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DRAMATISCHES BIEDERMEIER

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Tor kurzem wurde in der Biedermeierausstellung ™ auf dem MariaMferberg bei G u t e n s t e i n der fünfzigtausendste Besucher gezählt. Das große Publikumsinteresse an der umfassenden Schau heimischer Biedermeierkultur regt zu Betrachrungen und Vergleichen an.

Der Name des Malers Friedrich Gauermann, dessen 100. Todestag in diesem Jahr den äußeren Anlaß zur sinngemäßen chronologischen Weiterfuhrung des repräsentativen niederösterreichischen Kunstausstellungsprogramms bildet, war bisher weiten Kreisen wenig oder gar nicht bekannt. Sprichwörtlich gewordene Zentralgestalt unter den Biedermeier-me:iStern ist Ferdinand Georg Waldmüller, sein Name — von liebenswürdigem, romantischem Wohlklang — wurde zum Inbegriff vormärzlicher österreichischer Kultur. Generationen sind seine Werke zumindest aus Reproduktionen vertraut, denn seit Jahrzehnten hängen in fast allen Schulen unseres Landes Farbdrucke seiner Wienerwaldbilder. In weiterer Folge allgemeiner Würdigung und kunsthistorischer Darstellung erscheinen Genremaler wie Peter Fendi und Josef Danhauser, Moriz Michael Daffinger, der Meister des Porträts, der herrliche Märchenerzähler Moriz v. Schwind, der patriotische Johann Peter Krafft, der frühvollendete Aquarellist und Militärmaler Carl Schindler und, als interessante Individualität, der bodenständige Michael Neder im biedermeierlichen Erinnerungsalbum, während die feine, in ruhevoller Anschaulichkeit gefestigte Landschaftskunst Rudolfs von Alt der Popularität des Waldmüllerschen Schaffens wohl am nächsten kommt

In einem längst fälligen kulturellen „Nachziehverfahren“ geschickter Ausstellungsstrategie gelangte nun auch Friedrich Gauermann zu verdienten Ehren und wurde — fast ein typisch österreichisches Kriterium für die Würdigung eines großen Sohnes — durch die Herausgabe einer Sonderbriefmarke gewissermaßen offiziell sanktioniert.

“TVie umfangreichen wissenschaftlichen Vorarbeiten zu der Ausstellung fanden nicht nur in dem ausgezeichnet gestalteten Katalog ihren Niederschlag, demnächst erscheint auch die erste Gauermann-Monographie, verfaßt von Univ.-Dozent Doktor Fupert Feuchtmüller.

Wenn wir die psychische Disposition des Ausstellungspublikums in Betracht ziehen, dann erkennen wir, daß es hier zwischen dem Betrachter und dem Objekt keinen Respektabstand gibt, wie ihn dlie weihevolle erhabene Gotik und das grandiose, feierliche Barock schafft, sondern vielmehr eine unmittelbare, empfindungsbetonte Bindung an das Biedermeier, seine kulturellen Schöpfungen und die Zeugnisse seines Lebensgefühls Die Tradition und vor allem die überlieferten Stimmungswerte einer bürgerlichen Welt kluger Bescheidung, nobler Solidität und heiterer Anmut sind lebendig geblieben und lassen die Biedermeierepoche in der wehmutvollen Rückschau als die golden überglänzte, verlorene, gute alte Zeit erscheinen. „Sehts Leutein, so war's Anno Dreißig in Wien“, sangen die Volkssänger und beschworen die freundliche Vision blauer Fracks und behaglicher Stuben, wo im milden Schein der Nachmittagssonne Mahagoni sanft aufleuchtet. Kritische Stimmen, die von der historischen Realität des österreichischen Vormärz berichten, überhört man gerne. Man träumt lieber von Schubertiaden und fröhlichen Landpartien in die Brühl nächst Mödling.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts erschienen in wohlfeilen kleinen Heftchen und mit Kupfer geschmückten Taschenbüchern empfindsame und genaue Beschreibungen der schönsten Gegenden um Wien. Zahlreiche Schriftsteller, vor allem der emsige Franz de Paula Gaheis, durchwanderten die Umgebung der Stadt und suchten landschaftliche und architektonische Merkwürdigkeiten auf.

Der erste Kristallisationspunkt in der Biedermeierlandschaft Niederösterreichs ist Laxenburg mit der Franzensburg und dem Park als Denkmal früher österreichischer Romantik. Diese romantische Schöpfung entsteht noch im Anschluß an theresianisehes Bauen in der Ebene, mit Auwald und Reitboden. Die umgebende Natur vermag noch Schauplatz von Schäferidyllen und festlichem Mummenschanz des Rokokos“ zu sein, wie bei Schloß Schloßhof im Marchfeld. Aber das neue Verhältnis des Architekten zur Landschaft dokumentiert sich westwärts, in den Hügelzügen an der großen vulkanischen Bruchlinie. Kornhäusel stellt den Husarentempel auf eine bewaldete Bergkuppe und errichtet an einer Lehne im schattigen Helenental für Erzherzog Carl das Schloß Weilburg, Österreichs bedeutendsten klassizistischen Schloßbau, der seit 1945 in Trümmern liegt. Obgleich von repräsentativer weitläufiger Anlage, stellte das Schloß ein fürstliches Buen Retiro dar, einen Landsitz nach biedermeierlichen Begriffen, mit bescheideneren, anmutigen Entsprechungen in den zahlreichen Sommervillen rings im Land.

Das liebliche Baden entwickelte sich in jenen nachjosephini-schen Jahrzehnten zur typischen österreichischen Biedermeierstadt, wird „ein kleines Wien in Aquarell“, wie es ein zeitgenössischer Schriftsteller nannte.

Auf seinen Herrschaften im südlichen Wienerwald ordnete Johann Fürst Liechtenstein die Natur einem heilsamen organischen Regiekonzept unter, betrieb in den Gebieten um Mödling und Sparbach romantische Landschaftsgestaltung, während der kuriose Anton David Steiger, Edler am Stein (dessen Bildnis Vater Jakob Gauermann radierte), der erwachenden Ritterromantik 'mit der Gründung der närrischen „Wildensteiner Ritterschaft der blauen Erde“ auf Burg Seebenstein bombastischen Tribut zollte.

Auch an der Donau entfaltete sich biedermeierliches Leben, Eichendorff gibt uns im „Taugenichts“ die schönste Schilderung einer romantischen Schiffsreise nach der Residenz. In ihren Häusern in den Uferstädten saßen die selbstbewußten patrizischen Schiffmeister, große Herren, wie der Matthias Obermüller, den Waldmüller im roten Rock eines „Donauadmirals“ porträtierte.

Die Landschaftsmalerei ist, wie die Geschichtsmalerei, höchster Achtung werth, wenn sie, wie jene. . . nur edle Gegenstände edel ausführt, das ist, solche Gegenstände bearbeitet, welche auf das menschliche Herz wirken und sanft rühren und zu Tugend begeistern“, schrieb Jakob Gauermann in sein Tagebuch. Der Darstellung seines Lebenswerkes ist die Schau im alten Gauer-mann-Hof in Miesenbach-Scheuchenstein, unweit Gutensteins, gewidmet. Jakob Gauermann war gebürtiger Schwabe und kam nach Lehrjahren in Stuttgart und Heilbronn nach Wien. 1811 wurde er von Erzherzog Johann als Kammermaler berufen, in seinen frühen Radierungen und Gemälden zeigt sich Gauermann als Vertreter der idealisierenden Landschaftskunst im Sinne von Josef Anton Koch. Poussin, dessen Werke er in Wien kennenlernte, inspirierten ihn zu Darstellungen frei erfundener antikischer Szenen, doch bald wandte er sich bodenständigen

Motiven seiner Umgebung zu und zeichnete Wallfahrer, Bauernhochzeiten und Kirchweihfeste. Er arbeitet an einem Werk mit, das später unter dem Titel „Voyage pittoresque en Autriche“ in Paris erscheint, eine der zahlreichen „Malerischen Reisen“ nach dem Geschmack der Zeit. Als erzherzoglicher Kammermaler schuf er bezaubernde zeichnerische Landschaftsaquarelle in zarten, transparenten Farben. Ehe man die Alpen erstiegen und erwandert hatte, dokumentierte sich die Vorstellung vom Gebirge in ideal-phantastischen Bildern zackiger eisbedeckter Spitzen und wüster, wildromantischer Gletscherfelder, Schluchten und Wasserfällen: Regionen, in denen der Alpenkönig sein Reich hat. Bei Gauermanns Vater und seinen Zeitgenossen sind die Berge von erhabener Größe, doch sie sind menschennäher, sind in die unmittelbare Erlebnissphäre gerückt. Was der Prinz von seinen Künstlern verlangte, war Dokumentation der landschaftlichen Erscheinungsformen und des Volkslebens in edler malerischer Auffassung und anschaulicher Typiisierung.

Friedrich Gauermann ist schon ganz Österreicher, als Mensch und als Künstler. 1807 auf dem „Gauermann-Hof“ benannten Anwesen in Miesenbach geboren, wird er der meisterhafte malerische Schilderer seiner unmittelbaren Heimat und ihrer Herden und Hirten. Sind die frühen Bilder, bei denen Landschaft und figurale Komposition gleichwertig in Wechseibeziehung gesetzt erscheinen, noch ganz von idyllischer Grundstimmung, mit ihren Rindern und Schafen auf sonniger Weide, so geht der Künstler später in seiner Themenstellung zu einer Dramatisierung episodischer Vorgänge aus dem bäuerlichen Lebenskreis und dem Bereich alpinen Weidwerks über. Statt der sanften Hirtenflöte erklingt der helle Ruf des Hifthorns. Genrehafte Szenen wie die Heimkehr einer Herde erhalten malerische Steigerung und gefühlsmäßige Spannung durch das Elemerrtar-ereignis eines ausbrechenden Unwetters. (Ähnlich verfährt zum Beispiel Peter Fendi, der seinen Sämann ins Zwielicht vor einem schweren drohenden Gewitterhimmel stellt.) Aus der ein-, gehenden Beobachtung gefangener Tiere erwachsen Gauermanns großartig bewegte Bilder des Lebenskampfes auf freier Wildbahn und in den felsigen Revieren. Das barocke Jagdstück mit Hätz und fletschenden Rüden erfuhr eine vitale Wandlung zu biedermeierlicher Realistik. In zahlreichen Studien setzt sich der Künstler mit den Problemen der Bildgestaltung auseinander, Ölsikizzen von Wolkenstimmungen zeugen von seiner intensiven Beschäftigung mit den ewig wechselnden Erscheinungsformen des Himmelslichtes.

Friedrich Gauermanns Kunst mit ihrem dramatisch pointierten erzählerischen Charakter und ihren leicht verständlichen volkstümlichen Motiven regte freilich in der Folge geringere eklektische Talente zu jenen alpenländischen Genre- und Jagdszenen an, die heute noch als Farbdrucke in manchen alten Wirtshausstuben zu finden sind.

Weht durch Gauermanns Bilder die freie, sonnig leuchtende oder gewitternde Luft freizügigen Schweifens und Schauens in der Natur, so spricht aus dien Werken seines Zeitgenossen und engeren Landsmanns Leopold Kupelwieser großbürgerliches Wesen und Streben nach edlem Ausdruck und Erhabenheit. An der italienischen Renaissance geschult, wendet er sich einer idealistischen, naza-renerhaften religiösen Kunst zu. (Auch hier ist allerdings die fatale Banalisierung zum kitschigen, süßlichen Heiligenbild späterer Generationen erahfi-bar.) Kupelwiesers Bildnisse in ihrer Verbindung von intimem R- - und nobler Repräsentation gehören zum Besten in der österre' sehen Biedermeiermalerei.

In der Gegenüberstellung der beiden Persönlichkeiten Gauermann und Kupelwieser tritt, so scheint es, jener wundersame Wesensdualismus in Erscheinung, der geheimnisvoll und gleichmshaft in zweifacher Gestalt die beiden Grundzüge der österreichischen Seele zeigt, wie bei Johann Strauß Vater und Josef Lanner, bei Raimund und Nestroy, bei Johann Strauß Sohn und seinem Bruder Josef: den Genieblitz und die lyrische Empfindungstiefe. — Gauermann: schwarzer Lockenkopf, selbstbewußter Blick. Kupelwieser: träumerische Augen, mildes Rötlichblond. *

Welche Fülle der Eindrücke in den beiden einfachen alten Anwesen in Miesenbach und in der umfassenden Biedermeierschau im Servitenkloster auf dem Mariahilferberg! Abbild eines Zeitalters, in dem das Menschenherz das Maß aller Dinge war, Spiegel einer Epoche, die ihre Lebensweisheit in die schlichten Worte des Hobelliedes faßte und in der Stifter sein „sanftes Gesetz“ fand. Alle Lebensgebiete des Biedlermeier finden hier gültige Darstellung, von der Metternichschen Politik mit ihren bedrückenden Schattenseiten bis zum reich blühenden Kunsthandwerk. Das Theater nimmt breiten Raum ein, denn der biedermeierliche Mensch liebte das Schauspiel.

Wenn man die Ausstellungsorte verläßt, dann wird das Geschaute nicht abgeschwächt und durch Bilder gleichgültiger Alltäglichkeit verdrängt, sondern wirkt harmonisch fort, wird noch vertieft im unmittelbaren Anblick jener Landschaft des biedermeierlichen Niederösterreich, von der Friedrich Gauermann schrieb: „Ich bin froh, daß ich wieder in der geliebten Wildnis bin, wo der Brunnengreß auf den Steinen wächst. Diese Tage waren so grimmig eisig kalte Stürme von der Steiermark her... Doch im Tale fängt alles zu blühen an, und die Wiesen werden schon sehr schön.“

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