6550938-1947_42_10.jpg
Digital In Arbeit

Kunst der Notzeit

19451960198020002020

Die östereichische Kulturvereinigung, Landesverband Oberösterreich, veranstaltet gemeinsam mit dem oberösterreichischen Landesmuseum in Linz eine Ausstellung „Albrecht Altdorfer und die Donauschule in Oberösterreich“, die am 18. Oktober in Linz eröffnet wurde. Neben dorn genannten Museum sind vor allem die Stifte St. Florian und Kremsmünster mit ihrem Kunstbesitz beteiligt. Rund 100 Tafelbilder, etwa 50 Plastiken und Flachreliefs und etwa 30 Beispiele von Graphik verleihen der Ausstellung den Charakter einer bedeutenden Schau.

19451960198020002020

Die östereichische Kulturvereinigung, Landesverband Oberösterreich, veranstaltet gemeinsam mit dem oberösterreichischen Landesmuseum in Linz eine Ausstellung „Albrecht Altdorfer und die Donauschule in Oberösterreich“, die am 18. Oktober in Linz eröffnet wurde. Neben dorn genannten Museum sind vor allem die Stifte St. Florian und Kremsmünster mit ihrem Kunstbesitz beteiligt. Rund 100 Tafelbilder, etwa 50 Plastiken und Flachreliefs und etwa 30 Beispiele von Graphik verleihen der Ausstellung den Charakter einer bedeutenden Schau.

Werbung
Werbung
Werbung

Man ist versucht, zu glauben, daß die politische Zerrissenheit Österreichs im späten 15. Jahrhundert auch in der Kunst zum Ausdruck gekommen sein müßte. In jenen Jahren sprengten die ersten türkischen Streifsdiaren brennend und verheerend durch die Steiermark und Kärnten, Wien und Niederösterreich waren in der Hand des Ungarkönigs, und Kaiser Friedrich III. lag mit dem Erzbisdiof von Salzburg in Streit. Dennoch ist aus den erhaltenen Denkmälern nidits davon abzulesen. Als aber nach dem Tode des Matthias Corvinus die Ungarn das Land verlassen mußten, die Wiedereinigung einen wirtschaftlichen Aufschwung und die im Innern viel ereignisärmere Regierung Maximilians I. eine neue Blütezeit erwarten ließ, zeigten sich erst die Spannungen auf allen Gebieten des Lebens, die freilich weltweite Entwicklungen zum Hintergrunde hatten.

Es muß ein gewaltiger Atem durch die erste Zeit Maximilians I. geweht haben. Was war da ein Schwärm junger Künstler ins Land gekommen, der Franke Cranach, der Schwabe Breu und der Passauer Früauf, der eigentlich aus Salzburg stammte! Von wo ist ihnen allen das Eine zugeflogen, das ergreifend Wirklichkeitsnahe, der Griff in die Natur, die Durchseelung und Vergeistigung der Landschaft? Welcher Geist einte diese Meister, die in Wien, Krems und Klosterneuburg die Grundlage schufen für das, was wir den Donaustil nennen? Denn hier, an der Donau, hat er seinen Ausgang genommen.

Noch fragen wir Nachgeborenen vergebens. Rasdi aber haben jene Meister Fortsetzer ihrer Kunst gefunden, die das Neue aufgriffen und, so scheint es uns heute, eine ganze Schule, die „Donauschule“, entwickelten. Als bedeutendster Meister steht jener unbekannte Maler vor uns, der nach dem Altar von Pulkau benannt wird, auf einem anderen, gleichfalls sehr eindrucksvollen Werk in St. Florian mit dem jungen Augsburger Leonhard Beck zu einer Schöpfung vereint. Wir werden nicht fehlgehen, mit dem Pulkauer Meister den Beginn der Donauschule in Oberösterreich anzusetzen und jenes Florianer Altarwerk als deren widitigste Voraussetzung zu betrachten. Die hervorragenden Zeichnungen dieses Meisters sind noch immer nicht von denen Albrecht Altdorfers restlos geschieden, die Erfüllung dieser wissenschaftlichen Aufgabe wird aber wohl ergeben, daß der Regensburger, der Hauptmeister des Donaustils, noch mehr, als bisher annahm, der österreichischen Kunst des ersten Jahrzehntes des 16. Jahrhunderts verpflichtet war.

Zwei von den bedeutendsten Altarwerken Altdorfers sind in Oberösterreidi gestanden. Der große Altar mit den Passionsszenen und der Sebastianslegende, 1518 für Probst Petrus Maurer geschaffen, ist die umfangreichste, künstlerisch unübertroffene Schöpfung seiner Hand, die erhalten geblieben ist. Er malte dieses “Werk ein Jahr, nachdem durch Luther die große Spaltung der Christenheit begonnen hatte. Er selbst scheint der alten Kirche immer treu geblieben zu sein. Und auch das, was seine Zeitgenossen in Oberösterreich malten, kann niemals für die neue Lehre in Anspruch genommen werden. Aber die innere Unruhe wird spürbar. Die ungeheure Steigerung der Zahl der Kunstwerke, deren Großteil sich auf die wenigen Jahre zwischen den Beginn der Reformation und ihrem Durchbruch in Oberösterreich, um 1525, zusammendrängen, beweist die Krisenhaftigkeit der Zeit. Die neuen Stilmittel zeigen, wie aufgewühlt, beunruhigt, oft irrlichternd suchend ihr Wesen war. Es ist mehr als ein Zufall, wenn damals der Malerei zum erstenmal die Flucht in die Landschaft vorbehalten — oder gegönnt war.

Oberösterreich hat im Mittelalter kein selbständiges Kunstzentrum besessen. Gleichwohl ist seine bisher noch ziemlich unbeachtete Leistung von hohem Reiz. Neben der stärksten Gruppe, die sich an die schon erwähnte, durch die Einwirkung Leonhard Becks charakterisierte Gruppe anschließt, verdient eine Anzahl von Künstlern Erwähnung, die von der bewegten Linie ausgehen und mit diesem salzburgischen Erbe trotz ganz unorganischer Einzelformen Schöpfungen von guter WirTcung erzielen. Als bekanntester Meister mag der Unbekannte genannt werden, der die Seiten-stettner Schmerzensmutter schuf. Eine dritte Richtung, allerdings nur durch eiAen Meister vertreten, bevorzugt kleine, oft karikierende Gestalten, drastische Bewegungen und Grimassen, strähnige Formen und lebhafte, unvermittelt gesetzte Farben. Damit ist die Vielfalt der Ausstellung bei weitem nicht erschöpft, nur das Wichtigste angedeutet.

Erstaunlich ist die Fülle des heute noch Erhaltenen. Die Vielseitigkeit der Erscheinungen läßt das Durchdringen der Individualität auch in den durchaus handwerksmäßig gebundenen einheimischen Malerpersönlichkeiten klar hervortreten. Welch eine innere Gewalt muß der religiösen Not jener Zeit innegewohnt haben, daß sie trotz der Notwendigkeit, sich' entschieden gegen kirchliche Mißstände zu wenden, sich in den Jahren vor der Reformation in Altarstiftungen in solcher Zahl ausgesprochen hat. Die Menge der künstlerischen Schöpfungen und das jähe, unmittelbar folgende Abbrechen mit der Reformation ist daher ebensowenig ein Zufall wie die häufige Wendung an die Nothelfer, deren meist porträtartige Köpfe unmittelbar dem Volk entnommen sind. Es gibt heute Leute, die in manchen Darstellungen der damaligen Zeit eine Verhöhnung und Beleidigung der Heiligen und de« Schönheitsgefühles sehen wollen. Denn mitunter sind jene mit der gleichen Drastik behandelt wie ihre Henkersknechte. Eine solche Ansicht wäre jedoch durchaus falsch. Eine bessere Erklärung bietet der schonungslose Wirklichkeitssinn, der jene Zeit erfaßt hat. Es ist aber noch niemand der Frage ernsthaft nähergetreten, ob man nicht tiefere Problemstellungen dahinter vermuten darf. Ist etwa hier die Frage der Prädestination angeschnitten, die man in derselben Weise aus den verzerrten Köpfen des berühmten Altars von Mauer hat erkennen wollen: ganz gleich, wer einer sei, im Besitze des Geschenkes der Gnade ist ihm die Heiligkeit gewiß?

Mit brennenden Augen stehen wir vor den Kunstwerken jener schicksalschweren Zeit und suchen ihnen ihr inneres Geheimnis zu entringen. Neben den großen Meistern, deren Werke das Land Oberösterreich beherbergt, Albredit Altdorfer und Wolf Huber, ist dessen eigenständiger Reichtum in allen seinen Verzweigungen zusammengefaßt worden, soweit dies die gegebenen Verhältnisse zuließen. Die Einschränkung auf den Bereich des einen Landes hat die Möglichkeit geboten, einen wirklichen Querschnitt zu geben, ohne durch irgendwelche „Qualitätsfragen“ gehemmt zu sein. Wird es gelingen, „Musealbesitz“ mit dem Leben von heute, mit dem modernen Publikum in Kontakt zu bringen? Wenn eine historische Ausstellung die Voraussetzung dazu hat, dann müßte es eine solche sein, weif keine andere Kunstepoche in ihrem Sweben und Ringen, in ihrer inneren Erschütterung durch die Vergangenheit und ihrer Ahnung des Zukünftigen der unseren so verwandt gewesen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung