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Steirischer Wiederaufbau

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Im Frontbogen, der sich in den Maitagen 1945 vom Pfaffensattel über Rettenegg, St. Jakob, Wenigzell, Vorau, Fürstenfeld, Riegersburg, Feldbach, Fehring, Straden bis nach Radkersburg zog, rauchten die Brandstätten; die wenigen Zurückgebliebenen hatten sich in Kellern und in Höhlen gemeinsam mit den geringen Resten des Viehs verkrochen und warteten dort zitternd auf das Ende dieser apokalyptischen Sdhreckens- zeit.

Dazu kam noch, daß in den letzten Kriegstagen die abziehenden Truppen auf Grund sinnloser Befehle gegen 200 Straßen- und Eisenbahnbrücken gesprengt hatten. Die Straßen waren durch die Panzer zer wühlt, die Saaten vernichtet, die Felder und Wälder durch Minenfelder verseucht.

In den Städten, vor allem in Graz, war der Schrecken durch die vielen Bombenschäden nicht geringer. Die Stadtteile beim Hauptbahnhof und in Gösting waren fast vollkommen vernichtet. Aber auch im Zentrum waren viele Wohngebäude und unersetzbare andere Bauten beschädigt oder zerstört. Die neue technische Hochschule, die Universität, das Stadttheater, das herrliche Landhaus, die Gewerbeschule für Maschinenbau, viele große Industrien waren schwer betroffen.

Sehr arg gelitten hatte von den kleineren steirischen Städten vor allem Knittelfeld. Hier waren die Austria-Emaillewerke, der große Bahnhof mit den Werkstätten, die Kirche, ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt, und der schöne Hauptplatz mit dem alten Rathaus vernichtet worden. Ebenso war das benachbarte Zeltweg schwer betroffen.

Dazu kam noch, daß ein Großteil der Väter und Söhne entweder gefallen, schwer verwundet, in Gefangenschaft oder erst auf mühevollem Heimweg von der Front begriffen war. Vielen hatte gerade in den letzten Kriegstagen der sinnlose Einsatz beim Volkssturm Gesundheit oder das Leben gekostet. Zu Hause waren fast nur Frauen, Kinder und Greise, verängstigt, fast verhungert, verzweifelt.

Ein Kriegsende, wie es wohl auch nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht furchtbarer gewesen sein kann.

Und da geschah das steirische Wunder! Es begann bei den Gebirgsbauern in der nordöstlichen Steiermark. Hier lebten Menschen, denen die Großstädter wahrscheinlich nie viel zugetraut hatten. Und gerade diese Menschen waren es, die beim Wiederaufbau die Führung an sich rissen. In der Gegend von Rettenegg gibt es einen Bauern, der schon zu einer Zeit, als noch die Kämpfe in der Nähe seines zusammengeschossenen Hauses tobten, mit seiner Frau, seinen Nachbarn und einem tüchtigen Zimmermeister unverzagt an die Arbeit ging. Heute steht dieser Hof schöner da als früher, das Wohnhaus mit sonnigen, luftigen Stuben und einem Badezimmer. Von der Küche aus überblickt man die neuentstandenen Wirtschaftsgebäude mit gesunden Stallungen, großen Vorratsräumen im behäbigen Dachraum, in den die übervollen Erntewgaen über eine Hocheinfahrt gelangen.

Aber auch sonst gingen Greise, Frauen und Kinder unverzagt an die Arbeit. Sie fällten die Bäume, um sie zu Deckenbalken und Dachhölzern zu behauen. Sie brachen sich selbst die Steine und setzten sie aus alther überbrachter Kenntnis in kleinfügigen Verband. Statt des fehlenden Kalkes wurde mit Lehmmörtel gearbeitet.

Hier ging damals wirklich noch Gemeinnutz vor Eigennutz. Wer noch irgendeine geeignete Unterkunft hatte, der nahm außer seinen Leuten noch Obdachlose bei sich auf und teilte mit ihnen, was er besaß. Und bald kam auch die Hilfe von seiten der steirischen Landesregierung, die ohne Unterschied der Partei alles für den Wiederaufbau tat. Die Behörden und Verbände, vor allem das Landesbauamt und die Landwirtschaftskammer, hatten sich einträchtig in ihre Aufgaben geteilt. Schon Ende Februar 1946 waren die Kriegsschäden in Steiermark durch genaue Aufnahmen erfaßt; die Baustoffindustrien, Ziegeleien, Kalk- und Zementwerke, die Alpine, Böhler, Pengg, Lapp-Finze und andere kamen durch den Wetteifer von Unternehmern und Arbeitern rasch wieder in Betrieb, trotz zerstörten Betriebsgebäuden und entführten Maschinen.

Und so wuchsen vor allem meistens im Gebirge zuerst die Wirtschaftsgebäude, größer, besser und schöner als früher wieder aus dem Grunde der Erde empor. Eine unbändige Aufbaukraft, die alle Schwierigkeiten über- brückte, zeigte diese oststeirische Bevölkerung.

Aber auch in den Städten begann der Wiederaufbau. Und heute sind vor allem in Graz Schutt und Trümmer fast überall verschwunden. Die Industrie in und am Stadtrand von Graz ist zum größten Teil wiederaufgebaut und voll in Betrieb.

Und so ist etwas wahr geworden, das’

zwar die leitenden Männer des steirischen Wiederaufbaues auf ihr Programm geschrieben, selbst aber kaum für erfüllbar gehalten hatten. Heute, vier Jahre nach Kriegsende, sind von den fast 20.000 zerstörten Gebäuden und 200 gesprengten Brücken nahezu 70 Prozent wieder aufgebaut.

Der Arbeiterstand am Enzberg und in den Kohlengruben hat den Stand von 1937, die Erzeugung der steirischen Industrie und des Gewerbes zum Großteil den Friedensstand überschritten. Das Salzakraftwerk wurde bereits eröffnet; die Hierzmannsperre ist im Bau und Anfang 1950 soll der Bau des Hieflauer Ennskraftwerkes begonnen werden. Auch die Straßen sind wieder ohne Gefahr befahrbar; es wurde sogar schon mit dem Bau einiger Kilometer neuer Betonstraßen begonnen.

Es gibt beim Wiederaufbau zweiGrup- pen von Problemen: in die erste kann man die Aufgaben der Beschaffung der Arbeitskräfte, der Baustoffe und des Geldes sowie die technischen und betriebswirtschaftlichen Probleme einreihen. Diese Aufgaben wurden nicht nur in der Steiermark, sondern auch anderswo gut und ordentlich gelöst.

Aber diese Bauten sollten sich nicht nur durch ihre Konstruktion und durch ihre innere Einteilung als Künder unserer Zeit zu erkennen geben, sie sollten sich auch sowohl durch den Standort, auf dem sie errichtet werden, als durch ihre äußere Erscheinung in die Landschaft und ihre sonstige Umgebung gut einfügen. Sie sollten vor allem dem Besitzer im Innern des Hauses alles das geben, was wir von einem zeitgemäßen Wohngebäude sowie von einem gewerbe- oder landwirtschaftlichen Betriebsgebäude erwarten können. Es soll das Haus aber auch durch seine äußere Erscheinung in den Menschen, die darin wohnen und die daran vorübergehen, jene Freude hervorrufen, die jedes liebe- und kunstvoll gestaltete Bauwerk in uns erweckt. Nicht nur die äußere Gestaltung der wiederaufzubauenden Gebäude selbst stellte die Verantwortlichen vor besondere Aufgaben; es war ebenso notwendig, die Gestaltung ganzer Ortsteile, die im Zuge der Kriegs- schadensbehebung wieder aufgebaut werden sollten, zu betreuen, eine Aufgabe, die auch zum Teil zu jenen der Ortsplanung gehört.

Beides, sowohl die Einflußnahme auf die Baugestaltung als auch auf die Ortsplariung, war von größter Bedeutung. Daß in Steiermark diese Aufgabe im Wiederaufbau gelungen ist, das verdanken wir einer Anzahl von Männern, von denen die Gefahr eines kulturellen Unglücks aus dieser Richtung her rechtzeitig erkannt wurde. In Steiermark hat ja schon in den Jahren 1820 bis 1860 Erzherzog Johann und mit ihm die „Landwirtschaftliche Gesellschaft“ sich bemüht, die steirischen Bauernhäuser besser und schöner zu bauen. Den gleichen Problemen hat sich Univ.-Prof. Hofrat Dr. Viktor v. G e r a m b zugewendet. Eine schon im Jahre 1911 in der Zeitschrift des historischen Vereines für Steiermark von ihm veröffentlichte Abhandlung über das

Bauernhaus in der Steiermark wurde grundlegend. Mit Prof. Geramb und dem von ihm betreuten Verein für Heimatschutz hat sich das steirische Landesbauamt und ein Anzahl freischaffender Architekten zusammengetan, um beim Wiederaufbau den Kampf gegen Kitsch und Verschandelung aufzunehmen. Die Abteilung für Hoch- und Wiederaufbau des steiermärkischen Landes bau am tes übernahm es, gemeinsam mit ihren Außenstellen, jeden von den ungefähr 3 0.0 00 eingereichten Wiederaufbauentwürfen sowohl hinsichtlich Gestaltung als auch hinsichtlich Einfügung in die Ortsplanung zu überprüfen; die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft hat die Planung der landwirtschaftlichen Gehöfte und deren Wohnhäuser auf gute Grundrißgestaltung überprüft.

Ziel war: es sollten in der Konstruktion und in der Raumeinteilung zeitgemäße Bauwerke mit allen technischen Errungenschaften unseres Jahrhunderts geschaffen werden, frei von jeder Altertümelei. Aber die Bauwerke auf dem Lande, sowohl die der Landwirtschaft als auch die in den kleineren geschlossenen Siedlungen, sollten nicht zu sehr von jenen Bauformen abweichen, die sich durch Jahrhunderte aus Gründen des Klimas und der örtlich vorhandenen Baustoffe als richtig, gut und schön erwiesen hatten. Es wurden einfache, geschlossene und ruhige Baukörper und einfache, zweckmäßige Dachformen mit klimatisch begründeten Dachneigungen angestrebt. Es sollten vor allem die bei manchen kleineren Baugewerbetreibenden so sehr beliebten Schweizer Giebel mit sichtbaren Sparren und Pfetten vermieden werden. Es sollten weiter im Gebiete der Schwarzdeckung nach Möglichkeit entweder Schindeldächer oder dunkelgrau gefärbte Zementdächer erstehen, während sich im Gebiete der Rotdeckung jedoch das Biberschwanzdach wegen seiner schönen landschaftlichen Wirkung und seiner technischen Güte durchsetzen sollte.

Nach Möglichkeit sollten die von verschiedenen großen Holzbaufirmen herausgebrachten, als Blockhäuser getarnten Barackenbauten verhindert werden, gleichgültig ob es sich um das berühmte Knusperhäuschen mit schiefen Wänden oder um ein Schweizerhäuscheft mit flachen Dächern und Glockentürmchen handelte. Es war ein schwerer Kampf, der gegen diese Barackenseuche geführt wurde, aber die wirksamsten Gegner dieser Bauten sind ja heute die wenigen und leider sehr unzufriedenen Besitzer dieser Häuschen.

Es wurde getrachtet, sichtbares Steinmauerwerk nach althergebrachter, bodenständiger Art — mit lagerhaften Steinen in gutem Verband und gut ausgezwickt — herzustellen und nicht Mauern, in denen die Steinblöcke in einer Betonsauce schwimmen. Es wurde bei ländlichen Bauten nach Möglichkeit das einfache zweiteilige Fenster mit guter Sprossenteilung, ohne Kippflügel und ohne Rollbalken, angestrebt. Bei ländlichen Geschäftshäusern wurde der Kampf gegen die riesigen Geschäftsportale, die so aussehen, als hätte man in das Haus eine Wunde gerissen, aufgenommen. Es wurde getrachtet, schöne und kunstsinnig entworfene Haustore zu bauen und liebevolle Durcharbeitung der wenigen architektonischen Gliederungen zu erzielen.

Um alle diese einfachen Grundsätze den kleineren Baugewerbetreibenden auf dem Lande nahezubringen, wurden durch einen Baurat des Landesbauamtes in allen Kriegsschadensbezirken von Steiermark aufklärende Lichtbildervorträge gehalten, in denen gute und schlechte Beispiele gezeigt wurden.

Heute sind die Orte Wenigzell, St. Jakob, Vorau, Riegersburg, Fehring und viele andere viel schöner als einst aus Asche und Trümmern wiedererstanden.

Nach anfänglichen Kämpfen über den angeblich zu starken Einfluß der Baubehörden haben nun auch sehr moderne Baukünstler aus dem In- und Auslande ihre uneingeschränkte Zustimmung den Steirern bekundet. Anläßlich eines Besuches der Wiederaufbaugebiete durch die österreichischen Landesplaner haben einige führende Baukünstler ihre vorher ablehnende Haltung in ein vollkommenes Einverständnis gewandelt. Und was uns am bedeutendsten erscheint: die anfänglich nicht leicht zu gewinnende Bevölkerung gibt heute zu, daß diese einfachen, mit der Landschaft und dem Ortsbilde verbundenen, aber doch zweckmäßigen und modernen Bauten ihr heute viel mehr Freude machen als die im Anfang gewünschten und von manchen kleinen Baugewerbetreibenden so sehr empfohlenen Vorstadthäuschen mit flachen Dächern, Türmchen und Erkern.

Sogar die Geschäftsleute auf dem Lande haben heute mit den einfachen, geschmackvollen Verkaufsläden, mit kleinen Auslagen, die statt mit eisernen Rolladen mit kräftigen, eisenbeschlagenen’ Balken geschlossen werden, viel Freude. Aber auch die Fabriksherren haben das ihre getan und heute sind die umgebauten Austria-Emaillewerke in Knittelfeld mit ihren vorbildlichen, hellen und gesunden Betriebsräumen ein Stolz der steirischen Industrie.

So kann gesagt werden, daß sich das steirische Volk aus dem unsagbaren Unglück dieses Krieges zu einer einmaligen Leistung gefunden hat, die an die Stätten der Zerstörung Besseres und Schöneres setzte und zum Zeugnis wurde, was Heimatliebe, Sachkenntnis und aufgeschlossene, den Parteigeist überwindende Zusammenarbeit vermag.

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