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Der wiedererstandene Dom

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Ein Krieg schlägt viele Wunden, viele sind tödlich, manche heilt die Zeit, aber keine verheilt ohne Narben. Jede Narbe ist häßlich und wird als schmerzhaft entstellend empfunden, wenn die sorgende Pflege mangelt, doch wenn liebevolle Fürsorge bemüht ist, die Grausamkeit der Zeit zu mildern, werden die Narben zu stolzen Zeugen eines kraftvollen innerlichen Lebenswillens, der über die Erbärmlichkeit des zeitlichen Geschehens siegt.

Jeder alte Bau trägt solche Narben des Hasses gegen den Gedanken, dessen Träger und Verkünder er ist, und gegen die niedrigste Art des Hasses, die Mißachtung und Geringschätzung. Auch unser Dom zu St. Stephan ist dafür ein Beispiel, und gerade die Narben der geschändeten Steine haben sie würdig der Ehre und der Liebe aller derer gemacht, für die sie ein kostbares, tief innerliches Besitztum bedeuten.

Wir wollen im folgenden einen Bericht über die Zerstörung und den Wiederaufbau unseres Domes in den Jahren von 1945 bis zum heutigen Tag geben, eine Schilderung von Tatsachen und eine Darlegung der Gründe, warum die verschiedenen Arbeiten gerade so und nicht anders ausgeführt wurden, und schließlich auch eine Verteidigung gegen Vorwürfe, die bei einer derartigen Aufgabe unausbleiblich sind.

So schwierig es ist, nach einem großen Unglück die Ursache festzustellen, so steht doch fest, daß die großen Zerstörungen von einem Brand des Dachstuhles herrühren, der als Folge der in den Straßenkämpfen an der Westseite des Domes wütenden Feuersbrünste durch die beschädigten Stellen der Dachdeckung in das Innere des Daches an verschiedenen Stellen eingedrungen war und wegen des Mangels an Löschmannschaften, Löschgeräten und Löschwasser nicht wirksam genug bekämpft werden konnte. Nicht direkte Feindeinwirkung durch Luftangriffe, wie in Salzburg, wo zwei Fliegerbomben die Kuppel und Teile der Gewölbe des Querschiffes trafen und zum Einsturz brachten, oder wie an anderen Orten, wie am oberen Belvedere, am Schwarzenbergpalais oder am Schloß Schönbrunn, wo nicht nur die Decken, sondern ganze Mauerzüge durch Bombentreffer zum Einsturz gebracht wurden, haben die furchtbaren Schäden bei St. Stephan verursacht. Eine einzige kleinere Bombe, von der vermutet wird, sie sei russischer Herkunft gewesen, durchschlug eines der Gewölbefelder im südlichen Seitenschiff, ohne nennenswerten Schaden anzurichten.

Einzelne kleinere Brandherde im Dachraum konnten mit den unvollkommenen Mitteln bekämpft werden, aber als ein Gerüst auf der Plattform des nördlichen Turmes, des in Restaurierung befindlichen Adlerturmes, in Brand geriet und die brennenden Balken das Dach der Kirche durchschlugen und neue große Brandherde im Dachstuhl verursachten, waren alle weiteren Löschversuche vergebens und das Dach mußte der Vernichtung preisgegeben werden.

Das Unglück hatte noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, denn das Innere des Domes war bis dahin unversehrt, als eine zur Konstruktion des Chordaches gehörige Mauer von 14 Meter Höhe, 27 Meter Länge und 1 Meter Stärke einstürzte, die Gewölbe des Mittelschiffes und des südlichen Seitenschiffes des Chores, des Friedrichs- oder Apostel- ‘ chores durchschlug und die brennenden Hölzer des Dachstuhles auf die darunter befindlichen Einbauten des Chores, das Ratsherrengestühl von 1486, das kaiserliche Oratorium und die Musikempore mit der Chororgel stürzte und die nachstürzenden Mauerwerksteile der Gewölbe den neuen Brandherd wie in einem Kohlenmeiler bedeckten. Das herrliche Gestühl verkohlte zu Holzkohle, und nur ganz wenige Spuren der Schnitzerei konnten gerettet werden. Der Brand ging ohne äußere Flammen- oder Rußentwicklung vor sich, so daß die nur 10 Meter davon entfernten Chorherrenstühle von 1647 unbeschädigt blieben und die benachbarten Mauern sowie der Hochaltar nicht einmal Rußflecke zeigten. Auch das durch eine Ummauerung geschützte Friedrichsgrab, das größte deutsche Kaisėrgrab, blieb Unbeschädigt. Das darüber befindliche Gewölbe des Chorschlusses stürzte erst im November 1945 ohne erkennbare äußere Ursache ein, aber der Schutzbau über dem Grabdenkmal verhinderte Beschädigungen des hervorragenden Meisterwerkes der Plastik vom Übergang der Gotik zur Renaissance, eine Parallele der Bildhauerei zum malerischen Werk Albrecht Dürers. Die noch aufrecht stehende Mauer über der nördlichen Arkadenreihe des Chores, die bei jedem Windstoß schwankte und mit dem Einsturz drohte, konnte noch vor den Herbststürmen dank der aufopferungsvollen Hingabe der Arbeiter abgetragen werden.

Ähnlich wie im Osten das Feuer des Dachstuhles in das Innere der Kirche gelangte, so war es auch im Westwerk und auf der Orgelempore, wo brennende Dachbalken den Verschluß einer vergitterten Öffnung des Gewölbes durchschlugen und das hölzerne Gehäuse der großen, “ron 1702 stammenden Orgel in Brand setzten. Der Brand erhielt neue Nahrung durch das Feuer der gegenüberliegenden, vollständig ausgebrannten Häuser, deren Funkenflug durch das große Westfenster eindringen konnte.

Gegen das Eindringen des Feuers in das Erdgeschoß des Domes durch das Riesentor war der Dom durch einen gemauerten Schutzvorbau bewahrt, der gleich zu Beginn des Krieges aufgeführt worden war.

Ein dritter großer Brandherd war im Südturm, in der Glockenstube der Pummerin, der größten Glocke des Domes, entstanden, wo die Flammen des brennenden Dachgehölzes den Glockenstuhl erfaßt hatten. Die ihrer Unterstützung beraubte 20.000 Kilogramm schwere Glocke stürzte aus einer Höhe von 40 Meter herab, durchschlug eine mit hölzernen Bohlen verschlossene Öffnung, durch die 1711 die Glocke aufgezogen worden war, und zerschellte auf dem Pflaster der Vorhalle, wobei das dort an der Wand befindliche Türkenbefreiungsdenkmal von E. Helmer aus dem Jahre 1883 schwer beschädigt wurde.

Ähnlich war der Verlauf der Katastrophe auf dem Nordturm, dort befand sich in dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Aufbau die zweitgrößte Glocke, die „Halbpummerin“, deren Glockenstuhl bei dem Brande des dort aufgestellten Gerüstes zerstört worden war, so daß die Glocke in die nördliche Vorhalle herabstürzte und die brennenden Balken einen bedeutend größeren Schaden als im Südturm anrichteten. Hier befand sich an der Westwand ein 8 Meter hohes Kreuz aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, das sogenannte Wimpassinger Kreuz, das vielleicht ursprünglich als Lettnerkreuz dem romanischen Bau von St. Stephan angehörte, zuletzt in der Pfarrkirche zu Wimpassing im südlichen Niederösterreich als Hochaltarkreuzdiente, anläßlich einer Ausstellung 1938 nach Wien kam und eine provisorische Unterkunft in St. Stephan fand. Das Kreuz, das nach der Art der sienischen Werke dieser Zeit mit bemaltem Pergament überzogen war, ist zur Gänze ein Raub der Flammen geworden. Neben den verbrannten Ratsherrenstühlen ist das der zweite schwere Verlust, den die Einrichtung des Domes durch Brand erlitten hat.

Auch das ursprüngliche Lettnerkreuz, das vom Triumphbogen herabhing, ist ein Opfer des Brandes im Chor geworden und nur einzelne Teile, das Haupt Christi und die Hände, sind erhalten geblieben. Die Reste sind vom akademischen Bildhauer Trojer in die Komposition des im Friedrichschor neu aufge- stellten Passionsaltars einbezogen worden.

Daneben fällt der Verlust der farbigen Glasfenster weniger ins Gewicht. Die alten Scheiben des 14. und 15. Jahrhunderts, die rechtzeitig in den Katakomben geborgen worden waren, sind zur Gänze erhalten geblieben, und die zerstörten Glasfenster stammten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Alle übrigen Kunstwerke und Einrichtungsstücke waren entweder in den Katakomben geborgen oder durch Schutzbauten, wie die Pilgramkanzel, das Friedrichsgrab, die Büste Pilgrams am Orgelfuß und andere größere Epitaphien und Grabdenkmäler gesichert und blieben unversehrt, ebenso wie der reiche, über 100 Meisterwerke der Gotik zählende Statuenschmuck aus dem Langhaus und dem Chor. Ebensowenig haben die barocken Altäre und das Gestühl eine Einbuße erlitten.

Es bleibt die auf allen Verantwortlichen, vor allem dem Dombaumeister, schwer lastende Frage zu beantworten, ob die schweren, unersetzlichen Verluste hätten verhindert werden können. Das Abtragen der Ratsherrenstühle und der darüber befindlichen Aufbauten, auf der Südseite das Kaiseroratorium aus dem 17. Jahrhundert und auf der Nordseite der Musikchor mit Chororgel aus dem 16. Jahrhundert wäre wach dem Urteil des Sachverständigen einer weitgehenden Zerstörung gleichgekommen. Dia Aufführung eines gemauerten Schutzbaues hätte ein 16 Meter hohes, 17 Meter langes und 6 Meter tiefes Gebäude erfordert, das nur ungenügend hätte fundiert werden können, weil die 50 Zentimeter darunter befindlichen Gewölbe der Katakomben keine Möglichkeit dafür boten, und außerdem hätte der Bau eine Abdeckung erfordert, die gar nicht so stark sein konnte, daß sie der Last der einstürzenden Gewölbe sta.idgehalten hätte.

Das Wimpassinger Kreu konnte wegen seiner großen Abmessungen nicht in den Katakomben geborgen werden und seine Unterbringung außerhalb Wiens hätte keine größere Sicherheit geboten — so ist die Kirche in Wimpassing, das auf einem Anmarschweg von Ungarn nach Wien liegt, durch Kampfhandlungen stark beschädigt worden.

Ob der Dachstuhlbrand überhaupt hätte verhindert werden können, darauf kann man nur antworten, daß alles geschehen ist, was zur Vorbeugung und Bekämpfung eines Brandes möglich war. Der aus dem Jahre 1450 stammende hölzerne Dachstuhl ist 1938 mit dem besten Flam-menschutzmittel Intravan N der IG-Farben in Frankfurt unter Mitarbeit zweier Vorarbeiter der Ursprungsfirma dreifach imprägniert worden, und die Schutzmaßnahmen, die den Zeitpunkt der Entflammung hinausschieben sollen, hätten auch genügt, wenn Löscharbeiten möglich gewesen wären, was aber aus den oben angeführten Gründen nicht möglich war. Brandwachen waren bei jedem Luftangriff auf den Türmen und im Dachstuhl und haben sich bei 53 Luftangriffen bewährt.

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