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Kunst ohne Aushängeschild

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WIEN IST ALS STADT DER MUSIK in jedem Reiseführer zu finden. Daß es auch eine der bildenden Kunst ist, wird meist in Abrede gestellt. Allerdings läßt sich hier ein entsprechendes Aushängeschild vermissen. Schon Hermann Bahr meinte, daß es echt österreichisch sei, „daß das Große, wenn es einmal geschieht, unter uns nur inkognito geduldet wird“. Trotzdem sehr bemerkenswert in einer Zeit, in der Reklame und Publicity das Zepter führen.

Während es also im Ausland von Pop und Op, von Action Paintdng und Ashoan School (Mülleimermalerei), von Abc-Kunst und „Primary Structures“ in schillernder Vielfalt wimmelt, hat sich hier zum Trotz eine fast altmeisterlich zu nennende Malered erhalten, die allgemein als „Wiener Schule“ bezeichnet wird.

Der Österreicher findet das schrecklich konservativ — und da er außerdem geneigt ist, schwarz zu sehen, will er eine Erstarrung im Handwerklichen feststellen. Aber im Ausland wird diese Tatsache fast als Phänomen gefeiert, man jubelt dort geradezu, daß einmal etwas so „anders“ ist — und daher ist Österreich wieder einmal durchs Ausland „entdeckt“ worden.

Inzwischen ist auch die Kunde vom Abstrakten und vom „Großen Realismus“ bis hierher gedrungen, hat sogar einige ernst zu nehmende Produkte geschaffen, konnte aber trotzdem nie so ganz heimisch werden. Wohl deswegen, weil der Österreicher in seinem innersten Wesen zu sehr dem Figurativen, und damit dem Menschen und seiner persönlichen Sphäre verbunden bleibt. „Die Sicht in die Gegenwart fehlt“, meint Herr Kuchling, Experte auf dem Gebiet des Kunstgeschehens und augenblicklicher künstlerischer Leiter der Galerie Würthle. Die Werke junger, engagierter Maler werden wenig gekauft, während süßer Altwiener Kitsch im Doro-theum Höchstwerte erzielt. Es gibt zu wenig Sammler, denn Kunst ist in Österreich nicht Bestandteil der sogenannten guten Gesellschaft wie beispielsweise in Deutschland wo sich die Industriellen riesige Sammlungen anlegen und es zum guten Ton gehört, auf dem Kunstmarkt versiert zu sein. In Österreich geschieht so etwas geheim. Kunstwerke sind kein steuerlicher Ab-zuigsposten, sie unterliegen im Gegenteil der Vermögensbesteuerung.

Bs gibt also keinen Kunsthandel im üblichen Sinn in Österreich. Talente, Begabungen allerdings sind vorhanden. Was fehlt, ist eine entsprechende, eine richtige Förderung. Subventionen werden gegeben. Allerdings herrscht hier die Ansicht vor, daß auf diesem Gebiet wiederum des Guten zuviel geschehe. Nämlich ein Hochzüchten einer breiten Schicht von Minderbegabten.

DIE GALERIEN, DIE SICH AUF DIESEM umstrittenen Boden niedergelassen haben, geben davon ein deutliches Spiegelbild Im pittoresken Winkelwerk der Wiener Altstadt, gleich hinter dem Stephansdom, zwischen dunkel schummrigen Antiquitätenläden, Kaffeehäusern und Altwiener Genre sind die meisten von ihnen zu finden. Versteckt oft, ohne viel Reklame geben sie diesem Stadtteil doch eine ganz bestimmte Note. Und dem Interessierten das Gefühl, daß hier „etwas dahinter“ steckt.

Auf Grund ihrer Vielschichtigkeit erweist es sich als schwierig, eine Einteilung unter den Wiener Galerien zu treffen.

Es gibt solche mit Vollkonzession, welche zu einem regelrechten Kunsthandel berechtigt sind, und andere, die keinen Gewerbeschein besitzen, sondern lediglich einzelnen oder auch einer Künstlergruppe die Möglichkeiten bieten, auf Kommissionsbasis zu verkaufen. Weiters Lokale, die von öffentlichen Mäzenen, also vom Bund oder der Gemeinde, umsonst den Künstlern zur Verfügung gestellt werden. Es gibt Galerien, die subventioniert werden, und andere, die sich ohne Subventionen halten müssen. Viele von ihnen betreiben nebenbei einen Buch- oder Antiquitätenhandel, um sich dadurch einen gewissen Kundenstock zu sichern.

Das Geschäft mit der Kunst ist schwierig, gewagt, aber äußerst interessant. Es verlangt künstlerisches Einfühlungsvermögen auf der einen und kühlen Geschäftsgeist auf der anderen Seite. Außerdem Kenntnisse, den gewissen „Riecher“ für das, was im Kommen ist — und das nötige Anfangskapital.

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ALS ÄLTESTE DER WIENER Galerien ist die Galerie Würthle zu nennen, die im Jahre 1965 ihr hundertjähriges Bestehen feierte. Nach einem mehrmaligen Wechsel ihres Standortes Meß sie sich zu Beginn unseres Jahrhunderts ta dem Gebäude in der Weihburggasse nieder — vorerst im 6. Stock, später im Parterre, wo sie noch zu finden ist. Während in den Jugendjahren der Galerie vor allem alte Meister berücksichtigt wurden, erfolgte in den zwanziger Jahren, zur Zeit der berühmten Frau Jaray, der Umbruch zur Moderne. Es waren dies die harten Zeiten der Galerie, als es wenig Käufer gab und sich die neuen Kunstrichtungen erst durchsetzen mußten, ehe sie Anklang beim breiten Publikum fanden. Diese Situation hat sich heute weitgehend geändert. Trotz Wiener Konservatismus und verschriener Rückständigkeit. Dem Ziel, das damals gesetzt wunde, nämlich junge, zeitgenössische Künstler zu fördern (der Briefkopf der Geschäftspapiere trug die Aufschrift: „Galerie der Lebendigen“), ist man bis heute treu geblieben. Die laufenden, ungefähr alle drei Wochen stattfindenden Ausstellungen sind Personalausstellungen, selten Gruppenausstellungen und ein- bis zweimal pro Jahr wird eine thematische Ausstellung abgehalten. Neben Bildern sind auch Plastiken zu sehen, wie etwa jene von Wotruba (Wotruba war bis 1953 künstlerischer Leiter, mußte sich aber aus Gründen der Überfoelastung zurückziehen).

Das intensive Bemühen, wie zu Zeiten Wotrübas, Werke ausländischer Künstler auszustellen (Picasso, Klee und Schlemmer waren unter anderem zu sehen), wurde jedoch völlig eingestellt, da durch die Einfuhr der Bilder Ausstellungen dieser Art meist zu kostspielig und zu schwierig werden. Ein Faktum, das von sämtlichen Galeriebesitzern einmütig bestätigt wird.

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DIE 1958 GEGRÜNDETE GALERIE VERKAUF ist ebenso wie die Galerie Würthle im Besitz einer Vollkonzession. Und wie Würthle betreibt sie nebenher einen Buchhandel. Sie ist außerdem eine der ganz wenigen Galerien, welche keinerlei Subventionen bezieht. Angeboten werden vor allem Graphiken französischer Künstler. An die hundert Ausstellungen wurden bisher abgehalten, die jedoch vorwiegend Österreichern gewidmet waren. Hier wurde unter anderem die erste Leherb-Ausstellung gesehen und die erste Graphikausstellung von Fuchs. Die traditionellen jährlichen Weihnachtsausstellungen bieten Druckgraphiken im Preis von 50 bis 300 Schilling, und wollen insbesondere für die meist mittellosen Jugendlichen erschwinglich sein. Bemerkenswert die zeitweise abgehaltenen thematischen Ausstellungen, die eine Auseinandersetzung mit zeitbedingten Strömungen verraten. Wie etwa die Ausstellung: „Musik als Thema der zeitgenössischen Kunst“ im Sommer 1961, zu welcher Braque, Chagall, Degas, Picasso, Neuwirth und Georg Eisler Beiträge lieferten, und wobei der Zusammenhang zwischen moderner Musik und moderner Malerei und der Einfluß ersterer auf letztere deutlich wurde.

Ansonsten jedoch steht Willi Verkauf dem österreichischen Kunsthandel etwas pessimistisch gegenüber: „Statt der Quantität müßte die Qualität gefördert werden“, und: „Die Zusammenarbeit zwischen den Interessenten fehlt.“

ALS „SCHLIMMES KIND“ UNTER DEN WIENER Galerien wird die Galerie St. Stephan bezeichnet. Was an ihr wesentlich erscheint: sie provoziert. Mit Experiment und abstraiktdven Tendenzen. Den Kerntrupp bilden die vier Maler Wolfgang Hollegha, Joseph Mikl, Arnulf Rainer und Markus Prachenski, über deren Begabt oder Nichtbegabt berufene Wiener Kritiker zahlreiche Kommentare abgaben.

Die Katholische Aktion übernahm die Galerie und Monsignore Mauer, Domprediger und Kunstfreund, die Führung. Im Laufe der Zeit begann sie etliche Epigonen um sich zu scharen, und Diskussionsthema der jugendlichen Avantgarde zu sein. Und wenn sich auch über Kunst in diesem Zusammenhang streiten läßt, so hat sie zumindest zahlreiche, fruchtbringende Auseinandersetzungen geschaffen.

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AUF DIE MARKE „SOLIDE QUALITÄT“ setzt im Gegensatz hierzu die Galerie Peithner Lichtenfels. Ihr Spezialgebiet: Österreicher des 20. Jahrhunderts, wobei ein besonderes Augenmerk auf jene nach 1945 gelegt wird. Darüber hinaus entscheidet das Talent und nicht Publicity. Ob bekannt oder nicht bekannt, ob bereits ausgestellt oder nur einem kleinen Freundeskreis zugänglich gemacht: gut muß das Bild sein. Die Gesichtspunkte, nach denen die Auswahl getroffen wird: Figuratives genießt Vorzug gegenüber dem Abstrakten, und damit bewährtes Können gegenüber dem Experiment. Wesentlich ist weiters die Aussage eines Bildes, das Thema, der Inhalt.

EIN AMÜSANTES UND ANREGENDES KUNTERBUNT von alt und neu, antik und modern empfängt den Besucher in der Galerie Basilisk. Originell bereits die Sage, welche ein besonderes Milieu verleiht. Darnach soll sich in dem Haus in der Schönlaterngasse einst ein Untier eingenistet haben, „eine Art von Schlangen, die man sondern in Ägypten, Libyen und in dem Teile Afrikas, so Zyrenaika heißet, findet“, Verkörperung des Unheils und des Bösen, welches allgemein als Basilisk bezeichnet wurde. Eine Ausstellung in der Galerie mit Preisausschreiben trug dieser Legende Rechnung: damals glotzte, fauchte und brütete es eklig von den Wänden des kleinen, über einen Hinterhof erreichbaren Ausstellungsraumes, wobei alles Phantastisch-Groteske und Surreal-Seltsame der Wiener Schule Ausdruck finden konnte. Etliche Bilder sind davon zurückgeblieben und sozusagen als Wahrzeichen unverkäuflich im Geschäftslokal aufgestellt.

Was ansonsten in den Ausstellungen gezeigt wird, vertritt keine bestimmte Linie. Da gibt es Pop-art und farbige Op-Kombinatiönen zwischen Stilmöbeln und vergoldetem Barock. Wiener Schule und moderne Plastiken, Surrealismus und Abstraktives, nebst ländlichem Hausrat, kupfernen Kuchenfonmen und Bauemmobiliar. Der Antiquitätenhandel soll ein beständiges Publikum sichern, während die Ausstellungen mehr dem Experiment gewidmet sind.

Einem Problem, das sich immer schwieriger gestaltet, nämlich jungen Künstlern einen entsprechenden Absatz zu verschaffen, soll in Kürze dadurch abgeholfen werden, daß die Galerie nur noch renommierte Künstler bringen will. Dazu Klaus Lingens: „Der Nachwuchs ist zu zahlreich, der Kritiker den steigenden Anforderungen nicht mehr gewachsen. Somit können die Hoffnungen eines jungen Talentes in den seltensten Fällen erfüllt werden.“

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EINE ORIGINELLE GALERIE sei hier noch angeführt. Eine Galerie, die sich, eigenwillig und exzentrisch, in keine der üblichen Schemata eingliedern läßt: Die Galerie 6 in der Bäcker straße. Einfälle hierzu brachte ihr Besitzer Manfred Scheer aus Amerika.

Der Start vollzog sich im Juli vergangenen Jahres mit einer Amateurschau von 200 Bildern von vierzig Malern, die noch nie ausgestellt hatten. Und weil der Andrang von Künstlern und solchen, die es sein wollen, derart groß war, soll dieses Experiment nun jährlich einmal wiederholt werden. Die „Galerie zur offenen Tür“- will also jedem, der einiges Interesse bekundet, die Pforten der Musentempel erschließen beziehungsweise jene, denen der Eintritt bisher verwehrt war, zur Anteilnahme erziehen. Ein lohneswertes Unterfangen.

Die 23 jährige Christa Stracke, Malerin und Leiterin der Galerie und dort mit einer ständigen Ausstellung vertreten, malt in der Auslage vor den Augen der Passanten.

Im Erdgeschoß hat sich Jugendstil unterschiedlicher Qualität bequem gemacht. Geschnitzte Büsten aus dunklem Ebenholz, Paravants mit Lilien tragenden weiblichen Schönheiten und riesige Porzellanschüsseln, flankiert von fisehleib-rigen Nymphen.

Der Clou jedoch ist im ersten Stock untergebracht: die erste Kindergalerie der Welt. Hier können sich die Kleinsten unter den Kleinen zwischen Collagen, Photomontagen, Wiener Schule und abstrakter Malerei geschmacklich bilden. Sie sollen auf diese Art und Weise frühzeitig mit Kunst und Kunstwerken in Berührung gebracht werden. Aber auch für sonstiges Spielzeug ist gesorgt. Reizende großäugige Puppen und Stofftiere baumeln von den Wänden und Kinderbücher liegen bereit. Erwachsenen ist der Eintritt verboten. Es würde ihnen auch nicht sehr gut bekommen, da sie sich an dem niederen Gewölbe ständig den Kopf anstoßen müßten.

Vor den Kopf gestoßen hat die Galerie etliche Wiener Kreise des öfteren. Und nicht nur deswegen, weil sie aus der Reihe tanzt. Nach ihrer Eröffnung wurde von der Polizei die Entfernung eines weiblichen Halbaktes aus dem Schaufenster gefordert. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Blockadebrecher haben meist mit Unannehmlichkeiten zu rechnen.

DIESER GRIFF IN DAS ZAHLREICHE Vorhandensein von Wiener Galerien soll keine Bevorzugung oder gar irgendein Werturteil bedeuten, sondern nur beitragen zur Erhellung einer Situation.

Ein schmales Fenster, geöffnet und gleich wieder zugemacht. Denn in vielen Dingen läßt sich Wien nicht gerne hinter die Kulissen schauen. In Gewölben, Hinterhofräumen und Gasisengewirr hält sich manches Unentdeckte verborgen.

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