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Ein Riegel gegen die Zertrümmerung

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Die Novelle zum Denkmalschutzgesetz, die als Regierungsvorlage noch im Herbst im Parlament abgehandelt werden soll, hat sich zum erstenmal indirekt, aber drastisch bemerkbar gemacht. Seine künftigen Bestimmungen, die bereits jetzt im Hinblick aufs Durchgehen des Gesetzes eingehalten werden, werden uns in den nächsten Jahren bestimmt noch oft Streitereien, Meinungskriege, Prozesse zwischen Denkmalschützern, Demolierern aus Spekulationswut, aber auch mit Auftraggebern für neue Projekte bescheren.

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Die Novelle zum Denkmalschutzgesetz, die als Regierungsvorlage noch im Herbst im Parlament abgehandelt werden soll, hat sich zum erstenmal indirekt, aber drastisch bemerkbar gemacht. Seine künftigen Bestimmungen, die bereits jetzt im Hinblick aufs Durchgehen des Gesetzes eingehalten werden, werden uns in den nächsten Jahren bestimmt noch oft Streitereien, Meinungskriege, Prozesse zwischen Denkmalschützern, Demolierern aus Spekulationswut, aber auch mit Auftraggebern für neue Projekte bescheren.

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Uim die Verfoauung des Wiener Minoritenplatzes und Ballhausplat-zes scheint es zum Krach zu kommen. „So ein Affenkäfig“ empörte sich etwa der Bezirksvorsteher der Wiener Innenstadt, Ing. Heinz, als ihm die Entscheidung von Niederösterreichs Landeshauptmann Maurer bekannt wurde: Das Wiener Architektenteam Marschalek-Land-stätter-Gantar soll da mitten im historischen Viertel sein Glas-Metall-rippen-Projekt — im Volksmund bereits „Gurkenglas“ genannt — für den neuen Verwaltungsbau der Niederösterreichischen Landesregierung verwirklichen. Denn die drei Wiener haben von einer internationalen Jury den ersten Preis in diesem Wettbewerb zugesprochen bekommen. Heinz fertigte jedenfalls das Projekt unsanft ab, fegte es mit Paragraphengewalt fast vom Tisch: „Das Projekt ist gegen die neue Bauordnung. Es verstößt gegen die Vorschrift, in historischen Schutzzonen ,stiigerecht' zu bauen ...“

Dabei kommt das Denkmalschutzgesetz sozusagen auf Samtpfoten: bloß von einer „Novelle“ spricht auch die Regierungsvorlage, versichert, daß „keinesfalls eine Änderung der Rechtskonstouktion des Denkmalschutzes“ geplant sei, da sich das 1923 erlassene Gesetz mit seiner Novellierung von 1959 „im großen und ganzen gut bewährt hat“. An ein Abgehen von den Grundprinzipien des Denkmalschutzgesetzes und an eine Übernahme verschiedener anderer Prototypen des Auslands (etwa der französischen „loi Malraux“) ist nun tatsächlich nicht gedacht. Denn das würde eine Verunsicherung des seit Jahrzehnten geschickt aufgebauten Denkmal-schutzempfindens des Österreichers bedeuten.

Was ist aber das heiße Eisen dieser Denkmalschutznovelle?

Vor allem die Einführung des Begriffs „Ensemble“ — ein endgültiges Abrücken vom reinen „Denkmal“-Denken, von jener längst überholten Meinung, daß künstlerisch oder kulturhistorisch bedeutende Denkmale für sich allein bestehen oder isoliert gesehen werden können. Als von Menschenhand geschaffenes künstlerisches Ereignis — das ist eines der wesentlichen Merkmale der Denkmal-Definition —, aber abgelöst vom Künstler, von seiner Umwelt, von der Zeit der Entstehung usw. „Ensemble“ ist also eine Hinwendung zur Sicht der organisch gewachsenen Zusammenhänge, wie sie in der Wiener Kunstgeschichtsschule bereits seit Alois Riegl und Max Dvorak gefordert wird.

Denkmal sind da. nicht mehr bloß eineeine Häuser, etwa der Wiener Herrengasse oder des Schottenrings: Solche Bauzusammenhänge wird man in Hinkunft als „Ensemble“ behandeln, als organisch gewachsene, in künstlerischen und geistigen Zusammenhängen gestaltete Objektgruppen — wie man zum Beispiel auch Sammlungen von beweglichen Gegenständen, etwa Bibliotheken, Gemäldesammlungen, als Ensembles schützen wird, wenn — bereits Paragraph 1 der Novelle vermerkt es — „diese Sammlungen und Gruppen wegen ihres geschichtlichen, künstlerischen oder sonstigen kulturellen Zusammenhangs einschließlich ihrer Lage ein einheitliches Ganzes bilden und ihre Erhaltung als Einheit im öffentlichen Interesse gelegen ist“. Wobei das Bundesdenkmalamt darüber entscheidet, ob ein solches öffentliches Interesse vorliegt.

In Hinkunft werden es also die Demolierer vom Dienst schwerer haben. Das Herausbrechen schöner alter Häuser aus original erhaltenen Straßenzügen und Ortskernen wird kaum noch möglich sein. Bisher galt hier das Argument, daß das eine oder andere Bauwerk kunsthistorisch vielleicht eine Unterschutzstel-lung nicht rechtfertige. Eine Demo-lierungsgenehmigung folgte mitunter. Hier setzte der Ensembleschutz ein: nur die Gesamtheit einer solchen Baufzone ist als kulturhistorisches Denkmal bedeutend. Zertrümmerung, systematische Aushöhlung der Ensemblesubstanz, das Ausbrechen von Baulücken, an deren Ende die Schleifung des ganzen Ensembles steht, wird so verhindert werden. Aber auch das leidige Modernisieren einzelner Objekte, das im allgemeinen einer Zerstückelung eines Ensembles gleichkommt,, wird man so unterbinden können. Oder die — allzu oft passierte — Auflösung geschlossener Kunstbestände, wie etwa des Nachlasses des Architekten Qlforich (von einem Wiener Kunsthändler ins Ausland verkauft), von Archiven, Autoigraphensamimlungen, Bibliotheken, die als kostbare Einheit etwas Unschätzbares darstellen,in ihre Teile zertrümmert hingegen nur noch Handelswert haben.

Im Grunde ist diese „Ensemble“-Sicht heute die einzig mögliche Bewertung von „Denkmalen“ aller Art, wenn wir unserer ständig bedrohten, ständig in gewaltsamen De-zimierungsverfahren geplünderten Kulturlandschaft ihre Charakteristika, ihr Gesicht erhalten wollen.

Der Zeitpunkt zur Einbringung dieses Gesetzesentwurfes ist günstig: Man hat genügend Spielraum gehabt, an der schön früher einmal eingebrachten Novelle zu feilen, Verbesserungen anzubringen. Man hat vor allem abgewartet, bis der Verfassungsgerichtshof sein Erkenntnis über die Kompetenzfragen zwischen Altstadterbaltungsgesetzen (am Beispiel der Altstadterhaltungsnovelle für Wien) und dem Denkmalschuz erlassen hatte. Die Situation ist heute also geklärt.

Doch zurück zum „Fall Minoriten-platz“. Natürlich stammt die ablehnende Argumentation gegen das neue Projekt von der Sicht der Altstadterhaltungsnovelle her, wie auch vom Denkrnalschutzgesetz. In Schutzzonen „stilgerecht“ zu bauen, muß speziell an städtebaulich so heiklen Stellen wie der Ecke Minoritenplatz-Ballhausplatz eine strikte Forderung bleiben. Nur, „stilgerecht“ sagt als Begriff noch sehr wenig darüber aus, wie eine solche neue Lösung aussehen soll.

Nichts wäre da allerdings verfehlter, als Stilkopien zur Gewohnheit werden zu lassen: Eine barock nachempfundene Fassade neben eine Barockfront, ein Mini-Ringstraßenpalais neben eine Fassade des 19. Jahnhunderts, Biedermeier neben Biedermeier ... und wenn links ein Bau gotisch und rechts einer barock ist, dann... ja, dann wohl halt die Version, die die billigere ist!

Das ist leider wirklich eine Lösung, wie sie nur Schildbürger anbieten können. Denn daß Neubarock neben Altbarock passen soll, ist einer der fatalsten Irrtümer. Hingegen lehrt die Erfahrung, daß hervorragende neue Architektur sich mit den Leistungen vergangener Jährhunderte vertragen kann. Ja, daß neue Architektur sehr wohl sogar Stilprinzipien und Kriterien historischer Architektur nostalgisch aufnehmen, variieren kann, ohne deshalb in phantasielose Stilkopie auszuarten.

Das ist jedenfalls eine der wesentlichsten Entscheidungen, die für die Verbauung der wenigen, noch freien Restplätze der Wiener Innenstadt ebenso gelten müßte wie für alte Villenviertel, in denen es um den behutsamen Einbau von Einfamilien-ansiedlungen geht, für alte Ortskerne, oder ländliche Ansiedlungen. Das „Treffen der Atmosphäre“ einer Stadt, eines Rahmens, eines Platzes, das ist es, was uns heute bei den meisten Verbauungen fehlt

An negativen Beispielen, wie phantasielos-gepfuschte Lösungen ohne alles Verstehen strukturelle Eigenheiten historischer Bauten unsere städtebaulichen Leistungen zerstören können, ist Wien voll. Vom Karlspiatz bis zum Stephamsplatz, vom Schwedenplatz und dem Albertinaplatz bis in die zerstörte Liniengasse. Auch im übrigen Österreich ist es nicht schwer, solche Negativbeispiele zu finden. Allzu rar sind hingegen die gelungenen Neubauten, die einen historischen Rahmen weder durch ihre mondän aufgepflanzte Aufdringlichkeit sprengen, noch ihn durch die billige Stilkopie stören und damit die künstlerische Konzeption einer alten Bauzone abwerten. Um so größer, anspruchsvoller könnten da die Aufgaben der neuen Architektur sein, wenn hier das Denkmalschutz- und Ensemble-schutzgesetz richtig interpretiert wird.

Neue Aspekte der Denkmalschutz-novelle sind übrigens:

•die Ersichtlichmachung einer erfolgten Unterschutzstellung im Grundbuch (um Spekulationsgeschäfte zu verhindern),

•die Einführung von Maßnahmen, durch die eine Zerstörung oder gravierende Veränderung von Denkmalen durch absichtliches „Verfallenlassen“ verhindert werden kann,

•flexible Bestimmungen über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und verschärfte Strafen. Was berechtigt zu sein scheint.

Mehr denn je steht der Altstadt-erhaltungsfonds all denen finanziell zur Seite, die ihren Besitz tatsächlich original erhalten und damit kulturelle Substanz bewahren wollen. Zugleich verhindert man aber Spe-, kulationsgeschäfte mit wertvollen Altbauten: etwa daß in Barockbauten oder sogar in bedeutenden Palastbauten des 19. Jahrhunderts von Hausherren Fremdarbeitermassenquartiere eingerichtet werden, in der Hoffnung, daß die Bauten in kürzester Zeit so abgewohnt und verwüstet sind, daß nur noch der — „rettende“ — Abbruch erfolgen kann.

Entscheidende Instrumente zur Durchführung dieser neuen Bestimmungen sind der „Denkmalbeirat“ und eine „Schiedskommission“. Beide stehen dem Denkmalamt zur Verfügung. Der erste als Expertenteam bei denkmalpflegerischen Entscheidunigen, die eben nur von Fachleuten, also von Architekten, Kunsthistorikern, Raumplanern, Technikern, Betriebswirtschaftern, Fremdenverkehrsfachleuten, geprüft werden können; die andere, eine für sechs Jahre bestellte Kommission, eine Art Schiedsgericht, die bei wirtschaftlichen Einwendungen gegen Unterschutzstellungen und anderen Verfahren prüft und entscheidet.

Problematisch war und ist der Denkmalschutz natürlich immer dort, wo Rechte der Eigentümer eingeengt oder gar drastisch eingeschränkt werden. Also bei Eigentümern von bedeutenden Kulturdenkmälern, wie etwa der Kirche als größtem Denkmaleigentümer, zahlreichen Schloßbesitzern und Besitzern bedeutender alter Gutshöfe und Parkanlagen, die durch das Gesetz gezwungen werden, ihrer überaus kostenintensiven Erhaltungspflicht nachzukommen. Das ist aber im Grunde die schwierige Problematik jedes Denkmalschutzgesetzes: einerseits hat der Staat die Pflicht, seine Kulturgüter mit allen Rechtsmitteln vor Veränderung, Verfall, Demolierung, Abverkauf zu bewahren. Anderseits wird dadurch die demokratische Entscheidungsfreiheit des Eigentümers immer wieder eingeschränkt.

Auf Grund der neuen Denkmalschutznovelle kann ein Besitzer sein Objekt nur mit einer Genehmigung des Bundesdenkmaiamtes mit einer Hypothek belasten, es nur mit Namensnennung des Käufers veräußern und selbstverständlich nur mit Genehmigung des Staates demolieren. Bei Nichterfüllung drohen Strafen bis zu 10.000 Schilling (ob diese Summe allerdings große Bau-und Spekulationsfirmen von der Demolierung abschrecken wird, bleibt fraglich). Allerdings versucht die Denfcmalschutznoveäle bei privaten Eigentümern Härten soweit wie möglich zu vermeiden. Der neuen Denkmalamt installierten Schiedskommission kommt es zu, wirtschaftliche Härten zu prüfen, die Unzumutbarkeit von Erhaltungskosten festzustellen und finanzielle Zuschüsse des Bundes zu reklamieren.

Im ganzen: Viele positive — wenn auch mitunter die Freiheit privater Eigentumshandhahung einschränkende — Maßnahmen, wichtige neue Instrumentarien zum Schutz von Kuiturfoeständen. Eines kann aber auch dieses Gesetz nicht erwirken: Daß in Österreich allmählich vom „passiven“ Denkmalschutz, vom offiziell verordneten Bewahren, zur aktiven Leistung übergegangen wird. Zum Bewahren unserer Kulturgüter aus Eigenantrieb der Besitzer, der Eigentümer, zum Bewahren aus dem Verständnis für das kultureile Erbe.

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