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Bevölkerungspolitik und städtische Wohnbauprobleme

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Nicht umsonst ist das Wort „Wiederaufbau“ zum Jnbegrilt alles Denkens und Tuns geworden, das auf die Behebung der Kriegsschäden gerich'te- ist, gleichgültig, seien es Schäden und Verluste an materiellem, ethischem oder sozialem Gut. Denn nichts drängt sich bei jedem Schritt in den Straßen unserer Städte sinnfälliger auf, als das Bild der zerstörten Wchnstätten und öffentlichen Gebäude, und die Aufgabe, diese Ruinen verschwinden zu machen. Wir werden das schreckliche Erlebnis des Krieges nicht eher überwunden haben, bevor wir nicht die Wunden in dem Antlitz unserer Gemeinwesen geheilt haben und der Frieden sichtbar über den Krieg und die Zeugnisse unserer Heimsuchung gesiegt hat. Sind die baulichen Verheerungen an Österreich auch bei weitem nicht so groß wie in hunderten Städten Deutschlands, so sind sie doch groß genug, um die schmerzliche Sorge immer aufs neue wachzurufen: Wann werden wir diese unheilvollen Spuren austilgen, den Entgang an Wohnraum mit seinen Folgen gutmachen können? Woher werden wir die Mittel nehmen, um in naher Frist zu ersetzen, was vorher in vielen Jahrzehnten langsam gewachsen ist? Unsere Wirtschaft ist in weiten Bereichen entgütert, der Kapitalbesitz in einem noch nicht berechenbaren Ausmaß geschwunden, zumal der einst wohlhabende Hausbesitz unter den Nachwirkungen einer bis in die Zeit des ersten Weltkrieges zurückreichenden Gesetzgebung einer Kapitalsreserve entbehrt, die jetzt für den Wiederaufbau zum Einsatz kommen könnte.

Es ist zunädist Klarheit zu schaffen über die Größe des Bedarfes, um daran die Größe und die Art der Mittel zu ermessen, die zu seiner Deckung notwendig sein werden. In Wien hat man bekanntlich mit einem Ausfall von 20 Prozent der Wohnungen, also rund 120.000, in Wiener Neustadt und Knittelfeld mit verhältnismäßig viel mehr zu rechnen. Im allgemeinen wird aber ein Wiederaufbauprogramm der Groß-

Stadt wichtige gemeinhin gültige Schlüsse zulassen, soweit die Bevölkerungsbewegung einen Maßstab für den künftigen Wohnungsbedarf gewährt.

Für Wien liegt eine aufschlußreiche Vorarbeit vor, eine soeben erschienene Untersuchung von Dr. Hans T ü r r: „Die Wahrheit über den Wohnungsbedarf in Wien“*. Der Verfasser stellt den verfügbaren Wohnraum den Ansprüchen gegenüber, welche die erweisbare Bevölkerungsbewegung für die nächste Zeit erwarten läßt. Für das Jahr 1910 wies das Statistische Jahrbuch der Stadt Wien 489.476 Wohnungen aus, eine Ziffer, die, stetig wachsend, bis 1939 in den 21 Bezirken auf 622.128 anstieg und in der Gegenwart bei Abrechnung des zwanzigprozentigen Abfalls bei rund 498.000 halten dürfte. Da in dem gleichen Zeitabstande der Bevölkerungsstand von 2,031.000 im Jahre 1910 auf 1,705.000 im Jahre 1939 und bis zum Dezember 1945 sogar auf einen Stand von 1,384.000 abgeglitten ist — zuletzt auf Grund der Lebensmittelkarten ermittelt —, könnte man bei oberflächlicher Beurteilung sagen, daß der jetzt nodi trotz der Zerstörungen verfügbare Wohnraum, der im Jahre 1910 für eine um rund 600.000 Köpfe größere Bevölkerung reichte, heute etwa genügen könnte. Doch abgesehen davon, daß 1910 das Untermieterund Bettgeherunwesen den Wohnungsbedarf niedriger hielt, als es aus sozialen und anderen Gründen zulässig war, und viele, namentlich Souterraingelasse kaum den Namen Wohnungen verdienten, muß, wie Türr mit Recht annimmt, aus Vorsicht für 1946 wegen der Heimkehrer und rückwandernden Evakuierten noch mit einer Bevölkerungsziffer von rund 1,500.000 gerechnet werden.

Man müßte fragen: Und weiterhin? Ist nicht auch für die Zukunft ein normaler Bevölkerunpszuwachs in Rechnung zu stellen?

* Verlag der Zeitschrift „Der österreichische Hausbesitz“, Wien, I., Kohlmarkt i,

Die Ursachen des Bevölkerungsrückganges

Gerade die Ausschau nach diesem Faktor ist tief besorgniserregend. Das bevölkerungspolitische Gesicht der Großstadt ist von tödlicher Blässe. Mit jedem seiner morbiden Züge gemahnt es daran, daß wir viel mehr und viel Kostbareres aufzubauen haben als nur Häuser. Gewiß, daß sich der Bevölkerungsstand von 2,150.000, den Wien noch 1914, zu Beginn des ersten Weltkrieges, besaß, bis Ende 1945 um fast 800 000 sich vermindert hat, ist zum Teil auf die Abwanderung zurückzuführen, die mit 1919 zufolge der Änderung der politischen Landkarte einsetzte.

Aber viel tiefer und bleibender schneiden die Äußerungen wirtschaftlicher und namentlich familienethischer de-i s t r u k t i v e r Kräfte ein, die mit unheimlicher Macht unseren Volkskörper befallen haben. In ganz Österreich ist die Geburtsrate seit einigen Jahrzehnten im Absinken; in Wien überstieg sie noch 191C die Zahl der Todesfälle um 11.100, um dann rapid ins Abwärtsrollen zu kommen und schon von 1915 an in ein Defizit zu verfallen; sie schlug vor dem zweiten Weltkriege alle internationalen Rekorde des Unheils.

Das Versagen der Bevölkerungspolitik des Hitler-Regimes

Trotz scheinbarer erster Erfolge hat vor den hier zuvorderst wirkenden sittlichen Problemen aud. die mit allen möglichen Begünstigungen für Eheschließungen und Kin* derzuwachs einsetzende Bevölkerungspolitik des Nationalsozialismus kapituliert. Sie ist des „weißen Todes“, des Verlustes eines Bevölkerungszuwachses, nicht Herr geworden und auch in den Jahren 1939 bis 1944 ergab sich in Wien ein Geburtenabgang von durchschnittlich 1357 im Jahre, ein noch größerer, als im Zeitraum 1920 bis 1928 zu verzeichnen war. Dieses Fiasko der national-

sozialistischen Bevölkerungspolitik äußert sich geradezu katastrophal in der Haltlosigkeit der vor'den nationalsozialistischen Standesämtern geschlossenen Ehen. Schätzungsweise stehen den 9200 Eheschließungen des Jahres 1945, wie Türrs Erhebungen ermitteln, im gleichen Jahre 8000 Ehelösungen gegenüber. Gewiß ist diese Ziffer zum größeren Teil das Produkt verschiedener vorübergehender Ursachen: Zerfall leichtfertiger Kriegsehen, Trennung der Frau von dem reichsdeutsdien Gatten, um nicht mit ihm ins Ausland wandern zu müssen, und auch die Nachwirkung akut gewordener politischer Gegensätze. Aber als konstante Größe bleibt die Zahl von jährlich 3500 Ehetrennungen seit 1926 bis 1944, so daß dem jährlichen Zuwachs von Familiengründungen jährlich ein Verlust an Ehegemeinschaften in der Höhe von einem Siebentel oder einem Sechstel der ersteren Zahl gegenübersteht.

Diese Erscheinungen haben wesentlichen Anteil an jener bekannten Verschiebung in den Altersgruppen der Bevölkerung, die schon 1839 der Altersstute zwischen 60 und 64 Jahren eine größere Zahlenstärke zuweist, als der nachrückenden jungen Generation der Zwanzig- und Vierund-zwanzigjährigen. Wien zählte 1939 in der ersteren Altersgruppe 120.181 Bewohner und nur 79 797 Zwanzig- bi Vierundzwanzig jährige Deutliche Anzeichen des Sinkens des Leben5Stromes. Keiner Auseinandersetzung bedarf es, welche Aufgaben hier im Sinne der Gesundung des Volkskörpers dem Erzieher, dem Arzte, dem Priester und Soziologen, der Volksaufklärung und der Gesetzgebung gestellt sind.

Es ist wahrlich kein Trost, daß solche Erscheinungen es sind, die für Wien in gewissem Maße die Bewältigung des Wohnungsproblems erleichtern, In seiner ausgezeichneten Arbeit beredmet Dr. Türr, daß der Ersatz der kriegszerstörten Wohnungen bei dem zu erwartenden Höchststande der Bevölkerung von 1,5 Millionen eine Wohndichte von 2 gestatten würde, also den Entfall von zwei Personen auf eine Wohnung, ein bisher noch nie erreichtes, seit langem von der wissenschaftlichen Boden- und Wohnreform begründetes Verhältnis. 1934 hielt Wier. bei einer Wohndichte von 3,06 1945 trotz sehr vieler Aussiedelungen und auswärtiger Dienstleistungen bei 2,78

Der Wiederaufbau Wiens wird demnach schon in dem Maße, als er den verlorengegangenen Wohnraum ersetzt, auch eine Hebung des Wiener Wohnungsstandards bedeuten können.

Damit ist dem wirtschaftlichen und organisatorischen Wiederaufbau der Großstadt schon ein wertvoller Rahmen gesetzt.

Wiederherstellung des

Zur rechten Zeit tritt jetzt Dr Hans Mitterauer vom Ministerium für soziale Verwaltung in einem Aufsatz* und privaten Denkschriften mit einem Vorschlag hervor, der ebenso interessant als Fruchtbarkeit verheißend ist. Er empfiehlt die Rückkehr zu dem uralten, auch im ABGB. verankerten und auch noch bis 1879 in Geltung gewesenen Rechte auf das Wohnung-eigentum, ein Recht, das in Österreich seine bekanntesten Überbleibsel in dem noch in Salzburg bestehenden Stock werkseigentum gefunden hat. Das moderne Recht einer Reihe von Staaten, so in Holland, Belgien, Italien, kennt diese Einrichtung und hat sie zu bedeutenden Fortschritten praktischer Wohnbaupolitik gemacht. Zumal in Rom sind in den letzten fünfzehn Jahren ganze Straßenzüge woh'.eingenchteter schöner Bauten entstanden, in denen jeder Bewohner nicht mehr Mieter, sondern Eigentümer seiner Wohnung ist, den Mitbewohnern des Hauses durch eine wohngenossenschaftliche Vereinigung verbunden, mit dem Rechte, diese Wohnung, die mit seinen Spargeldern oder seinem privaten oder öffentlichen Kredit gebaut wurde, auch zu verkaufen und zu vererben. Eigene Baugesellschaften haben die Errichtung solcher Bauten übernommen. Die

Wohnungsdgentums

v7ohnungsnot Roms - empfing daraus eine wesentliche Entlastung.

Für Österreich würde eine solche Reform bedeuten, daß der Wiederaufbau nicht dem weithin pauperisierten städtischen Hausbesitz und dem mit großen anderen Verpflichtungen belasteten Staatssäckel zufiele, sondern mindestens zu einem bedeutenden Teile durch die Mobilisierung einer neuen Gattung von Bauführern, bisheriger Mieter, gesichert werden könnte. Inwieweit dabei gesetzgeberische Maßnahmen zur Geltung treten sollen, um im Wege der Ablösung de bisherigen Hausbesitzes die Aktion auf breite Basis zu stellen, wird ernstlich zu erwägen sein. Zweifellos bringt aber der Vorschlag auf Wiede rhertellung des sogenannten Superficiar-Red-tes, das der Mieter durch Kauf erwerben kann, eine kerngesunde Idee, die in rechtem Maße angewandt und allseitig verstanden, das Wohnbauwesen in ganz neue Bahnen zu lenken vermöchte. Es ist die Berechtigung nicht zu verkennen, mit der Dr. Mitterauer unter anderem seinen Vorschlag begründet:

„Es werden sich Wohnungsinteressenten zu Vereinigungen (Genossenschaften) zusammenschließen, die sich gemeinsam Häuser bauen wollen.

Dies würde auch zu einer neuen Wohnung* bauweise führen; ähnlich wie es in den west-i liehen Ländern vor allem den K 1 e i n h a u s-t y p gibt. Zumindest würde das Sondereigen-tum ein Abrücken von der Mietkaserne bringen. Es würde wahrscheinlich auch eine starke Umstellung in der Reihenfolge der Befriedigung der Bedürfnisse eintreten, die Familien wären wieder bereit, für die Wohnungen mehr auszugeben, für sie Opfer zu bringen; dadurch würde die Wohnbautätigkeit steigen. Das Zwangsbausparen würde in freiwilligem Bausparen eine Fortsetzung hnden, so daß vom Staate für diese neue Wohnbautätigkeit in späteren Jahren wahrscheinlich keine oder zumindest nicht große Aufwendungen zu machen wären. Die Einnahmen aus den Wohnungshypotheken könnten daher weitgehend für den allgemeinen Wiederaufbau verwendet werden. Dies alles würde endlich wieder zu einem normalen Wirtschaften mit allen befruditenden Folgen führen.“

Findet dieser Plan aufnahmebereiten Boden, wandelt sich eine große Zahl von bisherigen Mietern in Bauführer, Baugenossenschafter und Wohnungseigentümer, so würde für das Baugewerbe aller Abstufungen auf lange Zeit für Arbeit gesorgt und der Arbeitslosigkeit ein Riegel vorgeschoben sein.

Hier steht eine konstruktive Idee erster Ordnung vor unserer Öffentlichkeit. f.

Vifion hinter StacbelOrabt

Ich seh in die silbernen Sterne und träum in die flimmernde Rund. Sie leuchtet hier in der Ferne genau wie im Heimatgrund

Da schwimmt mir die tiefe Bläue mit einmal in zartes Grün, ich seh eine liebliche Wiese, ein funkelndes Büchlein darin.

Und tausend bunte Blumen strahlen dort sternengleich und emsig summende Bienlein umschwärmen das Blütenreich.

Und ich steh auf waldigem Wege, dem Winde gleich flieg ich dahin, da bin auf dem blumigen Siege ich schon im Garten drin

Und da, jetzt kann ich es sehen, das liebe, vertraute Haus, und da, mein Herze will stehen — die Mutter tritt sinnend heraus.

„O Mutier!“ — Ich flieg zu dir nieder, ich küsse voll Liebe ihr Haar „O Mutter, ich sehe dich wieder!“ Wie leuchtend ihr Aug und wie klar.

Ich staune in liebende Blicke, ich trink eine gütige Welt Ein wunschloses strahlendes Glücke mir Herze und Seele erhellt — —

. . Da seh ich die silbernen Sterne. Ich träum in die flimmernde Rund Sie leuchtet hier in der Ferne — genau wie im Heimatgrund.

Ferdinand v. Manndorff

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