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Für immer verloren...

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Wie in Österreich, glaubte man sich auch in Bayern lange Zeit vor den Zerstörungen des Krieges sicher, bis dann der letzte Kriegsabschnitt seit dem Sommer 1944 in lawinenartig ansteigendem Ausmaß die furchtbarsten und unersetzlichen Verluste an historisch wertvollen Kunstdenkmälern und musealem Kulturgut brachte. Wenngleidi in Bayern, Schwaben und Franken (neben den Rheingebieten die an Kunstbesitz reidisten Lander Deutschlands) entsprechend- diesem Reichtum viele bedeutende Kunstwerke von der Zerstörung verschont blieben, so ljegt dort gerade das Erlesenste an Architektur in Schutt und Trümmer. Die umfangreidie Verlustliste weist unzählige Werke von europäischem Rang auf. Besteht für Österreichs Verluste auf architektonischem Gebiet berechtigte Hoffnung, fast alle Sdiäden, wenn auch mit mehr oder weniger sdimerzlichen Narben in einigen Jahren wiederherzustellen, so müssen unzählige berühmte Baudenkmäler Süddeutschlands als für immer verloren betrachtet werden, i

München — zweifellos die baukünstlerisch ausgeglichenste Großstadt Deutschlands vor dem Kriege — hat nicht nur seine bekanntesten baulichen Wahrzeichen eingebüßt, sondern ist mit der mehr oder weniger starken Zerstörung von 65 Kirchen und 57 Monumentalbauten — darunter den kostbarsten Perlen aus allen Stilperioden — in seinem architektonischen Kern getroffen. So. ist beispielsweise die gänzlich zerstörte ehemalige Residenz der Wittelsbacher, mit ihrer unerreichten Innenraumkunst, deren prunkvolles Antlitz die Stil-entwicklurtg mehrerer Jahrhunderte geprägt, •für die gesamteuropäisdie Kulturwelt ein unersetzlicher Verlust. Völlig zerstört ist auch die Anna-Damenstiftskirche, ein kostbares Juwel der bayrischen Rokokoarchitektur. Eine gewisse Hoffnung besteht, die im späten 15. Jahrhundert erbaute Frauenkirche mit ihren nun zur Gänze eingestürzten Gewölben und gespenstisch aufragenden fensterlosen Mauern und Türmen, einst das charak-teristisdie Wahrzeichen des Stadtbildes, in ihrem architektonischen Außenbild retten zu können. Schmerzlich ist der Anblick der weitaufgerissenen, ihrer einst mächtigen Gewölbe beraubten Michaelskirche, ein kunsthistorisch bedeutsamer Bau: 1583 begonnen, war sie die erste große Renaissancekirche nach italienischem Vorbild auf deutschem Boden. Weit-gehendst zerstört sind auch die Heilige-Geist-Kirche und die Peterskirdie, verhältnismäßig geringeren Schaden dagegen erlitt die„Thea-tinerkirdie; unzerstört blieb die von den Brüdern Asam erbaute St-Johann-Nepomuk-Kirche, mit ihrem auf schmalem Grundriß sich steil erhebendem Raumkörper ein berühmter eigenartiger Fremdling unter den Bauwerken des Barocks; ebenso unversehrt blieb Schloß Nymphenburg mit seinen Gartenanlagen! Liegen heute Alte und Neue Pinakothek, Glyptothek, Neue Staatsgalerie und andere Museen in Trümmer, so blieben seltsamerweise die nur wenige Meter davon entfernten Naziprotzbauten am Königsplatz unbeschädigt (das sogenannte „Ehrenmal“ wurde erst vor kurzem gesprengt); erhalten blieb auch das erst in den letzten Jahren erbaute Haus der deutsdien Kunst, das derzeit wediselnde Gemäldeausstellungen aus dem Fundus der ihrer alten Heimstätten beraubten bayrischen Staatsgalerien beherbergt.

Trotz des ungeheuren Umfanges an Verlusten kann aber die Zerstörung Münchens nicht zum Schlimmsten in Bayern gerechnet werden, es gibt dagegen zwei süddeutsche Städte, die zur Gänze ihr von jahrhundertelanger städtebaulicher Entwicklung geprägtes Antlitz eingebüßt haben: Nürnberg und Würzburg sind in ihrem Lebenskern vollkommen zerstört! An Stelle der einstmals barocken Pracht unzähliger Paläste und des Kranzes seiner Kirchen und Klöster, zeigt Würzburg eine kahle verwüstete Stätte. Wo einst der Blick verschlungene Kurven der Dächer, Giebeln und Kuppeln erfaßte, dort zeigt sich ihm heute wie ein schreckhaft aufgerichteter Finger der unverletzt gebliebene Turm der gotischen Marienkapelle, der mit seinen — wie von Flammenglut ausgeglühten — rotleuchtenden Sandsteinquadern Zeugnis ablegt, von dem verheerenden Brand, der im März 1945 die Stadt in Asche legte! Von dem berühmten Bau der Fürstbischöflichen Residenz blieb nur mehr der nackte Steinbau über, die weltberühmten Fresken Tiepolos im Stiegenhaus und im Kaisersaal blieben aber wie durch ein Wunder nahezu unbeschädigt, ebenso die eingebaute Hofkirche; gänzlich zerstört wurde die alte Peterskirche, von den Kuppeln von Neumünster, Stift Haug und der Schönbornkapelle blieben gähnende Steinschalen zurück. Die verhältnismäßig leichter ersetzbaren neueren Vorstädte blieben ebenso nahezu von Zerstörungen verschont wie in Nürnberg, das durch den totalen Verlust seines mittel-alteflichen Stadtinnern seiner Seele .beraubt wurde. Wo sich einst in malerischer Buntheit winkelige Gäßchen mit ihren zahllosen Fachwerkbauten dicht aneinanderdrängten, irrt heute der Blick über ein ungeheures verödetes Wüstenfeld und unter dem Schutt und Gewirr von Drähten und Abfällen einstiger Werkstätten, tritt nun wieder das Terrain ' des Bodens mit seinen Hügeln und Talwellen in Erscheinung, wie wir es vor der späteren Verbauung noch aus den- Zeichnungen Dürers kennen. Fast gänzlich zerstört sind die stolzen gotischen Kirchen St. Sebald, St. Lorenz und die Frauenkirche, das mächtige Rathaus und die Kaiserburg, von deren trutzigen ,Mauern nicht viel mehr übrig blieb als riesige Schuttberge mit aufragenden /Ruinen.

Augsburg, das als erste unter den bayrischen Städten bei einem Angriff im Jänner 1944 in seiner Gesamtheit vor allem durch Brand erfaßt wurde, hat besonders in seiner baugeschichtlich wertvollen Innenstadt argen Schaden erlitten, doch blieben wenigstens die Straßenwände in ihrer kahlen Steinarchitektur größtenteils stehen. Von dem „heroischen Ansehen“ des Rathauses, das nach den Worten seines Erbauers Elias Holl dieses großartigste Werk monumentaler Renaissancebaukunst Deutschlands haben sollte, blieb nicht viel mehr übrig als kulis senhafte Fassaden, die wie eine leere Riesenschachtel wirken.

Regens bürg, Passau und Bamberg erlitten wohl einige schmerzliche Verluste an wertvollen Kulturbauten (so zum Beispiel das wie durch .ein Erdbeben verschüttete Obermünster in Regensburg), haben aber Gesamtstruktur und Antlitz ihres architektonischen Stadtbildes bewahren können! In Bayreuth brannte das alte Hojhenzöllernschloß aus, in Aschaffenburg wurde das von Riedinger zwischen 1605 bis 1614 erbaute Renaissanceschloß, einst Sitz des Kurfürsten von Mainz, und die Stiftskirche zerstört! Kleinere Städte wurden vor allem vom Erdkampf der letz1-ten Xriegsphase betroffen. So wurde, um ein Beispiel für viele ähnliche anzuführen, Rothenburg ob der Tauber — dieses weltberühmte Musterbeispiel einer mittelalterlichen deutschen Stadt — von einem verantwortungslosen Hasardeur zuletzt noch zum militärischen Hauptquartier gemacht und deshalb von Granaten und Feuer arg heimgesucht; die edelsten Stadtteile blieben wohl ziemlich verschont, doch brannte — neben vielen historisch bedeutsamen Einzelobjekten — in der östlichen Neustadt ein ganzes Viertel mit Bauten aus dem 15. Jahrhundert aus. Die Verluste auf dem {lachen Lande sind weitaus geringer und keines der großen berühmten Stifte wurde beschädigt, so daß das für Süddeutschland charakteristische Barock in wesentlicher Substanz erhalten blieb. Umfangreich ist leider die Verlustliste der kunsthistorisch wertvollen E i n z e 1 o b j e k t e, aus der — wieder nur andeutungsweise — einige hervorragende Plastiken als Beispiel erwähnt seien: Die Büsten der drei Frankena p o s t e 1 in Neumünster und die sogenannte Himmelsceiiimadonna im Dom in Würzburg, Perlen gotischer Schnitzkunst aus der Meisterhand Tilmann Riemenschneiders. Unzerstört dagegen haben unter ihrer Steinhülle das Sakramentshaus von Adam Krafft im Chor von St. Lorenz und das 1488 bei Peter Vischer in Auftrag gegebene Sebaldusgrab die Schreckenszeit überdauert. Unübersehbar groß ist der Verlust an musealem Kulturgut. Zahlreiche Schlösser und Klöster, die geborgene Bibliotheken oder Archive beherbergten, wurden im Verlaufe 'der Erdkämpfe geplündert oder in Brand gesteckt. Unter solchen Umständen gingen umfangreiche Schätze des Archivs von Würzburg und der Universitäten München (darunter sämtliche Seminarbibliotheken mit • über 100.000 Bänden) und Erlangen zugrunde. In Würzburg, wo man in verantwortungslosester Weise den Abtransport sogar des wertvollsten Kulturgutes versäumte, verbrannten die reichen Sammlungen des Mainfränkjschen Museums (darunter die eigenhändigen Originalpläne Balthasar Neumanns), und der überwiegende Teil der Universitätsbibliothek. Unersetzbare Zerstörungen ereigneten sich auf der Plassenburg, wo Fremdarbeiter die geborgenen kostbaren Möbel aus den Residenzen von Würzburg, Bamberg und Bayreuth in Trümmer schlugen. Die weit über provinzielle Grenzen hinaus bekannte antike Vasensammlung der Universität Würzburg, wurde von Betrunkenen völlig in Scherben geschlagen. Die wissenschaftliche Forschung wird durch die umfangreichen Verluste, deren Aufzählung bei weitem nicht vollständig ist, auf viele Jahre hinaus zu leiden haben.

Wenngleidi sich der staatliche Denkmalschutz unter Überwindung äußerster Schwierigkeiten für die notwendigste Errettung und Sicherung einsetzt, ist ohne großzügigste Hilfe von außen an die Wiederherstellung der meisten zerstörten Kulturbauten kaum “ zu denken. In diesem Zusammenhang ging vor einiger Zeit die Nachricht durch die deutsche Presse, daß sich Schweden bereit erklärte, für etwa ein Dutzend der berühmtesten zerstörten deutschen Kirchen Material zum Wiederaufbau beizustellen.

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