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Tradition und Moderne

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Zwischen dem schweizerischen und dem österreichischen Föderalismus bestehen wesentliche Unterschiede. Während die Steueraufbringung in der Schweiz in die Hoheitsrechte der Kantone fällt, die ihre Abgaben an den Bund zu leisten haben, werden in Österreich die für den Staat und die Länder erforderlichen Mittel mit wenigen Ausnahmen durch Steuereinhebung des Bundes aufgebracht und erfolgt eine Verteilung von oben nach unten. Dieser Unterschied bewirkt, daß in Österreich dem Bunde mehr Aufgaben zur Erfüllung übertragen sind als in der Schweiz. So hat der Bund in Österreich viel mehr öffentliche Gebäude zu verwalten als die Zentralstellen der Schweiz. Dadurch sind die Leistungen des Bundes in der Bundeshauptstadt Wien von einem Ausmaß, wie es von vielen Fremden, ja nicht einmal von den Österreichern selbst erkannt wird. Daß in Wien fast alle historischen Gebäude, wie die Hofburg, das Schloß Schönbrunn, das BelvedeTe, die Oper, das Burgtheater, das Parlament, die Museen, der Sitz des Bundespräsidenten wie des Bundeskanzlers und der Minister, daß sämtliche Gerichtsgebäude, alle Hoch- und Mittelschulen, die Anitsgebäude der Justiz- und Finanzverwaltung, der Exekutive, ja daß SQgaf der Tiergarten von Schönbrunn und noch viele andere Gebäude im Eigentum des Bundes liegen und baulich vom Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau betreut werden, ist wenig bekannt. Bei einem Gang durch die Innere Stadt von Wien • trifft man daher Schritt für Schritt auf bundeseigene Gebäude. Mehr als 1500 Bauten sind in Wien im Besitz des Bundes und waren nach Beendigung des Krieges 1945 mehr oder weniger schwer beschädigt.

Wer erinnert sich heute noch an die weitgehende Zerstörung des Kanzleramtes, daß von der Oper fast nur die Außenwände erhalten waren, daß die Decke des großen Spiegelsaales in Schönbrunn den Bomben zum Opfer gefallen, daß die Gloriette teilweise und der Tiergarten fast zur Gänze zerstört waren und daß alle

Amtsgebäude im Zuge des Kriegsendes von den flüchtenden Machthabern des abtretenden Regimes in Brand gesteckt wurden, um die Dokumente ihrer schandhaften Tätigkeit, zu vernichten.

Heute, 15 Jahre nach Beendigung des Krieges, sind sämtliche Kriegsschäden an den 1535 Liegenschaften des Bundes in Wien behoben. Dort, wo Totalschäden vorhanden waren, entstanden neue Bauten, auf die Österreich stolz sein kann, die auch die Bewunderung des Auslandes hervorrufen. Wenn österreichische Fachleute mit ihren Kollegen des Auslandes über die Bauleistungen ihrer Staaten diskutieren, wird den Österreichern immer wieder die Frage gestellt, wie dieses schwer getroffene österreichische Volk in so kurzer Zeit diese gigantischen Aufbauleistungen vollbringen konnte und woher Österreich das viele Geld dafür genommen hat. Die Antwort lautet: „Der Opfergeist des österreichischen Volkes hat diese Tat ermöglicht!“

Am Wiederaufbau der Prunkgebäude Wiens dokumentiert sich ebenso die Traditionsgebundenheit des Österreichers wie seine Bescheidenheit. Haben ändert Staaten zerstörte historische Bauten oft durch extrem Modernes ersetzt, hat sich der Bund in Wien bemüht, Bauten eines van der Null, eines Siccardsburg, eines Hansen oder Friedrich Schmidt soweit wie möglich im Originalzustand zu rekonstruieren, ihnen ihr altes, historisches Kleid wieder zu geben. Fügen sich in Wien diese Bauten im neuen alten Kleid dem gewohnten Stadtbild wieder ein, so verewigen anderswo die modernen Giganten den Umfang der Kriegsschäden. Selbst Oper und Burgtheater, die in ihrer Zweckausstattung den modernen Erkenntnissen gerecht werden, deren Innenarchitektur dem modernen Zeiteeist angepaßt wurde, haben ihr traditionsgebundenes Aussehen nicht verloren.

Im Zuge der Behebung der Kriegsschäden wurden auch bisher wenig zugängliche historische Gebäudeteile neu erschlossen. So wurde der wunderbare Renaissancehof der alten Stallburg restauriert; anläßlich der heurigen Wiener Festwochen finden dort Freilichtaufführungen mit Max Mells Nachfolge-Christi-Spiel statt.

Nach Abschluß des Staatsvertrages nahm Wien seine Tradition als Kongreßstadt im Her zen Europas mehr als bisher wieder auf. Die prachtvollen Residenz- und Repräsentation -räume der Wiener Hofburg, die vorher wenig nur fallweise benützt worden waren, wurden durch den Bund nach den modernsten Erkenntnissen der Technik zu einem Kongreß- und Festsaalareal ersten Ranges ausgebaut. Diese Räume ermöglichen die Abhaltung der größten Weltkongresse. Eine Flucht modernst eingerichteter Büroräume bietet die organisatorische Voraussetzung, Simultan- und Transistoranlagen sorgen für Übertragungen in mehrere Sprachen. Daß sich' der Ausbau der Hofburg als Kongreßzentrum gelohnt hat, beweisen die vielen Kongresse, die dort in den letzten Jahren stattgefunden haben, ebenso wie die zahlreichen Anmeldungen internationaler Konferenzen für die nächste Zeit.

Dem Bund obliegt auch die Verwaltung militärischer Objekte. Da nach dem Zusammenbruch des vergangenen Regims in Wien derer zu viele vorhanden und die meisten schwer beschädig waren, hat man einen Großteil dieser Objekte einem sozialen Zweck zugeführt. So hat man das Wiener Arsenal in ein Wohnviertel umgewandelt, dient die Roßauer Kaserne jetzt der Bundespolizei und die Kasernen in Meidling und auf dem Rennweg der Gendarmerie. Nicht weniger als 1044 Familien wohnen jetzt, umgeben von Grünanlagen, dort, wo früher in Kasernenhöfen und auf Exerzierplätzen kommandiert wurde.

Die Leistungen des Bundes auf dem Gebiet des Wohnhaus-Wiederaufbaus in Wien eingehend zu besprechen, würde über den Rahmen ' dieser Ausführungen hinausgehen. Die rotweiß-roten Tafeln an noch im Bau befindlichen Gebäuden und die bronzenen Gedenktafeln an den Fassaden oder in den Eingangshallen fertiggestellter Häuser sind Zeugen der Tätigkeit des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds. Rund 107.000 kriegszerstörte Wohnungen wurden in Wien au den Mitteln dieses Fonds neu geschaffen oder wiederhergestellt und instand gesetzt. Darunter sind mehr als 10.000 gemeindeeigene Wohnungen, für die der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds der Gemeinde die Mittel gegeben hat.

Leider waren die Kriegsschäden an Wohnhäusern in Wien so groß, daß beim Wohnhaus-Wiederaufbaufonds noch immer Ansuchen um Kriegsschadensbehebung für rund 20.000 Wohnungen liegen. 5,9 Milliarden Schilling hat dei Fonds für Wohnhäuser in Wien bereits aus-.egeben, 2,9 Milliarden Schilling sind noch er-corderlich.

Die Gesamtleistungen des Bundes auf dem jebiet der Stadt Wien für bundeseigene Gebäude und für Wohnbauten betragen zusammen 8,8 Milliarden Schilling; auf den Kopf der Wiener Bevölkerung umgerechnet, ergibt das einen Betrag von rund 5100 S pro Wiener. Es wäre müßig, diese Zahlen zu kommentieren.

Wenn sich Wien durch Zusammenarbeit der Bundesdienststellen und der Gemeindeverwaltung heute dem Ausländer wieder im alten und teilweise auch in neuem Glanz präsentiert, so ist das einzig und allein dem zähen Lebenswillen, der Bescheidenheit und dem Opfergeist des österreichischen Volkes zu danken. Dieses Volk, das in den letztvergangenen fünf Dezennien viel Elend und Not ertragen mußte, hat ein Recht darauf, für seine Leistungen bedankt zu sein.

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