6589309-1952_15_11.jpg
Digital In Arbeit

Eine Wiener Silhouette

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn wir von einem Stadtbild reden, so meinen wir in erster Linie den Höhen riß, der auch in der vereinfachten Schau aus großer Entfernung noch bezeichnend und den Bewohnern dieser Stadt vertraut und lieb ist. Ein Schloßberg, ein oder mehrere hohe Türme oder Hochbauten sind meist die Grundelemente dieses Bildes, ob es sich hier um die „sky line" New Yorks oder um die Kulisse des Salzburger Festungs- oder Mönchsberges handelt. Die Silhouette von Wien ist unzählige Male gezeichnet und auch beschrieben worden. Adalbert Stifter hat die Stadt mit einer Scheibe verglichen, die in der Mitte die Nadel des Stephansturms trägt. Zu ihm kommen noch andere Türme und Dächer. Wir sehen sie von der Feme aus, etwa vom Kahlenberg, wir freuen uns, sie auf alten Stadtansichten wiederzuerkennen. Bei den ganz alten Bildern freilich ist das manchmal nicht so ganz leicht. Abgesehen von jenen Bauten, die erst später dazugekommen sind, haben doch auch die alten Gebäude und Türme ihr Profil gelegentlich ziemlich stark ver ändert. Allgemein bekannt ist das vom Turm der Minoritenkirche, dessen Spitzdach bei der Belagerung von 1683 abgebrannt ist und durch ein flaches Notdach ersetzt wurde, das ihn heute noch deckt — ein liebenswürdiges Beispiel für die Langlebigkeit österreichischer Provisorien. Daß der Turm der Augustinerkirche nach dem Brand von 1848 einen neugotischen Helm bekam, und zwar aus Gußeisen, um nicht noch einmal die Hofbibliothek durch Feuer zu gefährden, ist jedem .gelernten" Wiener bekannt.

Wie steht es nun mit der Michaeler- kirche? Wir freuen uns über die schlanke Eleganz ihres Turms, der aus der fast vollständig von jüngeren Häusern umbauten Kirche aufragt. Auch Kunsthistoriker (zum Beispiel Tietze) haben die .Schlankheit des gotischen Turms besonders hervorgehoben. Hat er wirklich immer so ausgesehen? Der engeren Forschung ist es längst bekannt, daß der gotische Turm (der etwa von 1340 stammte) ursprünglich einen steinernen

Turmhelm trug, mit Krabben besetzt, ganz ähnlich also wie die Heidentürme von St. Stephan. Nach einem Teileinsturz durch das Erdbeben von 1590 wurde das jetzige spitze Kupferdach angebracht. Ist das nun wirklich die einzige Änderung?

Die bautechnische Untersuchung, besonders die immer wieder aufschlußreiche Bestimmung der Bausteine, berichtet uns, wie so oft auch hier, etwas ganz anderes, Neues. Ist es erst erarbeitet, dann findet man es auch auf ' alten Bildern voll bestätigt und wundert sich darüber — nicht ohne leichte Beschämung —, daß man es nicht schon längst gesehen. Die Mauern der Kirche und die unteren Teile des Turms bestehen ebenso wie in den ältesten Teilen der Stephanskirche aus Steinen aus dem engeren Weichbild der Stadt. Steigt man aber im Turm höher empor, dann findet man zwei Stockwerke unter der Turmgalerie auf einmal ganz andere Steine: Kalkstein von Zogelsdorf bei Eggenburg, bestimmt der Geologe. Vergleichende Untersuchungen an allen alten Bauten lehren un s aber, daß dieser Stein nicht vor Ende des 15. Jahrhunderts nach Wien gekommen ist. Wir finden noch unter der Glockenstube des Michaeler- turms eine Halle mit einem merkwürdigen, charf profilierten Rippengewölbe. Sie ist gotisch — und auch nicht. Sie ahmt gotische Formen übertreibend nach. Schon Vor nahezu einhundert Jahren ist es dem Verfasser der grundlegenden Monographie dieser Kirche, Karl Lind, aufgefallen, daß außen am Turm unter der Galerie sich Zierate befinden, die so gar nicht in den Bestand gotischer Schmuckformen passen. Ein .Schlangeneierstab", wie er es nennt . Man hätte noch andere anführen können. Bei der Restaurierung nach 1590 also, so meint er ganz richtig, sind diese Anachronismen unterlaufen.

Vielleicht sind damals noch andere Änderungen erfolgt? Wie steht es mit dem verschmälerten Teil des Turms ober der Galerie, wie sieht dieser Aufsatz auf den

Ein Bild davon in der .österreichischen Furche Nr. 51 vom 15. Dezember 1951.

alten Stadtansichteo bei Wohlmuth, bei Lautensack, beim Schottenmeister aus? Er ist — nicht vorhanden. Der steinerne Turmhelm beginnt nach der klaren Dar Stellung dieser Bilder unmittelbar auf def Galerie und war übrigens lange nicht so steil wie das spätere Kupferdach. Unser Turm ist also damals, um 1595, um zwei Stockwerke erhöht worden und bekam sein neues spitzes Dach. Es war daher keine bloße Reparatur von Erdbebenschäden, sondern ein tiefgreifender Umbau, der das Aussehen des Turms und der Kirche entscheidend verändert hat. Der alte gotische Turm ist gar nicht schlank gewesen, er hatte im Gegenteil eine recht gedrungene Form. Der neüe ist etwas ganz anderes, er ist eine im vollsten Sinne des Wortes überspitzte Nachgotik. Er ist nicht noch gotisch, sondern schon wieder gotisch. Eines der frühesten Beispiele jeher Stilkopien, die uns gerade durch die

Baugesteinsforschungen in so vielen Fäl- len erst erkennbar geworden sind.

1st damals, 1595/96, wirklich nur der TUTO geändert wordep? Alle alten Bilder zeigen übereinstimmend und eindeutig das Dach der Kirche in einer uns ganz ungewohnten Form. Das Dach des Chors mit spitzem First wie heute ragt um fünf Meter höher auf als das Dach des Hauptschiffes — jenes merkwürdige Bild also,, wie es zum Beispiel heute noch die Kirche von Deutsch-Altenburg zeigt. An deh romanischen Bau wurde, wie so oft, ein gotischer Chor angesetzt. Im Falle von St. .Michael schwanken die Datierungen zwischen rund 1330 und 1416 (ich halte die zweite für richtig). Die Gotisie- rung romanischer Kirchen beginnt fast immer beim Chor. So wurde ja auch an die (zweite) Stephanskirche der Alber- tinische Chor angesetzt. Zum gotischen Ausbau der Midiaelerkirche ist es nicht mehr gekommen. Das Hauptschiff hatte sein altes romanisches Dach mit einem annähernd rechten Winkel im First, der angebaute Chor dagegen den typischen spitzen gotischen Winkel von 58 Grad, er mußte daher höher auf ragen. Wann ist nun das Dach des Hauptschiffs auf die Höhe des Chordachs gebracht worden? Auch hier geben uns die Baustoffe Antwort. Untersucht man die Giebelmauer der Westfassade von innen, vom Dachboden aus, dann sieht man, wie über dem mittelalterlichen Altbestand aus Bruchsteinmauerwerk eine Ziegelmauer angesetzt ist, und zwar schon mit Segeln des großen .österreichischen“ Formats, die früher unmöglich gewesen wären (diese Ziegelmauer wurde erst 1792 durch wesentlich dünnere seitliche Anfügungen zu dem jetzigen klassizistischen Fassadenabschluß ergänzt). Man hat also nicht, wie zum Beispiel an der Stiftskirche von St. Paul, einem romanischen Giebel durch Erhöhung einen spitzen Winkel gegeben, sondern das Giebelfeld ganz neu gebaut; offenbar weil eben das alte zerstört war, sonst hätte man es selbstverständlich weiterbenützt. Diese Zerstörung kann nur beim Erdbeben von 1590 erfolgt sein; es ist eine dem Bautechniker ganz geläufige Erscheinung, daß Giebelmauem bei Erdbeben herausbrechen, weil sie ja durch keinerlei seitliche Einbindung gestützt sind.

Mit dem neuen Giebel, mit der Erhöhung des Daches auf die Firsthöhe des Choranbaues, mit dem Turan, der nicht nur in den zwei Stockwerken unter der Galerie erneuert, sondern um zwei weitere Stockwerke erhöht wurde, schließlich mit dem ungewöhnlich spitzen Kupferdach hat sich das Bild der Kirche und damit auch seine Rolle im Stadtbild entscheidend verändert. Die Steinmetzarbeiten wurden von dem Bürger und Steinmetzmeister Balthasar Burckhauser (Lind hat seinen Namen in den Rechnungen fälschlich Pachhauser gelesen) mit seinen Gesellen durchgeführt. Dafür bekam er bei der Auszahlung am 25. Mai 1596 nicht nur die hohe Summe von 633

Gulden, sondern auch als besondere Ehrung einen vergoldeten Silberbecher. Auch daraus geht hervor, daß es sich nicht um eine bloße Ausbesserung von Bauschäden, sondern um eine große Arbeit handelte, der man schon damals einen hohen Rang zuschrieb. Die Micbaelerkirche hat also erst wenige Jahre vor 1600 ihr heutiges Aussehen erhalten, dessen große Linie durch die Umgestaltung der Westfassade 1792 nicht mehr wesentlich geändert wurde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung