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Randlemerkungefi zur woche

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VOR DEM LODERNDEN SCHEITERHAUFEN auf dem Regensburger Kornmarkt hielt ein Oesterreicher die „Feuerrede", „Im Namen von 10.000 österreichischen Waffenstudenten" warb er, wie sein Vorredner, ebenfalls ein Oester reicher, für die „große Gemeinschaft deutscher Zunge" und hob hervor, daß er um die „tiefen Geheimnisse der völkischen Zusammenhänge" wisse. Alos geschah’s, auf dem Deutschen Burschentag, am 7. Juni 1954. — Die „tiefen Geheimnisse der völkischen Zusammenhänge" sind in den letzten Jahrzehnten für ganz Europa, für die ganze Welt schreiend offenbar geworden, in unendlich viel Blut und Elend. Die Trecks der Umsiedler, dann der Vertriebenen wissen ein Lied davon zu singen. Vielleicht wäre es gut, wenn sich die Redner der künftigen „Feuerreden", wie sich in romantischer Sprache seit dem Wartburg-Fest diese Schlußveranstaltungen der Deutschen Burschentage nennen, im Angesicht der Fackeln und der festlich gestimmten Gesichter erinnern würden, für eitlen Herzschlag wenigstens, an das, was aus den Feuerreden in den letzten fünfzig Jahren geworden, gewachsen ist. Wer Sturm sät, darf sich nicht wundern, wenn er Sturm erntet. — Für uns Oesterreicher, die nicht die Gelegenheit hatten, bei dem großen Fest dabei zu sein, erwuchs bereits die erste bittere Frucht Jede dieser Reden wird nämlich sofort von östlicher Seite aufgegriffen und in harter Münze vergotten. So arbeiten, wie vor 1933 bereits in Deutschland, Links- und Rechtsradikale Hand in Hand, sie iizitieren sich gegenseitig immer höher hinauf — Schrei antwortet auf Schrei, Aktion auf Aktion: so droht eine Schlinge zu entstehen, die uns erwürgen könnte, wenn wir nicht rechtzeitig nach dem Rechten sehen. Dieses Reghte ist jenseits der Rechten und Linken beheimatet, genau dort, wö das Lebensrgcht unseres Landes verteidigt wi d von Oesterreichern, die es weder dieser hoch jener fremden Macht preisgeben.

MESDAMES, MESSIEURS, FA1TES VOTRE JEU.. . Soll dieser Ruf des Croupiers, mit dem gewisse Zeitgenossen, die ihre ;Bildung’ aus dem , wöchentlich mindestens ein- bis zweimaligen obligaten. Kinobesuch beziehen, ihre Vorstellungen von der „großen Welt“ verbim den, bald auch in den Räumen des Schloßhotels Cobenzl erschallen? Nun, die Meinung über die- Notwendigkeit der Eröffnung neuer Spigikasiftos in -Oesterreich ‘-Ist - sehr geteilt. Selbst wer nicht mit uns grundsätzliche Bedenken gegen die Ausbreitung des Glücksspiels, das für viele schwache Charaktere nur zu oft zum Unglück wurde — gerade in letzter Zeit beschäftigten einige Fälle wieder die Gerichte y heglf wird ebenfalls ein Veto dagegen ein-’ legen, daß in eindr Vorlage, die unverständlicherweise den Mimisterratbereits passiert hat, der Kasino-AG. aus Steuermitteln 15 Millionen Schilling für den Ausbau des Schloßhotels Cobenzl —- wir wollen annehmen als Darlehen und nicht, wie bereits gesprochen wird, als Geschenk — zugesprochen werden sollen. Gleichgültig ob Darlehen oder Geschenk: dazu dürfen die Abgeordneten des österreichischen Volkes, das einen solchen Schritt kaum verstehen würde, nicht ja sagen. Dem Vernehmen nach hat die Sozialistische Partei für die Abstimmung über diese Vorlage die Klubdisziplin aufgehoben. Mit noch größerer Berechtigung darf erwartet werden, daß auch von seiten der ersten Regierungspartei zumindest ein gleicher Schritt erfolgt. Ueber einen Ausbau des vom Krieg schwer mitgenommenen Schloßhotels Cobenzl — es diente bekanntlich durch Jahre Heimatvertriebenen als Herberge — würden wir uns freuen. Aber nicht aut diesem Weg, nicht zu diesem Zweck. Um wieder in die Sprache des Croupiers zu verfallen: Rien ne va plus! Nein, d a s. geht wirklich nicht mehr,

„WENN ZWEI ÄRZTE ZUSAMMENSITZEN, haben sie drei Meinungen — und das nicht vielleicht in einer beruflichen Saeziai- debatte, sondern selbst dann, wenn von Maßnahmen zur wirtschaitlichen Hebung ihres :Be- ruisstandes die Rede ist.“ Dieses bittere Wort, es könnte genau so auf jede andere akademische Berufsgruppe geprägt sein, fiel auf der vor einigen Tagen in Wien abgeschlossenen Delegiertenkonferenz des „Oe-sterref- c hi sehen Akademikerbundes" Zugleich aberweist es dieser Vereinigung, die seit ihrer vor Jahresfrist stattgetundenen Gründung schöne organisatorische Aniangseriolge erzielen konnte, Ziel und Richtung: die -alles andere als mühelose, mit viel Zähigkeit und Takt dutchzuiährende Koordinationsarbeit zwischen den vielen Sonderwünschen der einzelnen akademischen Berufe, ihre Abstimmung auf ein gemeinsames Ganzes steht an vorderster Stelle. Hernach aber kommt gleich eine Aufklärungsarbeit, die unter Vermeidung aller bei Akademikern besonders unbeliebten Schlag- worie,sich ruhig und sachlich bemüht, aufzuzeigen, was not tut und was getan werden muß, damit wieder bessere Tage kommen für den Akademiker in Oesterreich,

DER SUDETENDEUTSCHE TAG in München muß als eines der wichtigsten innen-

politischen Ereignisse in Deutschland in der letzten Zeit beachtet werden. Eine halbe Million Menschen, denen sich ein Dutzend führender deutscher Politiker als Redner und Teilnehmer präsentierten, darunter mehrere Minister der Bonner Bundesregierung, vertraten hier eines der stärksten Elemente, die es überhaupt gibt im deutschen Raum: eben die Sudetendeutschen. Tüchtigkeit, Zähigkeit, Unverdrossenheit ließen viele von ihnen nach den schweren Schlägen von 1945 in überraschend kurzer Zeit zu führenden Stellungen in Westdeutschlands Wirtschaft und Politik aufsteigen. Durch ihre nord- und südamerikanischen Querverbindungen stellen die vertriebenen und schon früher ausgewanderten Sudetendeutschen geradezu eine Weltmacht im Kleinen dar. Von ihrer inneren seelischen Stabiliserung hängt Viel ab in der Zukunft-, nicht nur im Rahmen der Ost-West-Spannung. Eine politische Radikalisierung dieser hochaktiven Elemente würde zunächst die Bonner Bundesrepublik, sodann Westeuropa erschüttern. Das haben verantwortungsbewußte Sprechet der Sudetendeutschen erkannt uud auf dem Sudetendeutschen Tag in München zur Sprache gebracht: Sie wollen ein Element des Fr dens aus diesen Volksgruppen machen. — In einer der größten deutschen Zeitungen kommentiert, diesen Tag der Soziologe Professor Eugen Lemberg, selbst ein gebürtiger Sudetendeutscher: „Wenn sich der Eiserne Vorhang öiinet und neue Beziehungen und Umsiedlungen von Menschen möglich sein werden, dann darf in Ostmitteleuropa nicht eine Wiederherstellung alles dessen einsetzen, was vorher da war, und sei es noch so romantisch und liebenswert. Eine Restauration wird nicht überzeugen .. Ein so ungeheurer Zusammenbruch, wie der des deutschen Ostens und der ostmitteleuropäischen Ordnung, ist nicht ohne jahrzehntelange Vorgeschichte.,.. vor sich gegangen. Etwas so Gewaltiges, wie eine Wiedergewinnung und Neugestaltung der verlorenen Heimat, kann nicht ohne eine wirkliche und tiefe, bis ins Religiöse hinabreichende geistige Erneuerung der betroffenen Volksgruppen erfolgen." Oesterreich ist an dieser in hohem Maße interessiert, als ein Land, das seinen Staatsbürgern Sudetendeutscher Herkunft sehr viel verdankt; im guten und im unguten. Die innere Befriedigung und die äußere politische Konsolidierung der Sudetendeutschen In einem friedsamen Europa ist deshalb gerade für Oesterreich eine :Lebensfrage.

„UNGEHEUER KOMPLIZIERT": So bezeich- nete der Bonner Bundeskanzler die europäische Lage nach dem Sturz des französischen Kabinetts Laniel. Frankreich ist also wieder einmal in einem Ktisenmoment Europas o h n e Regierung. Der Stürz Lanrcls ist ein ‘Ergebnis der Zusammenarbeit der Vtetmihh, Gaullisten, Rotchinesen, Molotows und französischer Konservativer Und Rechtsradikaler. So sieht also heute die Welt aus. . .-. Eine Fülle von Gegnern haben sich gefunden, um einen Ministerpräsidenten zu stürzen, von dessen klug-umsichtiger Arbeit sie eine gewisse Konsolidierung Frankreichs und dessen Beitritt zur Europäischen. Verteidigungsgemeinschaft befürchteten. Wie meisterhaft fiaben (gewollt und ungewollt, bewußt und unbewußt) die Gegner zusammengearbeitet. Zuerst diskreditierten die Waiieneriolge der Vietminh-Trup- pen Laniels Regierung bei den französischen Konservativen und Ultranationalen, die „Verrat" schrien, obwohl die wichtigsten Stellen in der Armee und den für die nationale Verteidigung einschlägigen Ministerien in ihren Händen, sind. Dann begannen die Gaullisten Sturm zu laufen gegen den „Verrat" Frankreichs an Deutschland — durch die EVG. Die offene Zusammenarbeit der Gaullisten mit den französischen Kommunisten (Redner beider Gruppen traten in gemeinsamen Protestversammlungen auf) spaltete die Sozialisten in zwei Gruppen und verurteilte damit deren Partei zur Untätigkeit. Den Gnadenschuß gab Molotow ab, indem er alle Versuche Bidaults, zu einem Teilabkommen über Indochina zu kommen, scheitern ließ, und nach Pfingsten offen in die alte Art einlenkte: an die Stelle von Geheimsitzungen, in denen allein fruchtbare Arbeit geleistet werden könnte, traten also wieder Vollversammlungen, die ausgeiüllt sind mit Propagandareden. Der Osten hatte es leicht: die Zersplitterung des Westens raubte ihm jede Neigung zu einem Kompromiß über Korea oder Indochina z f kommen, es ging ihm also nur noch um- einen Zeitgewinn, Tsçhuen- Iai (mehr noch als Molotow) will mit dem Westen erst nach dem Fall des Reisdeltas und der letzten französischen Stützpunkte an der Küste sprechen. — Also fiel Laniel. So wie zuvor das Fort Dien Bien Phu geiallen war: beide im letzten Opter jahrelanger Versäumnisse und jahrzehntelanger Schwächen. Opfer jenes französischen Ultranationalismus und Ultrakonservativismus, der seine alten kolonialen Stellungen ebensowenig, auigeben will wie eine ebenso unhaltbare -Vormachtstellung in Europa derzeit so gut wie unmöglich ist. Daher wird es einer sehr vorsichtigen Preisanpassungspolitik bedürfen. Keineswegs aber ist es möglich, eine Erhöhung der Mietzinse um 2 S je Friedenskrone durchzusetzen, um so mehr, als die Qualifikation einer Wohnung nach Friedenskronen über den Wert einer Wohnung heute so gut wie nichts aussagt.

Das entscheidende Problem ist den Verfassern mit Recht das der Finanzierung der Neubauten. Die Autoren sind gegen jede Form von öffentlichem Wohnungsbau. Aber auch gegen das Wohnungseigentum. Für die Verfasser gilt: Bauen soll, wer hat. Stehen dem,, der hat, zuwenig Mittel zur Verfügung, dann soll man ihm das Fehlende dazugeben, weil er bewiesen hat, daß er würdig ist, öffentliche Hilfe zu erhalten. Dazu sei gesagt, daß es nicht allein auf den Spar willen ankommt, sondern auch auf die Spar möglichkeit. Die Masse der Lohnempfänger kann allein kaum die Mittel aufbringen, die sie erst „würdig“ erscheinen lassen, von Amts wegen gefördert zu werden. Wenn man die Kosten einer Neubauwohnung also mit 100.003 S annimmt und die geforderte Aufbringung an Eigenmittel mit 75% limitiert, kann man sich ungefähr vorstellen, welche Bevölkerungsschichten in die engere Wahl bei Vergebung von Wohnbaudarlehen kommen werden. Der Rest — die Masse — muß weiter in Mietwohnungen bleiben. Auf diese Weise soll ein Zustand, der widernatürlich ist, verewigt werden, um nur ja keines der Gesetze der klassischen Nationalökonomie zu verletzen. Ich wiederhole: Die Wohnung ist ein Konsumgut, zu dem man die für ein solches Gut notwendige persönliche Beziehung nur erhalten kann, wenn sie in privates Eigentum übergeht. Das ist übrigens auch im Sozialismus grundsätzlich unbestritten. Daher wird etwa im Osten das Wohnungseigentum keineswegs abgelehnt.

Jedenfalls stellt es keine Lösung dar (zumindest keine soziale), eine Schichte privilegierter Mieter durch eine Schichte pivilegierter Bauherren abzulösen. Dabei soll unbestritten bleiben, daß das Bausparen nachdrücklich zu fördern ist. Erheblich mehr als bisher. Und zwar durch öffentliche Kredite. Hier kann man den Autoren voll zustimmen. Vor allem, weil dadurch der auf ein volkswirtschaftlich und sozial wertvolles Objekt bezogene Sparwille gefördert wird. Die spar- feindliche Richtung in der Nationalökonomie (die Sparen oft mit Horten verwechselt) ist verdeckte Machtpolitik eines getarnten Kollektivismus. Außerdem ist der Einsatz zusätzlicher Kredite im Sektor des Bausparens von multiplikativer Wirkung. Gewisse (zu geringe) Eigenmittel werden erst durch einen zusätzlichen Kredit in Umlauf gebracht. Ganz abgesehen davon, daß die einmal eingesetzten Kredite zum Kreditgeber zurückströmen und neuerlich verliehen werden können Die Verfasser nehmen an. daß zusätzlich zu den Eigenmitteln der Bausparer gegebene Baukredite von zum Beispiel 20 Millionen bei einer Rückzahlungszeit von zehn Jahren und einer Verzinsung von 5% im Laufe von 20 Jahren faktisch 151 Millionen als Baukredit in Umlauf bringen, vorausgesetzt, daß das refundierte Kapital neuerlich verliehen wird.

Die Schrift vertritt nachdrücklich und mit guten Belegen die Interessen der Bausparkassen. Gleichzeitig wird aber in einer unverständlichen Eigentumsfeindlichkeit, teilweise unter Benützung der Argumente der Sozialisten, das Wohnungseigentum angegriffen, dessen Förderung freilich später (S. 34) wieder gefordert wird. Dabei wird nicht gesagt, ob man die österreichische sozialreformato- rische Art des Wohnungseigentums meint oder ausländische Vorbilder.

Wie beachtenswert die Argumente der Autoren auch sind, schwere Bedenken muß man gegen den Methodenmonismus haben, mit dem sie zuweilen vorgehen. Das Wohnungsproblem ist angesichts des Lebensstandards in Oesterreich derart komplex, daß es zu seiner Bewältigung einer Vielzahl von Methoden bedarf. So haben auch die öffentlichen Bauten ihre bedingte soziale Bedeutung. Was wäre etwa Wien ohne die Gemeindebauten? Waren die Wohnverhältnisse in der „guten alten Zeit“ bessere? Das Bausparen hat seine große Bedeutung und auch das genossenschaftliche Bauen, wenn es nicht zur Diktatur von Genossenschaftsmanagern führt, wie zum Teil in Westdeutschland. Das System des Wohnungseigentums — eine revolutionäre Tat — hat seine Mängel, es ist aber geeignet, der Masse der kleinen Sparer zu einem Eigenheim zu verhelfen. Im städtischen Raum gibt es nur zwei Möglichkeiten: Zinskaserne oder Häuser nach dem Prinzip des Wohnungseigentums.

Abschließend noch ein Wort zur Frage der

Freiheit auf dem Gebiete des Wohnungswesens. Die Staatseingriffe in das Wohnungswesen werden als widernatürlich bezeichnet (S. 22). Nun stimmt das nur insoweit, als durch öffentliche Eingriffe tatsächlich die menschliche Wohlfahrt und die menschliche Freiheit gefährdet werden. An sich ist der Interventionismus vom Sozialen her neutral. Er kann gut und schlecht sein. Hier sei die Frage erhoben, ob die Art und Weise, wie vor dem ersten Weltkrieg Wohnungen vermietet wurden, nicht auch die menschliche Freiheit erheblich gefährdet hat Mehr als der Interventionismus. Die zeitweilige Ausbeu tung der Mieter ist ein Faktum in der an Skandalen reichen Sozialgeschichte des vergangenen Jahrhunderts, an das man da und dort nicht gerne erinnert werden will. Ich aber erinnere mich, daß meine Eltern für Küche und Kabinett ein Drittel des Einkommens hergeben mußten. Man sollte nicht so viel von der Freiheit reden, wenn die Herstellung einer „freien“ Wirtschaft gefordert wird, ist doch diese im Wesen ohnedies nur eine Fiktion, eine Sicherung der Freiheit derer, die an der Macht sind. Auf Kosten der Freiheit der anderen. Also nur eine Teil-Freiheit.

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