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Die Zukunft des österreichischen Kunsthandwerks

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Das Kunsthandwerk und die mit ihm eng zusammenhängende Kunstindustrie bildeten sek jeher eine bedeutende Aktivpost im österreichischen Wirtschaftsleben und werden — bei der prekären Lage der meisten anderen Industriezweige — in nächster Zeit erst recht berufen sein, eine führende Rolle in unserer Handelsbilanz zu spielen. Darum erscheint etne Erörterung der gegenwärtigen Lage unseres Kunstgewerbes und der Maßnahmen, die zur Sicherung seiner Zukunft getroffen werden müssen, sowohl vom handelspolitischen wie vom künstlerisch-kulturellen Standpunkt aus als durchaus zeitgemäß und es wäre nur erwünscht, wenn die im folgenden vorgebrachten Anregungen den Anlaß zu einer weiteren Diskussion über dieses Thema bieten würden.

“Wie der Schauspieler seinen Beruf nicht ausüben könnte, wenn ihm nicht der Dichter die Rollen lieferte, der beste Geiger oder Flötist beschäftigungslos wäre, wenn er nicht vom Komponisten mit Musik versorgt würde, und der erfahrenste Baumeister ohne die Pläne eines großen Architekten nur Mittelmäßiges zustande brächte, so bedarf auch der Kunsthandwerker i Tl in gleicher Weise die Kunstindustrie der Mitwirkung eines schöpferischen Künstlers, um Hochwertiges leisten zu können. Von der Renaissance bis zum Rokoko benützten die Kunsthandwerker die von erfindungsreichen Graphikern hergestellten „Ornamentstiche“ ab Vorlagen für ihre Arbeiten, die Brüsseler und Pariser Teppichwirker führten nach den von R a f f a e 1 und Barend van O r 1 e y, Rubens und Lebrun gemalten Kartons, spanische Wirker nach Goyas Entwürfen die herrlichsten Tapisserien aus; Hans H o 1 b e i n befruchtete mit seinen berühmten „Scheibenrissen“ die Schweizer Glasmalerei. Im 19. Jahrhundert betätigten sich vor allem Architekten als Entwerfer auf kunstgewerblichem Gebiete; die von England ausgehende Reform des Kunstgewerbes führte dann auch viele Maler zur angewandten Kunst.

In Österreich gab Rudolf von Eitel-b e r g e r durch die Begründung des „österreichischen Museums für Kunst und Industrie“ (1864) und der Kunstgewerbeschule (1868) sowie durch die vorbildliche Organisation des gewerblichen Unterrichtswesens der kunstindustriellen Produktion die nachhaltigsten Impulse. Lag die „Führung“ derselben bis gegen das Jahrhundertende vornehmlich in der Hand der Direktoren des österreichischen Museums und der ihm angegliederten Kunstgewerbeschule, so ging sie in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr an jene Gruppe von Kunstgewerbeschulprofessoren über, die sich unter der Leitung Josef Hoffmanns in der „Wiener Werkstätte“ ein kunstgewerbliches Laboratorium geschaffen hatten, in welchem sie nach Herzenslust experimentieren, neue Techniken und neue Stilformen erproben konnten. 1932 mußte die „Wiener Werkstätte“ liquidieren und damit verlor Österreichs Kunsthandwerk nicht nur jenes Unternehmen, das seinen Ruf nach außenhin auf das glänzendste repräsentiert hatte, sondern ihm auch durch fast drei Jahrzehnte mit bahnbrechenden Ideen vorangeschritten war, die dann sofort vom In- und Ausland übernommen wurden. In der Folge bemühten sich der „österreichische Werkbund“ und der später an seine Stelle gesetzte „Wiener Kunsthandwerkverein“ die immer kleiner werdende Schar der noch lebensfähigen kunstgewerblichen Betriebe aufrechtzuerhalten. Aber von einer planmäßigen Führung kann heute, wenn wir von der von Professor Dr. Josef Hof f man erst im Kriege eingerichteten „Entwurfs- und Versuchswerkstätte für das Kunsthandwerk“, von dem von Professor Oswald H a e r d 11 1945 neu konstituierten „österreichischen Werkbund“ und gelegentlichen, noch immer bestes Niveau einhaltenden Ausstellungen der „Hochschule für angewandte Kunst“ (der früheren Kunstgewerbeschule) absehen, nur in beschränktem Sinne die Rede sein. Es mangelt weniger an schöpferischen Künstlern, denn an einer richtungsweisenden, mit der nötigen künstlerischen Autorität versehenen organisatorischen Einrichtung, die das durch den Krieg so sehr in Mitleidenschaft gezogene heimische Kunsthandwerk auf eine neue, zukunftsreiche Basis stellen könnte.

Eine Reform müßte da wohl zunächst beim „österreichischen Museum für Kunst und Industrie“ einsetzen, das auf Grund der noch immer in Geltung stehenden Statuten vom 28. November 1898 laut Paragraph 1 „die Aufgabe hat, . . . die Leistungsfähigkeit der Kunstgewerbe zu heben, den Geschmack der Kunstgewerbetreibenden und des Publikums zu wecken und zu veredeln und so die kunstgewerbliche Tätigkeit zu fördern“. Dieser Aufgabe kann es jedoch in seiner augenblicklichen Lage kaum nachkommen. Denn erst müssen die durch einen Bombentreffer im Stubenring-Trakt hervorgerufenen schweren • baulichen Schäden beseitigt und die an den Bergeorten arg mitgenommenen Sammlungen wieder instandgesetzt werden. Zudem ist das Museum nach der Wiederherstellung seiner Säle für die Aufnahme einer umfassenden Ausstellung österreichisdier Kunst, die es durch längere Zeit beherbergen soll, in Aussicht genommen, wird sich somit dem Wiederaufbau des lebenden Kunstgewerbes in absehbarer Frist nicht widmen können. Da dessen wirksame Förderung aber keinen Aufschub gestattet, sei hier nachfolgender Vorschlag gemacht.

In ähnlicher Weise, wie dem unserem österreichischen Museum wesensverwandten Bayerischen Nationalmuseum ha München im Jahre 1925 eine sogenannte „Neue Sammlung“ angegliedert wurde, die eine „Ergänzung der Fachabteilungen und Fortsetzung der Sammlungen bis in die Neuzeit“ bilden sollte — sie entwickelte sich dann unter*der ausgezeichneten Leitung Professor Wolfgang von W e r s i n s, eines gebürtigen Pragers, zu einer mustergültigen Pflegestätte für modernes Kunsthandwerk —, so wäre auch im Anschluß an das' österreichische Museum eine eigene Abteilung für zeitgenössisches Kunstgewerbe zu errichten, die . sich ausschließlich den künstlerischen und praktischen Bedürfnissen der heimischen Edelarbeit und Geschmacksindustrie zu widmen hätte. Zu diesem Zwecke wäre unter Heranziehung der nicht sehr erheblichen modernen Bestände des österreichischen Museums eine Sammlung von ausgewählten Erzeugnissen des in- und ausländischen Kunstgewerbes, des 20. Jährhunderts anzulegen, wären wechselnde Ausstellungen, Führungen und Vorträge zu veranstalten, welche den Kunsthandwerkern und Kunstindustriellen immer wieder neue Anregungen zu geben hätten. Auch die schon dringend benötigte, leider noch geschlossene Bibliothek des Kunstgewerbemuseums wäre vorzugsweise in den Dienst der schaffenden Gegenwart zu stellen' und die seit 1921 eingestellte Zeitschrift „Kunst und Kunsthandwerk“ wieder herauszugeben.

Zur Leitung dieser wichtigen Institution müßte man eine allem Neuen aufgeschlossene energische Persönlichkeit berufen, die, in allen künstlerischen und technischen Fragen dieses Spezialgebietes wohlbewandert, vor allem einen engen Kontakt mit den Produzenten zu pflegen hätte, ohne dabei die Wünsche des Publikums außer acht zu lassen, auf dessen ' Geschmacksbildung in weitestem Maße einzuwirken wäre. Als Sonderaufgabe bliebe diesem Sammlungsleiter vorbehalten, all die bereits im Aussterben befindlichen, einst hochstehenden Wiener Gewerbe, wie zum Beispiel die Meerschaum- und Perlmutterwaren-Erzeugung, die Elfenbeindrechslerei, das Vergolderhandwerk oder die Intarsienkunst, durch Beistellung zeitgemäßer Entwürfe und Zuweisung entsprechender Aufträge zu neuem Leben zu erwecken und dadurch vor dem drohenden Untergang zu retten. Daß dies bei einigem guten Willen und richtiger Lenkung durchaus möglich ist, bewies eine im Jahre 1931 vom Gewerbeförderungsamt der Handelskammer im Verein mit der Kunstgewerbeschule durchgeführte Aktion zugunsten des damals arg darniederliegenden Posamentierergewerbes. Schüler der Professoren Eduard J. f immer und Dr. Josef Hoffmann stellten eine ganze Kollektion geschmackvoller Modelle für Damentaschen, Halsketten, Armbänder, Gürtel und andere Flechtarbeiten her, die dann von den Posamentierern ausgeführt und im österreichischen Museum ausgestellt, sofort stärksten Absatz fanden. Der große Erfolg dieser „Wiederbelebungsaktion“, die in ähnlicher Weise 1932 auch bei den Juwelieren zur Anwendung kam, hielt überraschend lange an. Noch in der jüngsten Exportmusterschau konnte man gerade bei den Posamentierern besonders gute, moderne Muster beobachten. Heutzutage bedarf das Wiener Kleingewerbe, namentlich in der Frage der Nachwuchsergänzung, mehr denn je der Hilfe übergeordneter Stellen. Wir verweisen da auf den am 14. Mai 1946 in der „Wiener Zeitung“ erschienenen Hilferuf: „Das Handwerk der Silberschmiede in Gefahr.“

Für die räumliche Unterbringung der geplanten „Sammlung für modernes Kunstgewerbe“ käme einzig und allein das Gebäude der jetzigen „Hochschule für angewandte Kunst“ am Stubenring 3 in Betracht, das, in unmittelbarer Verbindung mit dem österreichischen Museum und mit Erweiterungsmöglichkeiten nach dem Garten hin, schon dank seiner zentralen Lage, wie kein zweiter Bau für den gedachten Zweck geeignet wäre. Die „Hochschule für angewandte Kunst“, der es am Stubenring längst zu enge geworden ist und die darum eine ganze Reihe von Klassen auswärts unterbringen mußte, wäre für den Verlust ihres Hauptgebäudes dadurch zu entschädigen, daß ihr ein großangelegter Neubau auf dem Areal der Gartenbaugesellschaft errichtet würde, der alle Abteilungen der Anstah unter einem Dach vereinigen könnte und den längst unhaltbar gewordenen baulichen Zuständen auf dem unteren Parkring ein Ende bereiten würde. Oberbaurat Professor Dr. Josef Hoffmann hat in seinen „Gedanken zum Wiederaufbau Wiens“ in der „Wiener Zeitung“ vom 23. Dezember 1945 die Anlage einer gedeckten Galerie befürwortet, die sich an der Ringstraßenseite des Stadtparks bis gegen die Wollzeile hinziehen und den Stadtparkbesuchern Schutz gegen schlechte Witterung bieten sollte. Wenn man hier kleine Läden mir allerlei kunstgewerblichen Erzeugnissen unterbringen würde, wäre damit auf verhältnismäßig engem Raum alles konzentriert, was für das heimische Kunsthandwerk von Bedeutung ist: Hochschule und Kunstgewerbemuseum, die „Sammlung für modernes Kunstgewerbe“ und die Verkaufsstellen für heimische Edelarbeit. Würde mit der Durchführung dieses auf längere Sicht berechneten Planes dem Kunstgewerbe organisatorisch sehr geholfen werden können, so bleibt daneben noch ein zweites, nicht minder wichtiges Problem zu lösen: das des künftigen kunstgewerblichen Stiles.

Kunsthandwerk und Kunstindustrie werden in den kommenden Jahren zwei ganz große Aufgaben zu erfüllen haben: einerseits eine qualitätsvolle, durch ihre charakteristisch österreichische Note dem Ausland anziehend erscheinende Exportware zu schaffen, andererseits das von allen Dingen des täglichen Gebrauchs völlig entblößte Inland mit wohlfeilem, aber in Form und Ausführung einwandfreiem Hausgerät zu versorgen.

In beiden Fällen wird sich der österreichische Geschmack und unsere gute handwerkliche Tradition bewähren müssen. Während aber bei der für den Export bestimmten Edelarbeit das dem Wesen des Österreichers entsprechende Bunte und Zierhafte stärker hervortreten kann — wir haben ja gesehen, welcher Beliebtheit sich unsere „Trachtenmode“ im Ausland erfreute —, wird man bei der für den inländischen Markt hergestellten Industrieware auf leicht beschaffbares Material und gefällige, praktische Formen zu achten haben. Was Professor Josef Hoffmann 1905 als Leitsatz für die von ihm begründete „Wiener Werkstätte“ aussprach: „Wir wollen gutes, einfaches Hausgerät schaffen. Wir gehen vom Zwecke tw, die Gebrauchsfahigkeit ist unsere erste Bedingung; unsere Stärke soll in guten Verhältnissen und in guter Materialbehandlung bestehen“, gilt heute noch in vollem Umfange für einen großen Teil unserer Inlandproduktion, und zwar namentlich für die Möbelindustrie, die Metallwaren-, Glas- und Keramikfabrika'tion, die Textilindustrie sowie die Leder- und Holzwarenerzeugung. Sie alle werden sich bei Herstellung ihrer Modelle und Muster von geschickten Entwurfskünstlern beraten lassen müssen, indes die dem Export dienende, nicht auf maschineller Fertigung beruhende, sondern zumeist im Werkstättenbetrieb erzeugte Luxusware — man denke insbesondere an die Modebranche — dem persönlichen Moment, der individuellen Form- und Farbenphantasie einen breiteren Spielraum gewähren wird. Hier wie dort aber dürfte man auf eine sehr wesentliche Quelle dekorativer Anregung nicht verzichten, die allen diesen Erzeugnissen die spezifisch österreichische Färbung geben soll: auf unsere reiche heimische Volkskunst.

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