6615802-1955_30_10.jpg
Digital In Arbeit

Auftrag fur ein halbes Jahrhundert

Werbung
Werbung
Werbung

Zur Zeit wird sehr viel von der Wiederherstellung der Wallfahrtskirche in Mariazell geschrieben und gesprochen. Es ist nun freilich nicht so, als ob die Kirche schon dem Einsturz nahe wäre. So schlecht hat Domenico Sciassia nicht gebaut, er hatte höchstens eine nicht ganz glückliche Hand in der Wahl des Marmors, der unweit von Mariazell gebrochen wurde und nicht so wetterfest ist, wie es in Mariazell wegen des rauhen Klimas nötig wäre. So hat sich an den besonders ausgesetzten Stellen am Aeußern der Kirche eine Zerstörung bemerkbar gemacht, die nicht erst jetzt entdeckt wurde, sondern der sich schon vor fast 100 Jahren das Hauptaugenmerk der Kirchenvorstehung zuwendete. Der Fior di Persico (Pfirsichblüte), wie er von Sciassia genannt wurde, fand sowohl im Innern wie auch am Aeußern vielfach Verwendung. Vor allem sind sämtliche Seitenaltäre, die Mensa und andere Bestandteile des Hochaltars, die Türstöcke bei den Sakristeitüren, die Umrahmungen der Aufgänge zu den Emporen im Ostteil der Kirche, die Frauensäule unter der Kuppel, die prächtigen Türumrahmungen an den Haupt-und Nebenportalen aus diesem Marmor verschiedener Nuancen, der dem Innern einen so festlichen Charakter verleiht. Im Aeußern ist dieser Eindruck bei der Renovierung vor genau 90 Jahren nicht nur verwischt, sondern geradezu vollkommen vernichtet worden, indem man die tragenden Bauteile unbarmherzig mit Zement überdeckte. Das war damals sicherlich gut gemeint und entsprach auch den Intentionen der damaligen Zentralkommission für Denkmalpflege. In nahezu einem Jahrhundert erforderte die Natur ihr Recht, und so ist es eine vordringliche Aufgabe des begonnenen Restaurierungswerkes, den vom Baumeister angestrebten findruck wiederherzustellen. Es mag für die heutige Auffassung von Bedeutung sein, daß schon bei einer solchen Bearbeitung vor anderthalb Jahrhunderten die „Lisenen und Fensterstöcke rot angestrichen“ wurden, was auf den ursprünglichen Zustand schließen läßt.

Um nun gleich beim Aeußern zu verbleiben, so ist festzuhalten, daß sowohl das Stift St. Lambrecht wie auch die Mariazeller Kirchenvorstehung mit Superior Dr. Viktorin Weyer, dem späteren Abt, ein zweifellos großes Verdienst um die Wiederherstellung des mittleren, aus der gotischen Bauperiode stammenden Turmes erworben haben, wenn auch m. E. die Verwendung von Kunststein und die Putzmethode nicht einwandfrei waren. Geschehen mußte etwas, der Turm hatte tatsächlich unter den Witterungseinflüssen Schaden genommen, so daß die Fialen und Wimperge dem Einsturz nahe waren. Die Opfer waren enorm, da eine Unterstützung öffentlicher Faktoren unerreichbar war. Im Zusammenhang mit dieser Reminiszenz ist es vielleicht nicht unnütz, davon zu sprechen, was etwa noch an dieser Stelle zu tun wäre, um spätere Zutaten zu entfernen und den früheren Zustand wiederherzustellen. Wir wissen, • wie großzügig der Barockbaumeister die Fassade der Kirche geplant hatte. Was ihn dazu veranlaßte, den gotischen Turm entgegen seiner ursprünglichen Absicht zu belassen, wissen wir nicht, wir können es nur vermuten. Dabei mußte sich die Vorderseite des Turmes eine kleine Veränderung gefallen lassen, nämlich die Anbringung eines mit den Fenstern der Seitentürme korrespondierenden barocken Fensterrahmens über dem Hauptportal. Das jetzige, gotisch aussehende Fenster wurde erst in den Jahren 1862/65 angebracht, was gewiß ein Fehler war,' der jetzt gutgemacht werden sollte. Die Fassade würde wieder geschlossener erscheinen. Dabei wäre auch zu untersuchen, ob noch Spuren der gewiß vorhanden gewesenen Blendarkaden festzustellen sind, wodurch die vermutete Aehnlich-keit mit der gleichartigen Kirchenfassade von PöIIauberg sich erweisen könnte. Selbstverständlich muß auch die Färbelung des mittleren Turmes dem neuen Farbton des Kirchenäußern angepaßt werden.

Auch das wertvolle Portal der gotischen Kirche wird Gegenstand eingehenden Studiums sein müssen, um eine befriedigende Lösung denkmalpflegerischer Aufgaben zu finden. Auch hier ist sehr viel verfälscht worden. Außerdem wird die Frage zu entscheiden sein, ob nicht auch bei Gelegenheit der Statuenschmuck für die Hohlkehlen der Portalwand geschaffen werden soll. Besondere Sorgfalt verlangen die beiden Reliefs des Bogenfeldes. Insbesondere wird festzustellen sein, aus welchem Material die beiden Tympanonplastiken bestehen und aus welchen Gründen der Kreuzigungsblock so wenig für diesen Platz adaptiert zu sein scheint. Außer diesen beiden für die österreichische Kunstgeschichte wichtigen Plastiken, deren Bestand nicht unmittelbar gefährdet ist, verdienen aber die beiden großen freistehenden Standbilder der legendären Förderer der Wallfahrt, des mährischen Markgrafen Heinrich und des ungarischen Königs Ludwig des Großen, vor dem Kirchenportal die vordringlichste Beachtung, weil ihr Zustand trotz oder gerade wegen der nicht günstigen Behandlung zu Befürchtungen Anlaß gibt. Ein Künstlername ist für sie nicht bekannt, sie wurden 1757 in Wien angefertigt, das Material nannte man ..Komposition“. Dieses wäre demnach mit den modernen Mitteln zu analysieren, um eine gleichmäßige Bewegung der Haut und des Füllungsmaterials zu erzielen und damit die Einwirkung der Temperaturschwankungen zu paralysieren.

Im Innern der Basilika ergeben sich auch verschiedene Probleme, vor deren Lösung sich das Denkmalamt und die Kirchenvorstehung gestellt sehen. Da die Erneuerungsarbeiten schon im vorigen Herbst begannen, ist zum Teil bereits entschieden worden. Daß die üppigen Stukkos rein weiß zu halten sind, ist eine Selbstverständlichkeit, da sie sich in eigener Licht- und Schattenwirkung gefallen. Vergoldungen, wie sie in den Seitenkapellen an den Decken Verwendung fanden, sollten daher auch nicht erhalten bleiben. Nur in den Kapellen des heiligen Benedikt und des heiligen Ladislaus könnten sie als historische Reminiszenz beibehalten werden. Mit ähnlicher Sorgfalt müssen die Kapellengitter, Erzeugnisse heimischer Schlosserkunst, behandelt werden, wenn nicht ganz wegfallen. Gelegentlich ist auch der Gedanke aufgetaucht, den Hochaltar, dieses grandiose Werk Johann Bernhard Fischers von Erlach, in den von diesem Künstler ausgeführten Urzustand soweit als möglich zurückzuversetzen. Es käme hierfür die Entfernung des jetzigen, 1812 aufgestellten Tabernakels und die Senkung der silbernen Weltkugel bis zur Mensa, um sie wieder wie einst als Tabernakel zu verwenden, in Betracht. Abgesehen von der Gestalt, die man dem gewohnten Bilde antun würde, wofür auch gar kein Grund vorhanden ist, kann man sich heute die von einer Schlange umwundene Weltkugel nicht mehr als Tabernakel vorstellen, was in der Barockzeit wohl noch denkbar war.

Von ausschlaggebender Bedeutung für den künstlerischen Eindruck des Kircheninnern ist die Behandlung der Wände und der tragenden Teile des Baues. Die Entscheidung darüber ist zweifellos verantwortungsvoll, handelt es sich ja nicht nur um eine Festlegung des Farbtones für etwa ein halbes Jahrhundert, sondern um die Behandlung eines der bedeutendsten und berühmtesten Bauwerke unseres Landes, das jährlich das Ziel von hunderttausenden In- und Ausländern ist. Es ist also nötig, daß hier die heimische Denkmalpflege und Arbeit Bestes leistet und gibt. Es ist zu hoffen, daß die schon vor Jahresfrist zwischen dem Stifte St. Lambrecht und dem Denkmalamt begonnenen und inzwischen fortgesetzten Besprechungen von Erfolg begleitet sein werden. Mit einigen Schwierigkeiten wird indessen auch wegen der farbigen Fensterverglasungen und des unschönen Fußbodens zu rechnen sein, doch wird es kaum möglich sein, hier durch Erneuerung beider noch nicht sehr alten Anschaffungen Abhilfe herbeizuführen. -

An kleineren Arbeiten, die so nebenbei gemacht werden könnten, sind wünschenswert eine sehr diskrete Behandlung der Gnadenstatue durch einen verläßlichen Restaurator, um einzelne Schäden zu entfernen, und die Rettung des zweiten Mariazeller Gnadenbildes, des sogenannten Schatzkammerbildes, vor der Gefahr weiterer Beschädigung. Seine Herkunft ist authentisch, es ist die Widmung König Ludwigs I. von Ungarn und Polen (1370—1381) und ein Werk eines Sieneser Malers. Eine nähere Untersuchung dieses Bildes ist übrigens auch für die Forschung von großem Interesse und könnte auch für Votivgaben desselben Königs in Aachen von nicht geringer Bedeutung sein. Weiter ist es wichtig, daß unter den Votiv-bildern eine richtige Auswahl getroffen wird. Es sollen doch nur solche von geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung wieder angebracht werden. Geplant war bereits seit einiger Zeit; die besseren Bilder im Anschluß an die Schatzkammer auf der nördlichen Empore zu sammeln und für einen Zuwachs die südliche zu reservieren. Vor allem sollen nicht die Wallfahret selbst berechtigt sein, an allen Wänden wahllos ihre Votivbilder anzubringen, dieses Recht kann doch nur der Kirchenvorstehung vorbehalten bleiben. Die ausgemusterten Votivbilder geringerer Bedeutung könnten in einem Depot gesammelt werden.

Diese und noch andere Probleme beschäftigen die Kirchenvorstehung schon lange und erwarten bei dieser großen Renovierungsarbeit eine Lösung. Gewiß kein angenehmes Patengeschenk für den Anfang des Mariazeller Prjo-rates. Ein Halbiahrhundertauftrag! Denn, soweit wir wissen, erfolgte immer nach Ablauf von etwa fünf lahrzehnten eine Erneuerung, so 1755/56, 1801/02, 1862-1865 und 1898. 1755 gab man für das „Ausweißen“ des Innern 320 fl aus, 1756 für die Renovierung des Aeußern 155 fl, die 1802 durchgeführten Arbeiten kosteten „übermäßig viel“, wie eine Quelle registriert. So wird wohl auch der gegenwärtige Chronist von der jetzigen Erneuerung der Gnadenkirche berichten müssen, zumal die Anforderungen heute wesentlich größer sind. Hoffentlich fließen die Geldquellen in entsprechender Weise, damit das gemeinsame Heiligtum Oesterreichs im Jahre 1957 in einem würdigen Gewände das 800jährige Jubiläum begehen kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung