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Epilog zur Ausstellung „Gotik in Tirol“

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Eine der bedeutendsten schöpfen sehen Kul-turleistungen Österreichs in diesem Jubeljahre war die Ausstellung mittelalterlicher Tiroler Kunst in den neuerstandenen Räumen des Museum Ferdinandeum Nun, da Ihre Pforten sich schließen, soll unsere Erinnerung sagen, worin ihre Bedeutung lag.

Die Ausstellung schöpfte ihre Berechtigung, gewann ihre geistige Einheit aus der geschlossenen mächtigen künstlerischen Tradition des Landes nördlich und südlich des Brenners, aus dem Stets im Volke lebenden Bewußtsein der geistigen Wesenheit „Tirol“, Es bedurfte aber der langjährigen Forschertätigkeit der Innsbrucker Kunstgelehrten, namentlich der wissenschaftlichen und organisatorischen Arbeit von Univ.-Prof. Dr. V. Oberhammer, um den hinreißenden Reichtum dieser Einheit unmittelbar anschaulich zu machen, alle formalen Akzente richtig zu vorteilen und so über alle materiellen Hindernisse hinweg das Band zu schmieden, das die Vielfalt der gezeigten Meisterwerke unlöslich verbindet. Viel Kleinarbeit war zu leisten, bis jedes plastische Werk in die richtigen Beziehungen zu dem Auge des Beschauers und den Lichtquellen trat und die Gemälde optimal beleuchtet waren. Selten haben wir noch sonst in einer Ausstellung alle Objekte derart Sinnvoll und geistig notwendig geordnet gesehen.

Die so entstandene Schau zeichnet nicht ein schon aus der Literatur allgemein bekanntes Bild der Kunstentwicklung nach, sondern basiert auf der neuesten Forschung und vermittelt Erkenntnisse, die sogar den Fachmann überraschen. — Neben der überragenden. Hein mit europäischen Maßen zu wertenden Persönlichkeit des Malerbildhauers Michael P ach er, der glänzend vertreten war (wenn auch die Erinnerung der Beschauer sehnsuchtsvoll nach dem Chorattar von Sankt Wolfgang schweifte), erschien die sonst zu Unrecht in seinem Schatten stehende Gestalt seines Bruders Friedrich endlich in wahrer Größe. Sie war vielleicht das banhendste Erlebnis der Ausstellung) denn seine Bilder bleiben zwar ganz in die heimatliche Tradition eingebettet, wirken aber durch die bäuerliche Wucht ihrer plastischen Potenz wie erratische Blöcke und prägen Typen von tir-welthafter Gewalt. Neben sie stellte sich reizvoll das mit unendlicher Mühe zusammengetragene, sonst in alle Welt verstreute malerische Lebenswerk des Marx Reichlich mit seiner wechselvollen, aus manchen fremden Quellen gespeisten Entwicklung. In den farbig so problematischen Spätwerken Reichlichs liegt der Schlüssel zur Entwicklung der Malerei des frühen 16. Jahrhunderts in Salzburg, wo der Maler seit 1494 Bürger war.

Für die Forschung vielleicht noch wertvoller war es, daß im Ferdinandeum kaum bekannte Künstlerpersönlichkeiten Tirols erstmals durch die Zusammenschau ihrer Werke greifbar wurden. So der Plastiker Hans von Judenburg mit den Resten seines ehemaligen Hochaltars der Bozener Pfarrkirche von 1422/23, der Brixener Hofmaler Lienhart (um 1460) und der ausgezeichnete Pacher-Schüler Hans K 1 o c k e r aus Brixen mit seiner unvergeßlichen Anbetungsgruppe aus St. Leonhard im Passeier und mit den beiden Mönchsgestftlten aus Willnöß, die glühend und streng Wie eine Verkörperung des Tirolischen an sich anmuten. — Andererseits warf die Ausstellung Fragen auf, welche die kunitgeschichtliche Forschung noch auf langehin beschäftigen werden, wobei der sorgsam durchgearbeitete Ausstellungskatalog Oberhammers dauernd als ein Standardwerk fungieren wird. Intensive Wissenschaftliche Arbeit erschloß bisher unbeachtetes Kunstgut von höchstem Range: Die Allgemeinheit erschaute nun erst zum Beispiel die gewaltige Figurengruppe des Olberges aus Müs, über deren Zugehörigkeit zu Veit Stoß wohl erst nach der Abdeckung dieser Plastiken das letzte Wort gesprochen werden kann. Eine ähnliche Überraschung boten auch manche Stifterfiguren und die herrliche Gruppe der hl. Maria Magdalena zu Füßen des Kreuzes aus Schwaz.

Am eindrucksvollsten und fast lückenlos zeigte die lange stolze Reihe von vollständigen Flügelaltären die geistig so aufschlußreiche Entwicklung dieses zentralen Gesamt-kuistwerkS des späten Mittelalters: von dem frühesten alpenländischen Flügelaltar aus Schloß Tirol (1370/72) über den symbolbelade-nen Stamser Votivaltar und die gewaltigen Werke der beiden Pacher sowie über Reichlich bis zu dem in Farben strahlenden Ahnenberger Siopenaltar des Sebastian Scheel (1517) und zur reizvollen Tempiettoform des Georgsaltars aus Schloß Ambras (1522/23), dessen Plastik wohl der Richtung Sebastian Loschers in Augsburg angehört. Immer wieder entzückte uns hier aui die blühende, glutvolle Schönheit einer farbigen Fassung, deren Erhaltung oder Wiederherstellung wir der zielsicheren Arbeit der Denkmalpflege, zum wesentlichen Teil aber auch dem ererbten Sinn des Volkes für edle Kunst verdanken.

Manche erlauchten Werke, so Meisterarbeiten von Hans M u 11 s c h e r, Jan P o 11 a c k und Veit Stoß, erschienen nur als bereicherndes Beiwerk neben dem geschlossenen Bestand der Tiroler Kunst, die diese verdienstvolle Ausstellung in wahrhaft unvergeßlicher Einprägsamkeit und Fülle uns gezeigt hat. Alle, die sie offenen Auges erschaut haben, werden sie lebenslang zum Schönsten zählen, das sie sehen durften: eine machtvolle Bekundung der Größe und Eigenständigkeit alpenländi-scher Kunst. H. D.

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