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Nur im Freilichtmuseum?

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Daß traditionelle bäuerliche Bauwerke einen hohen kulturellen und künstlerischen Wert besitzen, hat man in der Öffentlichkeit bisher nur selten gehört. Deshalb hatte man auch niemals gegen Abbruch oder Verschandelung solcher Bauten protestiert. Und die wenigen, welche dies tun sollten oder^gern getan hätten, wußten selbst nur wenig oder gar Ungenaues von solchen Objekten beziehungsweise erfuhren von der drohenden Gefahr erst dann, als es längst zu spät war. Auf diese Weise sind im Laufe unseres Jahrhunderts unzählige der herrlichsten bäuerlichen Bau- und Kulturdenkmäler in nichts zerronnen; geblieben ist oft nur eine spärliche Kunde von ihrer einstigen Existenz.

Schuld daran war und ist noch immer jene merkwürdige und traurige Tatsache, daß in den Verzeichnissen der Kunstdenkmäler von Österreich Werke bäuerlicher Kultur und Architektur sowie Denkmäler alter Holzbauweise überhaupt nicht erwähnt werden, was den Eindruck erweckt, als hätten wir überhaupt keine Objekte solcher Art in unserem Lande aufzuweisen. Deshalb ließ vielfach die nicht aufgeklärte und nicht informierte Bevölkerung die Denkmäler bäuerlicher Herkunft, weil angeblich „eh wertlos“, einfach verfallen, ja zerstörte sie. Eine rechtzeitig gestartete Aufklärungskampagne seitens des Unterrichtsministeriums, des Bundesdenkmalamtes oder der Schulbehörde hätte allein schon genügt, hier das Ärgste zu verhüten.

Wenn Österreich das Gesicht seiner Ortsarchitekturen verliert, ist es selbst verloren. Deshalb müssen wir heute noch retten, was noch zu retten ist; viel ist ohnehin nicht mehr vorhanden.

Im Mai 1972 veröffentlichte der Schreiber dieser Zeilen in einigen österreichischen Zeitungen einen Aufsatz, in dem er für die Erhaltung einer letzten Gruppe alter Bauernmühlen in einer großartigen Gebirgsszenerie, in Marda-Luggau (Kärnten), eintrat und für die sofortige Unterschutzstellung dieses überaus reizenden, aus fünf in Blockbau errichteten alten Bauernmühlen bestehenden Ensembles plädierte.

Während noch vor etwa fünfzig Jahren hundert solcher Wassermühlen unseren Gebirgstälern, besonders dem Lesachtal, dem Mölltal und dem Villgratental, ihr markantes Gepräge gaben, sind dort heute fast keine Mühlen mehr zu finden. Weil sie nicht mehr gebraucht wurden, hat man sie abgebrochen — oder sie verfielen von selbst. Somit stellen die Mühlen von Maria-Luggau, zumal sie heute ein schon sehr seltenes und dazu auch noch ein überaus malerisches Ensemble bilden, eine große Rarität im gesamten Alpenibereich dar. Durch die in den letzten Jahren dort durchgeführte Regulierung des (die Mühlen treibenden) Trattenbaches hat man die Wasserzu- und -ablei-tung zu den Mühlen entfernt und nicht mehr erneuert, wodurch die Mühlen dem Verfall preisgegeben wurden.

Mein Brief an das Bundesdenk-malamt vom 4. Oktober 1971 mit dem Ersuchen um die Unterschutzstellung des letzten Mühlenensembles des Lesachtals brachte keine Wendung zum Besseren. Man schrieb mir unter anderem, daß .....die weitere Erhaltung der Bauernmühlen in Maria-Luggau nach Auffassung des Landeskonservators für Kärnten nur dann gewährleistet wäre, wenn diese in einem Freilichtmuseum Aufnahme finden könnten...“ und daß solche Initiativen .....in besonders drük-

kender Weise das verhältnismäßig geringe Budget, das zur Förderung der Denkmalpflege im Bundesland Kärnten zur Verfügung steht, belasten“.

Man hatte also kein Geld für die Erhaltung der Baudenkmäler an Ort und Stelle, anderseits geht die Politik des Denkmalamtes dahin, nicht gerade billige Freilichtmuseen zu errichten — obwohl diese Vorgangsweise nicht nur das Vielfache dessen verschlingt, was die Erhaltung dieser Bauten kosten würde und obwohl diese Taktik zur immer größeren Verödung und kulturellen Verarmung gewachsener Orte und Landschaften führt.

Meiner Meinung nach sollten wir niemals diese Wahrzeichen unseres angestammten Lebensraumes der Verschleppung oder Demolierung preisgeben. Was Kunst und Natur eigenartig geschaffen haben, sollte stets vorrangig behandelt und stets am. angestammten Platz gepflegt und erhalten werden.

Ich wandte mich mit einem Bittbrief an die Raiffeisenkasse in Maria-Luggau. Der Vorstand, Josef Sey-wald, teilte mir im Dezember 1972 folgendes mit: „Die Erhaltung der alten Bauernmühlen am Trattenbach ist auch uns ein Herzensanliegen. Die Restaurierung derselben ist bis jetzt daran gescheitert, daß wir keine Arbeitskräfte für die Ausführung der Arbeiten auftreiben konnten. Wohl wäre es möglich, Baumaterial zu besorgen. Vielleicht wäre es Ihnen möglich, drei bis vier Leute in Form eines Ferieneinsatzes für die Mithilfe zu gewinnen. Für die Unterkunft und Verköstigung der Arbeiter würden wir zum Teil aufkommen.“

Bravo! Aber wie weiter? Woher die Arbeitskräfte nehmen? Ich versuchte es bei der Landesinnung der Zimmerleute von Kärnten. Der Landesinnungsmeister, Kommerzialrat Gottfried Ortner aus Ferlach, zeigte Interesse und schlug kurzerhand ein Treffen in Maria-Luggau vor, „um an Ort und Stelle eine Besichtigung dieser Objekte vorzunehmen beziehungsweise eine Kostenaufstellung für die Renovierungsarbeiten durchzuführen“.

Im Juni 1973 trafen wir uns in Maria-Luggau, wo wir uns alle erstmals persönlich kennenlernten. Der Vorstand der Raiffeisenkasse überraschte mit der Nachricht, daß es ihm gelungen ist, von der Kärntner Landesinnung der Zimmermeister eine Subvention in der Höhe von 10.000 Schilling für die Restaurierung der Mühlen zu bekommen. Es wurde der Bauaustand der Mühlen untersucht und das Fehlen der Wasserzufuhrrinnen und einiger Schaufelräder an den Objekten festgestellt. Das vordringlich zu Erledigende, wie Fühlungnahme mit dem Bürgermeister, der Wildbachverbauungsbehörde sowie Möglichkeiten der Beschaffung weiterer Geldmittel, wurden abgesprochen, der Arbeitsbeginn fixiert und ein Protokoll verfaßt. Gleichzeitig fanden wir in der ortsansässigen Volksschullehrerin Brigitte Lugger eine sehr willige und wertvolle Mithelferin.

Die Fühlungnahme mit den Besitzern der Wassermühlen zeigte, daß diese ebenfalls viel Verständnis für unser Vorhaben aufbrachten. Bald danach gründete man den „Verein zur Erhaltung der alten Wassermühlen“, dem alle Mühlenbesitzer der am Trattenbach liegenden Mühlen geschlossen beitraten.

Mit den Instandsetzungsarbeiten begann man nach Einbringung der Ernte; im November 1973 wurden die schadhaften Dächer der Mühlen mit neuen Schindeln ausgebessert. Jetzt, im Winter, arbeitet man an den Schaufelrädern der Mühlen. Das Lärchenholz für die Wiedererrichtung der Baumstammrinnen der Wasserzuleitung hat man ebenfalls schon beschafft. Die Wildbachverbauungsbehörde sagte zu, ein Bassin und die fehlende Wasserzuleitung im heurigen Jahr gratis zu errichten.

Die Mühlenbesitzer versprachen, sämtliche Ausjbesserungsarbeiten in eigener Regie durchzuführen, da sie die restaurierten Mühlen wieder wirtschaftlich nutzen wollen. Somit werden diese Objekte keinesfalls nur zu musealen Schaustücken degradiert sein.

Dies alles entspricht einem Idealfan richtig verstandener Denkmalpflege, wie man sich diese nicht besser vorstellen könnte. Besonders erfreulich ist die Tatsache, daß auch Bauern, denen wir immerhin die reizvollste Volkskunst der Welt verdanken, jetzt wieder, wenn auch nur zögernd und erst nur hie und da, den Wert der von ihren Vorfahren geschaffenen Kultur wieder zu erkennen und zu schätzen beginnen.

Deshalb sollte nun endlich eine breitangelegte und gezielte Aufklärung über den unersetzlichen Wert unserer gesamten Volkskultur einsetzen, bevor es zu spät wird und ohne die eine erfolgversprechende denkmalpflegerische Tätigkeit auf dem Lande nicht möglich ist. Das hier erwähnte Beispiel von der Rettung der Mühlen in Maria-Luggau zeigt deutlich, was man mit etwas. Geduld, Mühe und gutem Willen und gezielter Aufklärung noch immer für die Erhaltung unserer Kulturgüter tun und erreichen kann.

Der Kampf gegen die fortschreitende Verödung, Uniformierung und Verschandelung unseres Lebensraumes, verursacht durch die offenkundige Unfähigkeit, Kurzsichtigkeit, Bequemlichkeit und Faulheit vieler Verantwortlicher und Politiker, die bisher nicht imstande waren, unser gänzlich veraltetes und unbrauchbares Denkmalschutzgesetz zu modernisieren, muß also weitergeführt werden. Bis die überwiegende Mehrzahl unserer Zeitgenossen und jeder Ort in Österreich die Pflege und die Erhaltung seiner angestammten Kultur- und Baudenkmäler als seine vornehmste Aufgabe erkennt und beherzigt.

Wie sagte Rainer Maria Rilke? „Das Kleine ist ebensowenig klein wie das Große groß ist. Es geht eine ewige Schönheit durch die ganze Welt, und diese ist gerecht über -len kleinen und großen Dingen verstreut.“ OTTO SWOBODA

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