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DER ZEIT IHRE KUNST!

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Mit dem obenangefühnten Titel sollen gleich Thema und Ziel des hier vorliegenden Beitrags vorweggenommen werden. — Ehe aber konkret davon die Rede sein wird, gestatte man dem Verfasser, einen zugegebenermaßen sehr schematischen Abriß der sakralen Kunstgeschichte vom Urchristentum bis heute zu geben.

In urchristlicher Zeit von einer eigenen christlichen Kunst zu sprechen, ist auf Grund der Herkunft der Urchristen aus den verschiedensten Religions- und den damit verbundenen

Kulturformen kaum möglich. Weiter fehlte der Märtyrerkirche weitestgehend der Raum und die Möglichkeit, Kunstwerken Platz in ihrem Glaubensleben zu bieten. Die Versammlungsstätten — seien sie nun in den Katakomben, Felsenhöhlen oder in den Hinterzimmem der reicheren Bürger gewesen — mußten geheim bleiben, konnten also schon aus diesem Grunde nicht in auffälligem Kunstschmuck prangen. Einige Symbole — die primitiv gezeichneten Fische, Kreuzornamente oder Lämmer, oft mit den Initialen Christi beschrieben, sind zu wenig, um als kunstgeschichtliche Momente gewertet zu werden. Erst mit dem Sieg Konstantins begann das Christentum die Kunst — vor allem die bildende und die in Worten beschreibende — nachhaltig zu beeinflussen. Dieses sakrale Hauptmoment des abendländischen Kunst- und Kulturschaffens wurde im katholischen Europa bis ungefähr um 1800 beibehalten. Gleichgültig, um welche Stilepoche es sich handeln mag. Ein Albrecht Dürer — mitten in der Renaissancebewegung stehend — gibt noch als Hauptzweck der bildenden Kunst die Aufgabe an, das Leiden des Herrn und das Wirken der Heiligen „abzuschildern“. — Selbst die italienische Hochrenaissance — mit ihrer in einer bis dahin in derartiger Stärke nie dagewesenen Bewunderung und Nachahmung der heidnischen Antike — bringt in ihren Hauptwerken Gemälde rein sakralen Inhalts hervor. Die kirchliche Kunst erlebt in allen Sparten einen Aufschwung und eine Blüte, deren Einfluß bis heute ungebrochen nachwirkt. Die Namen Michelangelo, Raffael, Leonardo und Bra- mante seien in diesem Zusammenhang genannt. Der Einfluß der Renaissancearchitektur reicht nicht nur im Sinne der Ausschmückung und Aufgliederung der Fassaden eigentlich bis in das späte 19. Jahrhundert. Die Kuppel der Peters- kirche ist bis heute das größte freitragende Gewölbe der Welt. — Und das fast 400 Jahre vor Erfindung des Spannbetons!

Im engsten sakralen Bereich — um das Allerheiligste — setzt sich die bis vor dem letzten Konzil übliche Form des Altares endgültig durch. Insbesondere die des Hochaltares mit erhöhtem Opfertisch, Tabernakel, Hochaltargemälde und reichem ornamentalen und skulpturalen Schmuckbeiwerk. Die bis dahin vereinzelt noch gebräuchlichen Sakramentshäuschen verschwinden in der Zeitepoche der Renaissance vollständig.

Der berühmte deutsche Kunsthistoriker Hermann Grimm weist in seiner Raffael-Biographie nach, daß die Darstellung der Madonna und des Heilands in der „kirchlichen Gebrauchskunst“, von höchsten Ansprüchen bis zum Gipsheiland der Glaserergeschäfte herab, durch die in der Renaissance gefundenen Formen bestimmt wird. Mit anderen Worten — der Mensch des 20. Jahrhunderts fliegt Überschall, aber er steckt ein Kruzifixbild zu sich, das vor 400 Jahren „modern“ war. Ich möchte das nicht als Fehler bezeichnen, aber ich möchte damit nur eine künstlerischgeistig-religiöse Kluft aufzeigen, die da ist und deren mansich auch wohl bewußt ist. — Hätte man sonst das Konzil gerade jetzt einberufen?

Den letzten großen Impuls, der die Kultur- und damit Kunstgeschichte des christlich-europäischen Abendlandes gewaltig beeinflußte, gab die Gegenreformation und hier besonders das oft Sogar von katholischer Seite nicht genug gewürdigte Trientiner Konzil. Die österreichisch-süddeutsche Barockkunst verdankt ihm erst ihre geistige Grundlage, ihr fast gewaltsames Sendungs- und Selbstbewußtsein. Daß die Trientiner Konzilsväter der damalig modernen Kunst eine gewaltige Bedeutung beimaßen, zeigen Tagesordnungspunkte, die Kirchenmusik, kirchliche Architektur und sakrale Dichtung betreffen! Meister Palestrinas heute noch oft aufgeführte „Missa Papae Marcelli“ war 1563 eine heftig diskutierte Streitfrage unter den Vätern! Sie wurde vom nachmals heiliggesprochenen Karl Borromäus eigens als „Probestück“ für das Konzil bei Palestrina in Auftrag gegeben. Dieser von mir schon erwähnte Impuls des Konzils verlor bis ungefähr 1800 nicht seine Wirkung. Geistesleben — selbst schon aufgeklärt liberales — war immer noch ohne christlich-katholische Sinngebung nicht denkbar. Die Kirchenmusik trug diesen Impuls noch länger als bis 1800 weiter. Der letzte große Vertreter wahrhaft katholischen Künstlertums war vielleicht noch Anton Bruckner — der „Musikant Gottes“.

In der bildenden Kunst ist mit dem Sieg der Gegenreformation und der Fertigstellung der barocken und spätbarok- ken architektonischen Jubelgesänge der Impuls erloschen. Die kirchliche Kunst beginnt zu veröden. Nicht nur aus Schuld der Kirche. Es kommen noch viele Komponenten hinzu. Die Zeit der gewaltigen Neubauten und damit verbundenen Aufträge ist vorbei. Die Meßform, die Form des Gebetes und mit ihr die Form der Ausgestaltung des Altarraumes ist erstarrt. Wenn es Aufträge gibt, so werden sie in alter — schon damals nicht mehr vom Leben erfüllter Manier ausgeführt verlangt.

Das liberale, dem kirchlichen Raum oft schon ganz entfremdete Großbürgertum tritt als Auftraggeber der Künstler ein. Das 19. Jahrhundert hat keinen Michelangelo, keinen El Greco, keinen Kremser-Schmidt und keinen Rubens. Es hat einen Makart, einen Courbet oder die französischen Impressionisten. Alles geniale und großartige Maler — doch weit ab vom sakralen Raum und damit vom katholischen Geistesleben. Selbst der eigentliche Begründer der modernen Malerei, Paul Cėzanne (f 1906), ein wirklich katholischer Mensch, der jeden Tag die Messe hörte, gibt als Hauptaufgabe der Kunst „das Bestreben, die Erscheinung der Dinge in Kuben, Würfeln und Bewegungsellipsen“ aufglie- dem zu können, an. Der im Geistesimpuls der siegreichen Gegenreformation erstarrte katholische Altarraum hat keinen Platz für sein Werk. Welch ein Unterschied zwischen der Kunstauffassung des Paul Cėzanne und dem Wort Dürers über die Darstellung des Leidens Christi und der Heiligen! Lourdes und Fatima zum Beispiel bewirken in der zeitgenössischen Kunstproduktion nur die Erzeugung von weißen Gipsmadonnen in Großserie mit Wachsrosen in den Händen. Und das als religiös-künstlerischen Ausdruck einer Zeit, der doch die wahrste, edelste und bleibendste Dokumentation einer Epoche sein will! Daß das letzte Konzil wahrscheinlich auch diese Kluft überbrücken helfen kann, ist zu hoffen. Nicht umsonst begann es mit der großen Arbeit der Liturgieerneuerung und der damit verbundenen, auch äußerlich erkennbaren Umgestaltung des Altarraumes.

Die Kirche drängt machtvoll in bis jetzt nur dem weltlichen Geist überlassenen Sphären. Die Päpste Johannesund Paul beweisen den universellen und wirklich allumfassenden Anspruch des christlichen Geistes auf die Welt und auch auf das Schicksal dieser Welt. Niemals noch hat der Priester und der Bischof soviel Gewalt besessen, Neues, „Modernes“ zu tun. Und wie schon lange nicht, zeigen sich die Spitzen der kirchlichen Behörden dem Experiment, dem — oft möchte man sagen — gewaltsamen Befreiungsversuch aus der Umklammerung der überlebten Jahrhunderte aufgeschlossen. Und wie alle wirklichen Umbruchzeiten beginnt auch diese Erneuerung mit der Rezeption längst vergangener und vielleicht deshalb wieder besonders „moderner“ und zeitgemäßer Formen und Gedanken.

Die karolingische Renaissance im neunten Jahrhundert griff auf früh- und hochbyzantinische Formen zurück. Der Aachener Kaiserdom ist von San Vietale in Ravenna stark beeinflußt und brachte doch erst die Entwicklung eines eigenen Stils im germanisch-fränkischen Raum mit sich. Die italienische Renaissance entdeckt die römisch-griechische Antike neu und wird dennoch zum Ausdruck des Zeitgefühls der Menschen des 15. und 16. Jahrhunderts. Und so ist es doch glaubhaft, daß durch die Rückkehr zum Christentum der Urkirche mit ihrem einfachen und vielleicht auch schmucklosen Zeremoniell das Gebet des 20. und 21. Jahrhunderts gefunden werden kann.

Die unzähligen Neu- und Umbauten von Altären werden sicher auf die bildende Kunst gerade dieses Jahrhunderts, das nach einem gültigen Ausdruck seiner selbst noch immer ringt, durch die Fülle von wirklich bedeutenden Aufträgen und Aufgaben ihre positive Wirkung nicht verfehlen. Denn daß der neue Geist nach neuen Formen ruft, wird niemand ernstlich verneinen wollen.

Wie diese neuen Formen aussehen werden, das vorauszusagen wäre zuviel verlangt. Auf jeden Fall aber ist eines sicher: Gerade durch das Konzil sind nicht nur einige wenige dazu berufen, ihren Einfluß dabei geltend zu machen. Die neue sakrale Kunst und Kultur bedarf nicht nur des dafür geeigneten Künstlers, sie bedarf vor allem mutiger, aber auch besonnener Auftraggeber, die so die Werke der Künstler in ihrem Sinne beeinflussen und dadurch erst entstehen lasse. Die das Experiment und den Versuch nicht nur um des Experimentes willen durchführen, sondern aus überzeugtem Sendungsbewußtsein um ihre Aufgaben um die kulturellen, künstlerischen und geistigen Belange dieses hoffentlich wieder christlichen Jahrhunderts. Namen wie die des Malers Georges Rouault (t 1958), des Bildhauers Giacomo Manzu, der die neuen Bronzetüren von St. Peter schuf, oder des Architekten Le Corbusier, dessen kühne Kirchen und Klosterbauten schon vor 15 Jahren Aufsehen erregten, können als Garanten dafür angesehen werden, daß das Experiment nicht ohne Grundlagen durchgeführt werden muß.

Aber auch denjenigen, die sich noch zögernd manchem

Neuen erschließen, ist gerade jetzt eine große Verantwortung zugefallen. Ihre Aufgabe wird es sein, daß das Symbol der liturgischen /Erneuerung und der Wiedererwek-i kung der sakral-christlichen Kunst nicht das Wirken der Spitzhacke in barocken Domen werde. — Auch gotische Kirchen sind unverändert auf uns gekommen. Oft gegen den Willen „bauwütiger“ Renaissance- oder Barockäbte und -fürsterzbischöfe.

Mit dem Bemerken, daß die Weichen durch das Konzil gestellt sind und daß es nur an uns allen liegen wird, katholisches Lebens- und Kulturbewußtsein aus dem auch äußerlich erneuerten Altarraum dringen zu lassen, möchte ich diesen Essay zu einem heute immerhin brennenden Problem abschließen.

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