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Freude an Bildern

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Es sah aus, als habe sich Graz, Österreichs zweitgrößte Stadt, eine komplette neue Kunstsammlung geleistet, als sich zur Eröffnung im alten Stadtpalais der Grafen Herberstein die Gäste drängten: 173 Gemälde aus dem Besitz der Neuen Galerie des Landesmuseums Joanneum waren zu sehen,an die sich selbst viele Grazer nicht erinnern konnten - weil die Bilder jahrzehntelang im Depot gelegen sind. Nun kann sich jeder Besucher der Stadt wieder an ihnen erfreuen.

Ferdinand Georg Waldmüller ist gut vertreten, Friedrich Gauermann nicht weniger, es gibt ein paar „Kleinigkeiten“ von Hans Makart und zwei Bilder von Egon Schiele, die in letzter Zeit so an Ansehen gewonnen haben, daß man sie heute nicht mehr bezahlen könnte. Es sind jedoch vor al-

lem viele Künstler zu entdecken, deren Namen man kaum über Österreich hinaus kennt, einige nicht einmal sehr gut in der Stei-. ermark - die es aber doch wert sind, herausgestellt zu werden.

Aber im 19. Jahrhundert geht es ja nicht hur um das Kunstwerk an sich, es geht wesentlich auch um das Dargestellte. Man hatte seit der Romantik gelernt, die Welt neu zu sehen: die Schönheit der Landschaft, vor allem des Gebirges, und ihrer Bewohner — schlichte Bauern in ihren unverfälschten Trachten. Die Steiermark bot hinreichend Motive, vor allem im Salzkammergut.

Aber die Maler entdeckten auch die Welt neu. Das Reich der Habsburger reichte bis in die ungarische Steppe, bis an die Adria. Schiffsexpeditionen führten nach Brasilien oder rund um die Welt — so in der Mitte des 19. Jahrhunderts die österreichische Fregatte „Novara“, die den Maler Joseph Selleny an Bord hatte. Er zeichnete nicht nur emsig, sondern ließ seine durch all die Eindrücke angeregte Phantasie auch in die Vorzeit schweifen.

Wer die N|ue Galerie besucht, lernt Land und Leute kennen, wie sie sich im 19. Jahrhundert darstellten und wie sie auf Bildern gern gekauft wurden. Denn viele dieser Kunstwerke kamen ja schon zu Lebzeiten der Maler in die Sammlung. Es war, obwohl von einem Bruder des Kaisers

Franz, Erzherzog Johann, begründet, eine bürgerliche Sammlung, die einem neuen, damals zeitgemäßen Bildungsideal entsprach: Das Joanneum war ein Unterrichts- und Bildungsinstitut, aus dem später zum Beispiel die Technische Universität in Graz und die Montanistische Hochschule in Leoben hervorgingen. Es sammelte Kunstwerke auch als Dokumente für Land und Leute und als anregende Beispiele für das Kunstgewerbe.

Wo das Mäzenatentum des Landesadels und des Bürgertums endete, gab es Nachlässe von Künstlern, die von den Familien der Obhut des Museums anvertraut wurden. Graz, als bevorzugter Ruhesitz hoher Beamter und Offiziere mit dem Beinamen „Pensionopo-

lis“ versehen, konnte auch auf Spenden vermögender Generalswitwen wie der des Feldzeugmeisters Benedek hoffen.

Nach 1918 wurden die Zeiten ärmlich, die Spenden flössen dünn. In die Sammlung gelangten immerhin noch Werke der damals dominierenden Künstler wie Alfred Wickenburg, Rudolf Szysz-kowitz oder Herbert Boeckl. Die Witwe des 1888 in Graz geborenen und 1949 in New York verstorbenen Wilhelm Thöny übergab der Sammlung Beachtliches. Von Hans Fronius, der 1988 starb und lange in der Steiermark gewirkt hat, besitzt man sechs Gemälde.

Wenn man aber den soeben erschienenen Gesamtkatalog mit 2120 Gemälden (ohne Plastiken, Graphik- und Foto-Sammlung!)

betrachtet, dann stammt mehr als die Hälfte aus der Zeit nach 1960, als die Sammeltätigkeit im Zusammenhang mit einem neuen Aufbruch der Künste wieder auflebte.

Vor dem „steirischen herbst“ gab es ja schon die „trigon“-Idee, die Künstler aus den Nachbarländern Österreich, Italien und Jugoslawien alle zwei Jahre in Graz zusammenführte. Jährliche Internationale Malerwochen im Schloß Retzhof wurden vom Land Steiermark finanziert mit der Auflage, daß jeder teilnehmende Künstler ein Werk zurückließ. So wurde Jahr für Jahr der aktuelle Kunstbesitz aufgestockt, wurde vor allem der Blick über die Grenzen hinaus erweitert, denn bald kamen zum „steirischen herbst“ auch Künstler aus Ungarn, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern.

Das brachte natürlich erst recht Raumprobleme. Zunächst mußte die Kunst des 19. Jahrhunderts ganz verschwinden. Jetzt konnte in der Etage unter der Neuen Galerie eine Tanzschule abgesiedelt werden, um für das vorige Jahrhundert Platz zu machen. Wenn dann in den neunziger Jahren das „Trigon-Museum“ gebaut wird, sollen dort die Zukaufe der jeweils letzten zehn Jahre zu sehen sein. Für die Kunstwerke, die dazwischen entstanden sind, muß noch Raum geschaffen werden.

Vorerst aber können sich die Gäste von Graz an köstlichen Gemälden von Heinrich Füger, Joseph Danhauser, Rudolf und Jakob Alt, Joseph Pettenkofen, Anton Romako, Emil Jacob Schindler, Tina Blau, sogar an einem kleinen Carl Spitzweg und vielen anderen erfreuen - ohne die beachtlichen Bestände der Alten Galerie mit Kunst des Mittelalters und des Barocks und die großartigen Sammlungen von Möbeln, Glas, Porzellan oder Schmiedeeisen zu übersehen. In Graz gibt es ein Universalmuseum, das man sich sonst in vielen alten Häusern und Palästen zusammensuchen muß - in jeweils überschaubaren und bekömmlichen Portionen.

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