6808511-1972_21_05.jpg
Digital In Arbeit

Die Enteignung ist nicht das Hauptproblem

19451960198020002020

Für den Stil der Regierung Kreisky ist die Schwerpunktbildung bei der legislativen Arbeit bezeichnend. Auf den ersten Blick haben die derzeit am stärksten vorangetriebenen Gesetzesmaterien — Abtreibung, Steuerreform mit Preisregelung, Bodenbeschaffung — nichts miteinander gemein. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: alle drei behandeln populäre, brennend aktuelle Probleme, bei denen nach allgemeiner Ansicht „etwas geschehen” müsse. Aber die als Ausweg angebotenen und dementsprechend beklatschten Maßnahmen haben den Nachteil, daß echte Lösungen mit problemimmanenten Mitteln gar nicht möglich sind, sondern ein radikales Umdenken zur Voraussetzung hätten.

19451960198020002020

Für den Stil der Regierung Kreisky ist die Schwerpunktbildung bei der legislativen Arbeit bezeichnend. Auf den ersten Blick haben die derzeit am stärksten vorangetriebenen Gesetzesmaterien — Abtreibung, Steuerreform mit Preisregelung, Bodenbeschaffung — nichts miteinander gemein. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: alle drei behandeln populäre, brennend aktuelle Probleme, bei denen nach allgemeiner Ansicht „etwas geschehen” müsse. Aber die als Ausweg angebotenen und dementsprechend beklatschten Maßnahmen haben den Nachteil, daß echte Lösungen mit problemimmanenten Mitteln gar nicht möglich sind, sondern ein radikales Umdenken zur Voraussetzung hätten.

Werbung
Werbung
Werbung

Die angebotenen Lösungen können zwar die ihnen gestellten Aufgaben nicht bewältigen, haben aber dafür unauffällige Nebenwirkungen gesell-schaftlspolitischer und ideologischer, kurzum „systemändernder” Natur, die mit dem vorgeblichen Zweck gar nichts zu tun haben. Wegen dieser Nebenwirkungen stoßen sie auf den Widerstand der Opposition, der dann

— insbesondere wenn Verfassungsklauseln mit im Spiel sind — der Regierung den willkommenen Anlaß bietet, die Schuld daran, daß die Probleme ungelöst bleiben, der Opposition zuzuschieben. Es ist ein raffiniertes, schwer durchschaubares Spiel, zugegebenermaßen nicht leicht durchzuführen, aber von der Regierung perfekt dargeboten und von einer an die Wand gespielten Opposition zähneknirschend geduldet.

Gegen renitente Grundbesitzer

Das geplante Bodenbeschaffungsund Assanierungsgesetz ist typisch dafür: das Problem, worum es eigentlich geht, und das beim Streit über die Detailbestimmungen fast aus dem Auge verloren wurde, sind mehr und bessere Wohnungen, sowie eine sinnvollere Stadt- und Raumplanung. Ob das Gesetz dazu einen nennenswerten Beitrag zu leisten imstande ist oder nicht, ist die eigentliche Kernfrage. Das aber ist zumindest zweifelhaft; fest steht dagegen, daß es sich ausgezeichnet dafür eignet, damit massiv Gesellschaftspolitik zu treiben.

Wer das Bodenbeschaffungsgesetz mit seinen vorgesehenen scharfen Enteigungsbestimmungen will, der sollte auch den Mut haben, sich dazu zu bekennen, die Folgen offen darlegen. Er mag das mit übergeordne-Notwendigkeiten begründen, etwa damit, daß die Interessen einiger Grundbesitzer den Bedürfnissen der Allgemeinheit nicht im Weg stehen dürfen, aber nicht dieses natürlich auch gebrauchte Argument dann wieder durch das Versprechen entwerten, man werde das Gesetz „eh fast nicht” anwenden.

Aus dem Hinweis auf Bedürfnisse der Allgemeinheit wird der Schluß gezogen, daß jeder, der mit dem Gesetz nicht vollinhaltlich einverstanden ist, ein Vertreter engstirniger, egoistischer Interessenstandpunkte sei. Des weiteren wird argumentiert, daß alle Einwände pure Demagogie seien: die inkriminierten Ent-eigungsbestimniungen (die ja die Quintessenz des Gesetzes sind) wurden, zum Teil wenigstens, dem Eisenbahnenteignungsgesetz von 1954 nachgebildet, an dem noch niemand Anstoß genommen habe; überhaupt sind für den Bahn- und Straßenbau Enteigungsgesetze schon seit Kaisers Zeiten in Übung.

Sollte — wie es Minister Moser publikumswirksam zu formulieren weiß — das, was für den Bau von Parkplätzen recht ist, für den Bau von Wohnungen nicht billig sein?

Für den Wohnbau?

Sind erst mit solchen Überlegungen die Emotionen in Wallung gebracht, läßt sich nur noch schwer argumentieren. Auch dann nicht, wenn der Vergleich hinkt. Die Trassenführung einer Straße oder einer Bahn ist — mit Einschränkungen natürlich

— im großen und ganzen durch objektive Kriterien bestimmt und kann kaum gezielt zu einem Instrument der Enteigung gemacht werden. Außerdem ist in jedem Bauabschnitt die zu enteignende Fläche relativ klein.

Anders beim Wohnbau: hier fehlen meist zwingende Gründe, Häuser auf einem bestimmten und keinen anderen Platz zu errichten. Die Möglichkeit, daß die vorwiegend sozialistisch dominierten Großgemeinden das Gesetz planmäßig dafür einsetzen, um möglichst viel Boden in öffentlichen Besitz zu überführen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit für die Errichtung privater Bodengenossenschaften ist kein Gegenargument, da die Bestimmungen so gefaßt sind, daß ihrer Manipulation durch die Kommunen Tür und Tor geöffnet sind. Außerdem sind die Bodengenossenschaften selbst ein Instrument der Enteigung (Minister Moser: „Wer sich querlegt, wird beseitigt”). Auch dürfen wir nicht vergessen, daß noch gravierender das Recht der Gemeinden ist, in Kaufverträge einzutreten und dabei noch Korrekturen an den vertraglich vereinbarten Preisen durchzuführen.

Aber die hochgespielte Frage der Enteigung führt von der eigentlichen Problematik des Gesetzes weg. Kontrovers mögen Höhe und Modalitäten der zu gewährenden Entschädigungen sein, am Faktum, daß die Bedürfnisse der Allgemeinheit den Interessen des einzelnen übergeordnet sind, ändert das nichts.

In Wirklichkeit geht es aber darum, ob das Bodenbeschaffungs- und Assanierungsgesetz geeignet ist, die ihm gestellte Aufgabe — bessere Stadtplanung, Hebung des Wohnungsstandards — zu erfüllen, und ob Vorkehrungen getroffen sind; es geht darum, ob die vielen Fehlleistungen bei Wohnbau und Stadtplanung wirklich auf die zu geringen Interventionsmöglichkeiten der

öffentlichen Hand gegen private Interessen zurückzuführen sind oder ob hier bloß ein gesellschaftspolitisches Instrument mit Hilfe populärer Slogans geschaffen werden soll.

Fehler der Gemeinden

Tatsache ist, daß die meisten Bau-und Planungssünden der letzten Dezennien auf das Konto des Staates, der Gebietskörperschaften und der ihnen nahestehenden Organisationen gehen, und daran nicht die Schwierigkeit der Bodenbeschaffung, sondern eher deren allzu große Leichtigkeit die Schuld trägt; Tatsache ist ferner, daß von öffentlichen Stellen immer wieder auf Grund ihrer Lage teure Bodenflächen aufgekauft wurden, um sie dann völlig unzweckmäßig zu verwenden.

Wenn zum Beispiel in Wien vom kommunalen und in seinem Gefolge vom genossenschaftlichen und sonstigen „gemeinnützigen” Wohnbau ausgerechnet die Wienerwaldvororte und andere Gebiete, die kunsthistorisch oder landschaftlich besonders schutzbedürftig sind, mit riesigen Wohnblocks verziert wurden und werden, so hat das mit Schwierigkeiten bei der Bodenbeschaffung überhaupt nichts zu tun. In für Großbauvorhaben geeigneteren Gebieten wäre Grundfläche meist leichter und bei weitem billiger zu haben gewesen.

Dazu kommt, daß die Gemeinde Wien über enorme Liegenschaften verfügt: an unbebauten Flächen besitzt sie 4670 Hektar, zum größten Teil Bauland, praktisch auf alle Stadtteile verteilt. Nach Ansicht von Experten sind Baugründe genug bis zum Jahr 2000. Insgesamt besitzt die Gemeinde sogar 14.000 Hektar innerhalb der Wiener Stadtgrenzen, darunter auch eine ansehnlichen Althausbesitz, der für Assanierungsmaßnahmen in Frage käme.

Hätte zum Beispiel die Gemeinde Wien einerseits in Villenvororten auf den Ankauf von Grundstücken verzichtet oder in ihrem Besitz befindliehe Grundstücke an Private veräußert, zugleich im Rahmen der Bauordnung nur eine villenmäßige Verbauung zugelassen, anderseits um die ersparten beziehungsweise eingenommenen Beträge lieber Grundstücke anderswo erworben, sie hätte weitaus mehr Baufläche verfügbar und der Bevölkerung zugleich die Verschandelung schutzbedürftiger Zonen erspart. Gegen solche Fehlleistungen hilft uns kein Bodenbeschaffungsgesetz, sondern ein solches fördert sie sogar noch.

Gute, schlechte Wohngegend

Weder wirtschaftliche noch architektonische Gründe lassen sich für die vielen Bausünden ins Treffen führen. Die wahren Ursachen liegen auf partei- und gesellschaftspolitischem Gebiet, sind also von dem hier einzig berechtigten städtebaulichen Standpunkt aus gesehen durchaus unsachlich: es geht meist um Bezirke mit relativ hohen nichtsozialistischen Stimmenanteilen, die mit Hilfe kommunaler Bauten eine politisch genehmere Struktur erhalten sollen, was zum Teil bereits gelungen ist.

Außerdem handelt es sich um sogenannte „Nobelbezirke”, deren Charakter durch Sozialbauten zerstört werden soll. Nichts gegen eine Homogenisierung der Gesellschaft, aber alles dagegen, daß diese durch Verschandelung „guter” statt durch Verbesserung „schlechter” Wohnviertel erfolgt.

Nahezu kein Gebiet in Wien ist von Natur aus eine gute oder schlechte Wohngegend. Es kommt immer nur darauf an, was städtebaulich daraus gemacht wird. Oft schon wurden in der Vergangenheit in Wien und anderswo aus schlechten Wohnvierteln gute — und umgekehrt.

Nirgens steht geschrieben, daß die Draschegründe, der Laaerberg, die Simmeringer Heide, die nördliche Brigittenau oder die Bezirke jenseits der Donau nicht gute Wohngegenden sein können. Von Natur aus waren sie dafür oft geradezu prädestiniert.

Wenn diese Chance vertan wird, Slums von morgen statt schönen Wohnstätten (meinetwegen auch in entsprechend gestalteten Blöcken) für alle Schichten der Bevölkerung geschaffen werden, so liegt das am (meist öffentlichen oder halböffentlichen) Bauherren, nicht an den Naturgegebenheiten.

Wenn diese versagenden Bauherren dann dem sozialen Ausgleich zuliebe auch in den Wienerwaldbezirken die baulichen und landschaftlichen Ensembles zerstören, so ist das in Wahrheit höchst unsozial: vernichten sie damit doch jene Gegenden, die nebenbei auch Spaziergehern, ebenfalls aus allen Schichten der Bevölkerung, Augenweide und Erholung geboten haben; abgesehen davon sind die Bewohner von Villenvierteln heute längst nicht mehr sozial homogen, so daß deren Verschan-delung keineswegs nur „die” Reichen trifft. Hier wird unverhohlen Nivellierung nach unten statt nach oben betrieben.

Ein weiteres Argument für das Bodenbeschaffungsgesetz sind die hohen Baulandpreise, die angeblich die Bukosten in die Höhe treiben. Dieser meist sehr vage ausgesprochenen Behauptung gegenüber wird von der

Innung. der Gebäudeverwalter entgegengehalten, daß die Grundstückpreise in Wien in den letzten vier Jahren praktisch nicht gestiegen sind. 1968 und 1969 war sogar eine fallende Tendenz zu verzeichnen; seither haben die Preise erst wieder auf das Niveau vor vier Jahren angezogen. Wenn man die inzwischen eingetretene enorme Teuerung bedenkt, so ist das noch immer eine relative Verbilligung. Es ist daher auch nackte Demagogie, die Grundpreise für die steigenden Baukosten verantwortlich machen zu wollen und auf diese Weise von den wahren Ursachen abzulenken. Abgesehen davon machen überall dort, wo nicht ausgerechnet die lagebedingt teuersten Liegenschaften für Wohnbauten verwendet werden, die Grundpreise einen eher bescheidenen Anteil an den Gesamtbaukosten aus.

Gerade die Gemeinde Wien, die am lautesten nach dem neuen Gesetz ruft, hätte es mit ihrem enormen Grundbesitz in der Hand, die Preise zu beeinflussen; aber statt — wie zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland sogar gesetzlich vorgesehen ist — aufgeschlossene Grundflächen zu relativ günstigen Preisen an private Bauwerber zu verkaufen, wird praktisch kein Quadratmeter gemeindeeigener Grundfläche, nicht einmal auf dem Tauschwege, aus der Hand gelassen. Im Gegenteil, die Gemeinde tritt selbst noch als Käufer auf, und das noch dazu in Gegenden, wo Baugrund ohnehin rar oder stark gefragt ist. Allein im Budget 1972 sind für Grundkäufe 812 Millionen Schilling vorgesehem.

Der enorme Grundbesitz der Gemeinde Wien ist praktisch aus dem Verkehr gezogen, was den Realitätenmarkt verengt hat und durch weitere kommunale Grundaufkäufe weiter verengt. Es ist geradezu ein Wunder, daß unter diesen Umständen — noch dazu mitten in einer Inflation — die Grundpreise eher stabil sind. Aber die gleichen öffentlichen Stellen, die durch ihre sinnlosen Hortungskäufe alles tun, um die Preise in die Höhe zu treiben, schreien dann nach Gesetzen, um den von ihnen angerichteten Schaden von sich selbst abzuwenden.

Und warum weigern sich viele Grundbesitzer so zäh zu verkaufen, wobei der härteste Widerstand meist nicht von schwer verdienenden

Spekulanten, sondern von kleinen Leuten ausgeht, die von ihrem Fleckchen Grund ohnehin nichts als Spesen haben? Deren Antwort lautet stereotyp, das Geld werde jeden Tag weniger, und ein Grundstück sei eben doch ein bleibender Wert. Abgesehen davon, daß dieses traditionelle Argument heute nicht mehr ganz stimmt und auch der Grundbesitzer nicht mehr vor Inflationsver-lusten sicher ist, stoßen wir hier auf die eigentliche Ursache für die Ver-kaufsunwilligkeit Privater: das Mißtrauen in die Währung, die Flucht in die Sachwerte beziehungsweise das Verharren darin, die mangelnden Möglichkeiten für sichere Anlagen von Ersparnissen.

Eine wirksame Inflationsbekämpfung wäre das beste Bodenbeschaffungsgesetz. Dagegen hat dieses unter den heutigen Umständen den fatalen Beigeschmack, eine Waffe der öffentlichen Hand, die selbst der hauptsächliche Inflationssünder ist, gegen jene zu sein, die nicht bereitwillig Inflationsopfer sein wollen.

Nun ist aber neben der Bodenbeschaffung auch die Assanierung abgewohnter Stadtviertel einer der Zwecke des Gesetzes. Benötigen wir dieses nicht wenigstens gegen die Seuche der moderen Städte, das Verfaulen der Stadtkerne und das Entstehen verkehrsungünstiger seelenloser Wohnwüsten am Rande?

Auch hier lenkt das Gesetz vom eigentlichen Problem ab: die Althausmisere ist ja zum größten Teil gerade dadurch entstanden, daß die gesetzlichen Weichen einseitig auf eine Befriedigung des Wohnbedarfs durch den Neubau gestellt wurden, der Verfall des Althausbestandes regelrecht provoziert wird. Gerade dieser Absicht muß mit oder ohne Assanierungsgesetz an ihrer maßlosen Hybris scheitern: es wurde errechnet, daß — vorsichtig geschätzt — 400.000 Wohnungen in Österreich erneuerungsbedürftig sind. Soll das alles durch Neubau geschehen, so ergibt das zu heutigen Preisen bereits einen Finanizierungsbedarf von mindestens 150 Milliarden Schilling — abgesehen davon, daß dazu so gigantische Baukapazitäten und Heere von Arbeitskräften notwendig wären, wie sie die österreichische Wirtschaft nie zur Verfügung stellen kann. Eine Assanierung ohne gleichzeitige Maßnahmen zur Revitalisierung der Althäuser ist ein volkswirtschaftlicher Wahnwitz.

Die österreichische Wohnungs-und Raumordnungsmisere ist nur zum allergeringsten Teil eine Frage der Bodenbeschaffung. Die eigentliche Schuld liegt darin, daß Gesellschaftspolitik für wichtiger erachtet wird als praktikable Lösungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung