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Das Herz einer alten Stadt

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Uber die Bedeutung der Wiener Altstadt viertel Ist schon viel gesagt worden; man weiß, wie viel ihnen Wien an Reiz, Anmut und Charakter verdankt. Gäbe es sie nicht, wäre Wien eine langweilige, graue Großstadt, voller einförmiger Zinshäuser, die nichts über die organische Entstehung dieser Stadt verraten, die nicht mehr erkennen lassen, daß Wien in einer heiteren Landschaft entstanden und gewachsen ist — einer Landschaft, die heute noch mit den ehemaligen schön-harmonischen Vororten bis nahe an das Stadtzentrum vorzudringen scheint. Und verschwänden die alten Baukomplexe in der Inneren Stadt —es verschwände mit ihnen die Erinnerung an die Bürgerkultur, die Wien im Barock und Biedermeier geschaffen hat. Wien wäre, das darf ohne Sentiment gesagt werden, ohne seine Altstadtviertel nicht mehr Wim.

Nun ist es eine Tatsache, wenn auch leider eine noch zu wenig bekannte, daß diese Altstadtviertel nahezu zum Aussterben vururteilt sind. Während die Öffentlichkeit den großen Neubauvorhaben zusieht, :,tirbt in aller Stille das von Bomben beschädigte, durch mangelnde Pflege verwahrloste alt3 Wien. Die „Furche“ ist der Meinung, daß man dem nicht länger mit geschlossenen Augen gegenüberstehen dürfe; sie wird sich daher im Laufe der nächsten Zeit bemühen, der Frage einer Rettung der Wiener Altstadt nachzugehen und die in diesem Zusammenhang auftauchenden Probleme von verschiedenen Seiten zu beleuchten. — Im nachfolgenden wird die Stellungnahme des Denkmal-amts zu diesen Fragen umrissen; wir glauben, daß ihr in Anbetracht der in ihr enthaltenen Forderangen und Anregungen besondere Beachtung zukommt.

„Die Osterreichische Furche“ anläßlich des Neubaues der Fischer-stiege (vergleiche den Beitrag in der „Furche“ vom 26. August 1950) auftretenden Probleme; sie hoffen sehr, daß eine kulturbewußte Stadtverwaltung für die Planung dieser Neubauten wenigstens die Erhaltung des Wesens der alten Anlage, vor allem die Bewahrung des alten Niveauunterschiedes zwischen Donauufer und Stadtterrasse, vorsieht und dieser naturgegebene Höhenunterschied auch in Zukunft durch eine Stiege und nicht etwa eine Rampenstraße überwunden wird. Als weitere Altstadtteile, die entweder vom Verfall schon bedroht sind oder doch wenigstens den Denkmalpflegern Aufmerksamkeit abfordern, sind noch zu nennen: die alten Gassen zwischen Kärntnerstraße und Sailerstätte, die Schönlaterngasse, die Wohnviertel rings um Maria am Gestade und St. Ruprecht, die letzten Basteien, der Judenplatz, der Platz Am Hof und jene Häusergruppen, die, um ehemalige Vorstadtkirchen gelegen, noch ihren altbürgerlichen oder dörfischen Charakter bewahrt haben, wie in St. Ulrich, in Altmannsdorf, im Lichtental oder in den Weinhauerdörfern von Sieve-ring, Grinzing, Nußdorf und Heiligenstadt. Von diesen abgesehen, gäbe es noch viele der Erwähnung werte Einzelfälle; so sind etwa in der Naglergasse und in der Singerstraße schwere Setzungen an kostbaren Gebäuden aufgetreten, die den (Baubehörden die Erwägung nahelegten, diese Bauten ganz abzutragen. Mit allem Nachdruck mußte hier der Denkmalpfleger verlangen, daß diese Straßenzüge nicht durch die Zerstörung einzelner Denkmäler ihrer Wirkung beraubt würden. Auch der letzte größere Rest der Wiener Basteien, die Mölkerbastei, konnte samt ihrem berühmten „Dreimäderlhaus“ dank dem Verständnis des Grundeigentümers — der Gemeinde Wien — gerade noch vor der Abtragung gerettet werden. Eine der schönsten Weinhauerstraßen Wiens, die Kahlenberger Straße, in der sich spätgotische und Renaissancebauten aneinanderreihen, konnte gleichfalls in ihrem Charakter erhalten werden; hingegen bedeutet der Abbruch des schönen Barockhauses in der Judengasse 6 — der zu vermeiden gewesen wäre — den Verlust eines markanten Baues in einer städtebaulich wichtigen Situation. Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren, dürften aber genügen, um die Gefahren, die das Bild unserer Stadt bedrohen, wenigstens andeutungsweise aufzuzeigen.

Wodurch sollen sie gebannt werden?

Es ist zunächst zu sagen, daß sehr viele, wenn nicht die meisten der gefährdeten Altstadthäuser in ihrem konstruktiven Gerippe noch in guter Ordnung sind: Kellermauern, aufgehendes Mauerwerk und selbst die Treppen sind zumeist noch gut erhalten. Eine Gesundung der Bauwerke von innen her, eine grundlegende Assanierung, erscheint daher schon von diesem Gesichtspunkt aus als möglich. Ihr Zweck, wäre die Anpassung des Bauwerks an die Forderungen zeitgemäßer Wohnkultur und Wohnhygiene bei Erhaltung der alten Bausubstanz; es müssen also die Wohnungen mit sanitären Einrichtungen versehen,' Licht und Luft auch den Hoftrakten zugänglich gemacht werden, was beispielsweise durch die Befreiung der Höfe von späteren Einbauten oder durch die Zusammenlegung mehrerer kleiner Höfe zu einem großen Hofraum erreicht werden kann. Selbstverständlich ist es nicht der Wunsch des Denkmalpflegers, Altstadtviertel in Museen umzuwandeln; sie sollen im Gegenteil ihre Funktion im Gefüge der Stadt bewahren. Auch wenn große Durchzugsstraßen von ihnen ferngehalten werden sollten — isoliert dürfen diese Gebiete keineswegs bleiben; sie sollen weiterhin für Wohnzwecke und, etwa im gleichen Ausmaß wie zur Zeit ihrer Erbauung, auch Geschäftslokalen und Handwerksbetrieben Unterkunft bieten. Mit der bloßen Konservierung von Schau-fassaden, ohne Assanierung des Darunterliegenden, ist nichts getan, mit der Aufrichtung historisierender Scheinfassaden ebensowenig.

Die bauliche Sicherung der bedrohten Gebäude muß selbstverständlich am Anfang aller Arbeiten stehen — der modernen Technik ist es ja möglich, fast jedes Bauwerk durch Verstärkungen, Unterfangung und Stützung abzusichern. In den meisten Fällen — in denen, wie schon gesagt, die Bausubstanz noch gesund ist — sind derartig umfassende Maßnahmen aber gar nicht notwendig. Aber selbst unter diesen Umständen ist es den Besitzern alter Häuser meist nicht möglich, eine Assanierung aus eigenen Mitteln durchzuführen. Es fehlen ihnen die finanziellen Reserven, und die geringen Mietzinse erlauben nicht einmal, das Notwendigste zur laufenden Erhaltung der Gebäude zu leisten. Das erstrebte Ziel — Gesundung der Altstädte — kann nur erreicht werden, wenn sich die öffentliche Hand des Problems annimmt.

Es ist an dieser Stelle zu bemerken, daß die zum Zwecke der Altstadtassanierungen angestellten Berechnungen bewiesen haben, daß eine selbst umfassende Instandsetzung billiger kommt als die Errichtung eines neuen Wohnbaues.

Das traf schon vor 1938 und trifft natürlich jetzt, da die Baukosten außerordentlich gestiegen sind, in erhöhtem Maße zu. Die sehr schwierige rechtliche Seite dieser Angelegenheit müßte endlich durch ein dringend notwendiges Assanierungsgesetz geklärt werden, damit eine einheitliche Planung nach entsprechenden Gesichtspunkten gesichert ist.

Die finanziellen Grundlagen hingegen müßten durch einen Assanierungsfonds geschaffen werden.

Bis jetzt liegen aber noch nicht einmal Pläne vor, die sich auf eine Assanierung der Altstädte beziehen würden — und der völlige Verfall wertvollster Kulturgüter schreitet in aller Stille immer weiter fort. Es ist daher zu fordern, daß endlich auch von offizieller Seite die Wichtigkeit einer Erhaltung der Altstädte anerkannt wird; eine Ausdehnung des bisher bestehenden Denkmalschutzgesetzes — das sich in Österreich bekanntlich nur auf den Schutz von Einzelobjekten und nicht, wie anderswo, auf den Schutz ganzer Stadtteile erstreckt — muß gleichfalls verlangt werden. Sie ist nicht weniger notwendig, als das längst fällige Assanierungsgesetz. Und endlich müßte die Planung für eine Assanierung sofort in Angriff genommen werden. Denn die Erhaltung alter Häuser ist nicht nur eine ökonomische Angelegenheit, sondern auch eine kulturelle Verpflichtung.

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