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Überraschungen in Wiener Ausstellungen

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Der Kunstreferent, schon ein wenig daran gewöhnt, in Ausstellungen moderner religiöser Kunst da6 Wollen bisweilen füre Kön- neą nehmen zu müssen, darf sich diesmal ehrlich freuen! die von einer klugen Gesellschaft zur Förderung zeitgemäßer christlicher Kunst in den Räumen der Staatsdruckerei (Wollzeile) veranstaltete Weihnachtsschau ist nämlich vielen Lobes wert.

Freilich gibt es auch in dieser Ausstellung noch viele Arbeiten, die sich — zumeist mit Takt und fast immer in sympathischer Bescheidenheit — darauf beschränken, alte und ehrwürdige Formen vorsichtig aufzufrischen und, mit fast denkmalpflegerischer Sorge ums Detail, unserer Zeit anzupassen. Dagegen iet unserer Meinung nach kein prinzipieller Einwand zu erheben; in vielen Fällen — etwa wenn in dem historischen Ausstattungsensemble einer alten Kirche oder Kapelle Verlorenes zu ersetzen ist — werden die Ergebnisse einer solchen Arbeitsmethode, gleichsam als freie Restaurationen, immerhin gute Dienste leisten.

Aber diese Werke machen, wie gesagt, nur einen Teil der Ausstellung aus. Neben ihnen stehen, und von ihnen sei hier die Rede, die entschiedeneren und kompromißloseren Versuche, Neues zu formen und zu geben. Experimente? Nun, wenn sie es sind, dann haben ihre Schöpfer jedenfalls gewußt, daß eie nur dann ihren Sinn haben, wenn sie auf unmittelbare Anwendbarkeit dringen, den diese Kunst soll ja nicht in den Mappen des Sammlers oder an den Wänden der Ausstellungen, 6ie soll ja. im Kultraum und auch dort nicht für sich, sondern in ihrer Verbindung mit anderem und als Hinweis auf Größeres gesehen werden und wirken. Und das eben zeigt diese Exposition: das Brauchbare, nicht nur das Schöne.

Da ist ein — offenbar unter dem Eindruck der Kapelle von Vence entstandenes — Glasfenster von Günther Kraus: einige große, klare Formen, eine schmale Farbskala zwischen reinem Blau und Weiß. Kein Bild, aber ein Fenster, in dem das eindringende Licht, man kann’s anders nicht bezeichnen, „geistlich“ wird — und doch fällt es nicht durch glühende gotische Glasornamente, sondern durch billige Glastäfelchen... Ein anderes Glasfenster von Lieselotte Beschorner, diesmal mit einer einfachen und anmutigen Gegenständlichkeit erfüllt, die gar nichts zu tun hat mit jenen guasi-gotischen, groben Fenstern, die so gerne als „modern“ gelten wollen. Eine dritte Glaskomposition von Theo B r a u n, die allerdings kleinlicher geraten ist, als es der Künstler offenbar gewollt hat. Ferner eine Bronzestatuette des Linzer Plastikers Walter Ritter, der zu den Stützen der modernen christlichen Kunst in Österreich ge-

hört — es wäre Zeit, daß seine Werke einmal in Wien ausgestellt würden. Dann eine Madonna mit Kind von Hans K n e s 1, ein themengleiches Mosaik von Hans Stauda c h e r, und sehr schöne Graphiken von Hubert T u 11 n e r, Heribert P o t u z n i k, Max Florian und Christine Treberer- Treberspurg. —

Ein langes Feuilleton ließe 6ich schreiben über die vom Volkskundemuseum im Kaufhaus Gerngross veranstaltete und untergebrachte Ausstellung österreichischer Weihnachtskrippen. Denn an ihr ist, wenn man's recht und sozusagen mit den Augen eines Fremden besieht, alles außergewöhnlich: die Reichhaltigkeit dieser Sammlung, die da winzige uralte Krippchen enthält und. zehnmeterlange Weltlandschaften mit Hunderten von Figürdien und barocken Architekturen, bäuerliche Kosmologien geradezu, erfüllt von Frömmigkeit, Humor und Nachdenklichkeit: außergewöhnlich ist die Selbstverständlichkeit, mit der da ein österreichisches Museum Schätze auebreilet, die offenbar in Art und Fülle unvergleichlich und einzigartig sind, mit der da auf kleinen Täfelchen ein großes Stück Kultur- und Glaubens- geschichte „nur" so in Stichworten angegeben wird, wie etwa die Historie jenes Tiroler Gebirgstals, dessen Bewohner solche Krippen nicht nur erzeugt, sondern auch in eigenen Handelsniederlassungen buchstäblich über die ganze Welt hin vertrieben haben. Und das alles, Kunst und Volkskunde, Wissenschaft und wahre museale Schätze, ist nur ebėn so hingestellt, in ein Großkaufhaus hinein, zwischen die „Abteilung Spielwaren" und die „Abteilung Wirkwaren gewissermaßen, so, als wäre eigentlich nichts dabei, als könnte man das alle Tage ...

Und zwischen den Krippen stoßen und drängen sich dieselben Menschen, die durch nichts und niemanden und niemals zu bewegen sein werden, auch nur zweimal im Jahr in ein Museum zu gehen. Wahrhaftig, dieses Wien ist eine seltsame Stadt und voll von Unwahrscheinlichem.

Zögernd und schweren Herzens, viele Widerstände erwartend, sind unsere Innenarchitekten in den letzten Jahren darangegangen, in ein Chaos des Geschmacks, in das Publikum, Erzeuger und Händler gleichermaßen verstrickt waren, wieder Ordnung zu bringen. Resigniert und ohne recht Lust — denn es ist mühsam, selbstverständliche Wahrheiten unter die Leute bringen zu wollen —, erklärten sie jedem, der es hören wollte, daß das, was man andernorts als „moderne Wohnkultur" bezeichnet, nicht nur billiger, sondern auch schöner ist als jene wiidge wordenen Barock derivate, die der Wunsch träum des Unbekannten Totospielers sind. Aber siehe da, es ereignete sich etwas, wa6 fast ein Wunder war: das Publikum begriff die geduldigen Erklärungen. Mehr noch: es strömte zu Zehn- und Hunderttausenden in die zwei oder drei Lehrausstellungen, die man ihm in schneller Improvisation zeigte. Noch mehr: es stimmte begeistert den neuen Möbeln zu, die es da sah und — kaufte sie. Damit war der Bann gebrochen und der Fluch provinzieller Rückständigkeit unwirksam gemacht. Es beginnt eine neue Phase der Wiener Wohnkultur, und die Masse nimmt Anteil an ihr.

Nun hat eine Reihe von höchst zuständigen Organisationen und Interessenverbänden im Seitentrakt des Kunstgewerbemuseums (Eingang Weißkirchnerstraße) eine Ausstellung „Soziale Wohnkultur“ geschaffen. Sie hat offenbar viel Geld gekostet, aber sie ist es wert. Denn man merkt ihr an, daß sie schon nicht mehr ein Anfang, sondern schon eine Station auf dem Wege einer glücklichen Entwicklung ist: diese Wiener Möbel — es werden ihrer viele und schöne gezeigt -— gewinnen allmählich eigenen Charakter; sie haben den noblen und freundlichen Geist der frühen Wiener Moderne, aber die Formen sind neu; die Zahl der Modelle ist größer geworden, die Organisatoren der Ausstellung konnten schon auswählen — vor zwei Jahren noch waren 6ie froh, wenn sie das nur halbwegs Entsprechende fanden. Die Folgen dieser Entwicklung sind ebenfalls schon zu erkennen: es herrscht bereits eine gesunde Konkurrenzlust, die Firmen beginnen, sich in der Qualität zu überund im Preis zu unterbieten. Denn es geht jetzt schon nicht mehr um Ideen und Ideale, sondern auch schon ums Geld: eine Publikumsumfrage soll nämlich jene Modelle bestimmen helfen, die, jetzt noch Einzelstück und Modell, morgen in Serienerzeugung gegeben werden sollen.

Handwerker und Entwerfer und Käufer können zufrieden 6ein: es geht alles seinen guten Gang. Und der gute Geschmack und die Freude am Zeitgemäßen haben, einmal, über Mißverständnisse und Indolenz gesiegt.

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