nationalistischen Fehlentwicklung mit einkalkuliert und psychologisch gedeutet wird. i

Die Materialsammlung für das geplante Dokumentationswerk über die Vertreibung der Jugoslawiendeutschen hat bereits bisher überzeugend bestätigt, daß die russischen Truppen, wo immer sie mit den Liquidierungstrupps der Tito-Partisanen bei Ausführung ihres Vorhabens in Berührung kamen, zugunsten der Volksdeutschen entschieden intervenierten. Es ist nicht populär, dies besonders hervorzuheben, und doch sollte auch diese Tatsache, die vielfach verbürgt ist, der Wahrheit zuliebe festgehalten werden.

Stilecht im Sinne der kommunistischen Prak tik waren beispielsweise die Sanktionsmaßnahmen in Ungarn und Rumänien, wo die „erziehungsbedürftigen“ Schwaben auf die Reisfelder in die Gegend von Debreczen, zur Arbeit auf dem Staudamm nach1 Tiszalök oder- zur Zwangsarbeit in die Baragan-Steppe und zum Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals verbracht wurden. Aehnlich erging es eiijer gewissen „bourgeoisen" Schichte der Siebenbürger Sachsen.

Die Sonderentwicklung in Jugoslawien ist nur als Folge der unglückseligen Politik Deutschlands zwischen 1941 und 1944 auf dem Balkan verständlich. Die eigentlichen nationalistischen Elemente (Sokol-, Orjuna-, Tschetnik-Anhänger) mußten im Wald Zuflucht suchen und vergalten später dann an den greifbaren, zurückgebliebenen Deutschen, was sie an Unbill erlitten hatten und rächen zu müssen glaubten.

Das Volkstum galt in der Insellage als höchster und letzter Wert, dem geistige, wirtschaftliche, politische, persönliche und sogar religiöse Gesichtspunkte untergeordnet waren. In diesem Zusammenhang interessieren vor allem die politischen Folgen einer solchen Geistigkeit, die sich verhängnisvoll zunächst darin abzeichnete, daß Inseldeutsche kaum irgendwo in eine echte, auch vom staatlichen Ganzen her gesehene allgemeine politische Funktion hereinwuchsen. Ihre politischen Potenzen verausgabten sich im Rahmen von „Deutschen Parteien“, deren geistige Grundlage und einzige Zielsetzung im Ethnikum lag, während die staatstragenden Parteien doch sehr nachhaltig auch von bestimmten soziologischen Gegebenheiten der Gesamtbevölkerung aus die Interessenvertretung gewisser Schichten über alle nationalen Schranken hinweg sozusagen von vornherein beanspruchen konnten. Und hier schon zeichnet sich der innere Bruch ab, wenn berücksichtigt wird, daß ja der einzelne Inseldeutsche seine ganzheitlichen politischen Interessen darin allein nicht gewährleistet sehen konnte, daß er sich mit Haut und Haaren lediglich einem aus dem Völkischen abgeleiteten Programm verschrieb. Die politische Maxime der deutschen Parteien in den Nachfolgestaaten war der völkische Gedanke. Um das daraus resultierende Programm vertreten und verwirklichen zu können, bediente man sich der sozial stärksten Deutschtumsschicht, der Großbauern, die aber nur einen verschwindenden Bruchteil der insel- deutschen Gesamtbevöikerung ausmachte. Die Vielfalt der übrigen existentiellen Probleme übersah man geflissentlich. Die ganze soziale Migrationsbewegung aus dem gesamten Karpatenbereich, die etwa 1880 einsetzte und. Sttöme von inseldeutschen Auswanderern nach den USA, nach Kanada, aber auch nach Südamerika führte, blieb daher völlig unbeachtet und stellte für die Führung weder ein menschliches noch ein soziales oder gar politisches Problem dar, obwohl die Zahl allein der Donauschwaben in Nordamerika heute auf 500.000 geschätzt wird und somit also in der sozial angeblich so ausgeglichenen Blütezeit etwa ein Drittel des Volksganzen aus dem donauschwäbischen Dorf hinausgedrängt wurde.

Um die Jahrhundertwende erfolgte dieser Zug, besonders aus dem industrialisierten Temesvärer und Reschitzaer Raum, fast möchte man sagen, unter klaren sozialdemokratischen politischen Vorzeichen. Hunderte Banater „Arbeitervereine“ in den Millionenstädten Amerikas, von denen heute noch Dutzende bestehen, obwohl inzwischen ihre Mitglieder zu Wohlstand gekommen und einige auch Millionäre geworden sind, erhärten diese Feststellung.

Das Bild vom inseldeutschen Donauschwaben wurde aber durch eine so geartete „völkische“ Politik so einseitig mit der Vorstellung vom Großbauern verknüpft, daß selbst klare statistische Unterlagen diese Schematik nicht zu beeinträchtigen vermochten.

Als in den dreißiger Jahren in Jugoslawien die etwas unausgegorene, mit marktschreierischen revolutionären Parolen angetretene Borba- schen-Partei in kürzester Zeit einen ungeahnten Zulauf gerade von Donauschwaben aus den „reichen" Bauerndörfern verzeichnen konnte, war man in deutschen Führungskreisen fassungslos über eine solche „Entgleisung", ohne daß man sich veranlaßt gefühlt hätte, aus diesem symptomatischen Vorgang auch nur die leisesten Schlußfolgerungen für die eigene Politik zu ziehen.

Politisch hat diese schematisierte Großbauernpolitik der Inseldeutschen nach einer anderen Richtung hin ausgeschlagen. Wahrend die Aera der Volksgruppenpolitik einen deutschen Politiker typisierte, der, wenn er persönlich geistig noch so hoch stand, den allgemeinen Durchschnitt kaum erreichte, brachten die bäuerlichen Inseldeutschen hervorragende Vertreter der Linken hervor, die nach 1945 eine Ko jste IvtpiV„dem Sowjets,ystem fanden.; ütwTi auch ausbauen und festigen konnten. Es ist kein Geheimnis, daß das Arader Mitglied des Zentralkomitees, Philipp Geltz, der Lugoscher ehemalige Botschafter in Bern Emmerich Stoffel, Breitenstein, Liebhard, Lillin und andere heute in gesamtrumänischen Relationen mehr Einfluß haben als irgendeiner der Volksgruppenpolitiker aus der Zeit der Minderheitenpolitik. Eine bedeutsame Entwicklung kann kaum übersehen werden: die exponierten Vertreter des im Südosten noch in Restbeständen vorhandenen deutschen Inselvolkstums haben sich aus dem Volksgruppengetto herausgelöst und sind in echte, gesamtstaatliche Aufgabenbereiche hineingewachsen.

Gleichzeitig hat der Kommunismus im Sinne seines revolutionären Prinzips eine geistige Auseinandersetzung ungeheuren Ausmaßes eingeleitet, deren Breiten- und Tiefenwirkung wir heute nur andeutungsweise an Hand gewisser Symptome beurteilen können. Während beispielsweise der im Exil lebende Volksgruppenteil am Vermächtnis Adam Müller-Guttenbrunns hängt, als ob es sich um eine politische Bibel handelte, haben geistige Kräfte im Banat eine Neubewertung seines Werkes aus der Zeit heraus gewagt und das Ueberzeitliche daran durch eine neue Deutung wieder verlebendigt. Diese Auseinandersetzung scheint vor allem die Erzieherkreise erfaßt zu haben, von denen sich besonders eine jüngere Generation mit viel Eifer darangemacht hat, aus den Archiven neues Material zu erheben. Zweifellos handelt es sich um einen so tiefgreifenden Vorgang, daß selbst die als unverrückbar gehaltene siebenbürgisch- sächsische evangelische Kirchenbastion in den Strudel der Auseinandersetzung mitgerissen wurde und der Hermannstädter Bischofvikar Hermann als einer der prononciert kämpferischen Vertreter der „neuen Zeit“ immer klarer in den Vordergrund rückt. Auch wenn damit nicht behauptet werden soll, daß die führenden Persönlichkeiten des deutschen Inselvolkstums hinter dem eisernen Vorhang alle geeichte Kommunisten sind, so steht doch fest, daß heute weder die Führung noch auch das Volk jene geistig-politischen Positionen bezieht, die bis 1944 gehalten wurden.

Dieser Vortrag wurde auf der „Vierten gemeinsamen Arbeitstagung der allgemeinen Heimvolks- hochschulen“ (St.. Martin/Retzhof) diskutiert.

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