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Zukunft für Vergangenheit

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Unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit” hat der Europärat 1975 als europäisches Denkmalschutzjahr angekündigt. Seine Aufgabe soll es sein, das Bewußtsein dafür zu wecken und zu stärken, daß Denkmäler Zeugnisse europäischer Geschichte und damit Teil der geistigen und kulturellen Existenzgrundlage des heutigen Menschen sind. Von den rund 800.000 erhaltungswürdigen Denkmälern in der Bundesrepublik entfallen nach Auskunft des Präsidenten des deutschen Vorbereitungskomitees für dieses Jahr, Kultusminister Professor Hans Maier, allein 100.000 auf Bayern. In diesem Bundesland ist nunmehr seit Jahresfrist ein „Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler” in Kraft, dessen Praxis einige Folgerungen für Möglichkeiten und Grenzen solcher Bestrebungen zuläßt, die im Zeichen, einer Aufwertung des Alten um sich greifen.

Das Gesetz, das bei der Verabschiedung im Landtag von den Urhebern selbstbewußt als „Markstein und Barriere gegen eine weitere Zerstörung bayerischer Kulturgüter” bezeichnet wurde, ermöglicht dem Staat, alle Bau-, Boden- und Kunstdenkmäler, die „wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundliohen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit” erhaltenswert sind, zu schützen. Als „Denkmäler” gelten auch Ensembles — Ortschaften, Plätze oder Straßen in ihrer Gesamtheit. Den Eigentümern wird es — soweit „zumutbar” — zur Auflage gemacht, „ihre Baudenkmäler instand zu halten, instand zu setzen, sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdung zu schützen”. Die Besitzer haben die

Pflicht, ,^bestimmte Erhaltungsmaß- nahmen ganz oder zum Teil durchzuführen”. Einer besonderen Erlaubnis bedarf außerdem nicht nur derjenige, der „Baudenkmäler beseitigen, verändern oder an einen anderen Ort verbringen” will, sondern auch jeder, der „in der Nähe von Baudenkmälern Anlagen errichten, verändern oder beseitigen” möchte.

Gefährdete Denkmäler können unter gewissen Umständen zugunsten des Staates enteignet und auf diese Weise erhalten werden. Schärfer als in anderen deutschen Denkmalschutzgesetzen — in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hamburg — sind in Bayern die Sanktionen ausgefallen. Verstöße können mit Bußen bis zu maximal einer Million Mark geahndet werden. Wer es beispielsweise versäumt, den Verkauf eines eingetragenen Denkmals anzuzeigen, kann mit Geldstrafen bis zu einer halben Million belegt werden.

Zur Zeit der Gesetzgebung waren in der Denkmalsliste rund 40.000 Baudenkmäler erfaßt. Etwa die Hälfte davon entfiel auf Profanbauten — Schlösser, Burgen, Residenzen, Palais, Rathäuser, Bürgerhäuser, Stadtmauern, Bauernhöfe und Brücken —; den Rest bildeten die kirchlichen Bauten. Vom frühen Mittelalter bis ins ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert finden sich darunter alle Baustile mit bedeutenden Beispielen. Hinzu kamen die auf rund 35.000 geschätzten ,Hodendenkmäler” — Reste von Gebäuden und beweglichen Gegenständen —, die sich im Gebiet des heutigen Bayern vom Ende der Eiszeit bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte angesammelt haben.

Binnen eines Jahres ist nun diese Liste auf fast 100.000 Objekte angeschwollen; allein die Zahl der Ensembles wuchs von 250 auf 2900. Unter diesen letzteren findet man beispielsweise in München die Maximilianstraße, die Ludwigsstraße, den Königsplatz sowie Biergärten und Grünanlagen; in Nürnberg, Bamberg, Regensburg, Eichstätt, Rothenburg ob der Tauber und anderen Städten ist es die ganze Altstadt oder sind es doch bedeutende Teile davon.

Zuständige staatliche Steile für den Denkmalschutz ist das dem Kultusministerium unterstehende Bayerische Landesamt für Denkmalpflege mit Außenstellen in Augsburg, Landshut, Nürnberg, Regensburg und Würzburg. Zusammen mit der angegliederten Restaurierungsanstalt verfügt dieses Amt, dessen Hauptaufgabe in Gutachter- und Inventararbeit besteht, zur Zeit über 115 Planstellen. 1970 waren es erst 68. Dem neugeschaffenen Landesdenkmalrat, der nach dem Gesetz die Aufgabe hat, „die Staatsregierung zu beraten und in wichtigen Fragen der Denkmalpflege mitzuwirken”, gehören neben sechs Landtagsabgeordneten je zwei Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche sowie zwölf bis 17 Vertreter des Kultusministeriums sowie verschiedener Verbände an.

Bereits in den Jahren 1962 bis 1972 waren aus den Haushaltsmitteln des Staates über 71 Millionen Mark für Sachausgaben und Investitionen im Bereich der Denkmalpflege vom Landesamt ausgegeben worden. Seit 1974 ist jetzt auch ein Bntschädi- gungsfonds aufgebaut worden, in den Land und Gemeinden je zehn Mülionen Mark einzahlen, zuzüglich einer Steigerungsrate von fünf Prozent für jedes folgende Jahr. Einschließlich der Ausgaben, für diesen Fonds stehen im bayerischen Doppelhaushalt 1973/74 35,4 Millionen Mark für den Denkmalschutz zur Verfügung. 1975/76 sollen die Etatmittel — einem Antrag des Denkmalrates entsprechend — verdoppelt werden.

Unter der Kritik, die im laufenden Jahr an der Praxis der Denkmalpflege tout wurde, war denn auch die Klage über die zu kleine finanzielle Basis am häufigsten zu hören. Obwohl die Planmittel immerhin 0,1 Prozent des Doppeletats ausmachen, gleichen sie allzusehr dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein. So werden beispielsweise allein die noch zu bewältigenden Sanierungsmaßnahmen für das Kloster Benediktbeuern — eine der ältesten klösterlichen Niederlassungen im Voralpenland —auf 10,4 Millionen Mark geschätzt.

Selbst wenn man berücksichtigt, daß von Privaten, Förderkreisen, Gemeinden und anderen staatlichen Haushaltstiteln, wie etwa Grenzland-, Kultur- und Fremdenverkehrsförderung beachtliche Summen dem Denkmalschutz zufließen, so zeigt sich angesichts der üppig anschwellenden Denhmalliste, bei der vor allem die Endembles als recht kostenträchtig ans Gewicht fallen, ein drastisches Ungenügen. Kultusminister Maier hat denn auch schon angekündigt, daß man sich in der nahen Zukunft auf Objekte mit besonderer Bedeutung beschränken müsse.

Daß ein besserer Kompromiß zwischen den kulturellen und historischen Ansätzen und den pragmatischen Erfordernissen notwendig ist, zeigt sich auch bei der Auflistung der Denkmäler. Die Entscheidung darüber, was als Denkmal zu gelten habe, war bisher in der Hauptsache vom Landesamt für Denkmalpflege ln Abstimmung mit dem Denkmalsrat gefällt worden. Die betroffenen Gemeinden und Landkreise hatten nur wenige Woohen Zeit, sich dazu zu äußern. Jetzt ist deren Anhörungsfrist auf drei Monate verlängert worden. Auch sollen für die Festlegung eines Denkmals strengere und einheitlichere Maßstäbe erarbeitet werden.

Bemängelt wurde auch die ungenügende Unterrichtung der Betroffenen. Allzu viele Eigentümer waren der irrigen Meinung, daß mit der Eintragung in die Denkmalliste zwangsläufig Änderungen an den Objekten unzulässig seien. Oft wurden auch Entscheidungen über den Kopf der ortsansässigen Heimatpfleger hinweg getroffen. Als Mangel erwies sich außerdem die Tatsache, daß unter den Handwerkern immer weniger Fachleute für das Restauriergewerbe anzutreffen sind.

Zwei Paradebeispiele dafür, wie sich Denkmalpflege und praktische Erfordernisse in die Quere kommen können, bieten zur Zeit die geplante Bayerwaidbrücke in Regensburg, die die Altstadt gefährdet, und das neue, aus dem Kloster verlagerte Gymnasium in Tegernsee, dessen Bau das geschützte Landschaftsbild beeinträchtigt. Die funktionale Sinngebung, die zunehmend für den

Schutz des Alten und Schönen gefordert wird, ist eben de facto oft schwer zu erreiohen.

Zwei große Schwierigkeiten, die den Rahmen einer Landesgesetzgebung sprengen, liegen außerdem darin, daß aus Bonn noch immer keine Regelungen zur Einschränkung der Bodenspekulation und zu Steuererleichterungen für Altbau- renovationen vorliegen. Kultusminister Maier hat zwar jüngst die Gründung einer Sanierungsgesellschaft vorgeschlagen, die leerstehende und heruntergekommene Objekte erwerben soll, wenn sie zu spekulativen Zwecken angekauft werden. Der Erfolg einer solchen Institution dürfte aber zum größten Teil davon abhängen, ob es hier, wie beim Naturschutz, gelingt, breitere Bevölkerungsschichten finanziell an solchen Projekten zu interessieren. Im Bundesrat haben die Länder im Juni einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach künftig die Erneuerung des Althausbesitzes, insbesondere, wenn Denkmalcharakter besteht, mit steuerlichen Erleichterungen gefördert werden soll.

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