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Religiöse Kunst zweier Zeitalter

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Religiöse Kunst bedeutet bei der derzeitigen Ausstellung der Grazer Galerie Moser keine inhaltliche Bindung an religiöse Stoffgebiete, sondern künstlerische Schöpfung aus dem Erlebnis der anderen, der sinnlich nicht wahrnehmbaren Welt, die uns mit Schauer oder Ehrfurcht erfüllt. Die Schau ist ein Versuch, das religiöse Empfinden in der Kunst zweier Zeitalter darzustellen, in der des Barocks und in der unserer Zeit. Leider handelt es sich nicht immer um gleichwertige Kunstwerke, einem Altomonte und Crespi stehen zumeist jüngere steirische Maler gegenüber, die noch um ihre Reife ringen, und erst gar an aufliegenden Dürer-Drucken kann man wohl kaum die religiösen Auffassungen vergleichen. Zu stark ist dort die künstlerische Persönlichkeit.

Der Maler und Bildhauer der Gegenwart erlebt seine Religion aus seiner Zeit und ihrem Geschehe,heraus. Was uns an mittelalterlichen Gemälden naiv schien, die Darstellung der biblftthen Ereignisse im Milieu des Mittelalters, erhebt der Künstler von heute zur bewußten Aussage. „Zeit" ist zum bloßen Begriff geworden, vor Gott ist alles Gegenwart: an einer Straßenkreuzung vor seinem Heimatort Voitsberg läßt der steirische Maler Johann Weiß den hl. Stephanus gesteinigt werden. Geschieht es denn nicht täglich einem unserer Brüder? Aber da er gesteinigt wird, ist er keiner im Alltagskleide mehr, sondern ein wahrhafter Heiliger im weiten farbigen Mantel, wie er in der Phantasie des einfachen Volkes lebt, schon gekleidet zum Gastmahl Gottes.

Bei den Werken des Barocks ist es vor allem die künstlerische Ausgeglichenheit, die sie von denen der Gegenwart abhebt. Hier ist nichts Effekt, nichts hingeworfen oder skizziert, an allem erkennt man die langsam reif gewordene Arbeit. Fern jeder Hast müssen diese Werke entstanden sein, die wohl auch Preis ringender Künstlerseelen sind, aber Überwindung jeden äußeren Ansturms, Verachtung der Welt und dennoch Liebe zu ihr, jenes höchste künstlerische Mysterium, zu dem wir Heutigen, rücksichtslos Hin- und Hergeworfenen, so schwer finden.

Auf den verschiedensten Wegen muß unsere Künstlergeneration ihr Gottesbild suchen. Jede Überlieferung ist durchbrochen — die Religion ist Neuland geworden, wiederentdecktes Neuland, dessen Umrisse noch keine feste Gestalt angenommen haben.

Da ist der helfende Gottessohn mitten unter der Masse Mensch. Der einsame Helfer, der die zehntausend Brote verteilt; nur ein heller Schein hebt ihn aus der gierigen Masse heraus, die die Früchte seiner Güte genießt, ohne ihres Spenders zu gedenken. Nur ein Schritt weiter und der gleiche Helfer steht vor der gleichen Masse als Angeklagter, beschimpft und verflucht Laske. Kein königlicher Christus ist es mehr, der auch im Schmerz noch Größe offenbart, sondern einer unter Tausenden, einer wie du und ich, und gerade dadurch wahrer Heiland und Menschensohn. Der gleiche Gott, der aus jedem Erlebnis des Alltags zu uns spricht, aus den halbgeöffneten Lippen des Fremden, der trauernde Frauen tröstet, ebenso wie aus deren Blicken, in denen erste, wenn auch noch sehr zaghafte Hoffnung aufleuchtet Syskowitz.

Ländliche Künstler versuchen, in der kindlichen Art ihrer Väter, religiös zu gestalten, bald barocke Heilige in neuen Farben erstehen zu lassen, bald in klobiger Einfachheit Symbolfiguren ihres Glaubens wiederzugeben. Aber die Naivität ihrer Väter ist ihnen bewußt geworden, der Einfachheit fehlt das Ursprüngliche, und selbst monumentale Steigerungen, wie etwa Maurachers Holzskulpturen, entbehren der inneren Größe ihrer aus kindlicher Gläubigkeit geschaffenen Vorfahren.

Denn diese Gläubigkeit ist unserer Zeit fremd geworden. Wohl haben die beiden Kriege das künstliche Licht einer nüchtern materialistischen Zeit samt ihren ästhetischen Wandverzierungen gelöscht. Aber noch liegt die Welt unter den Trümmern ihres zweiten Babelturmes, und alles, was wir tun können, wieder zum Lichte, zum freien Himmelslichte zu gelangen, sind Axtschläge wider die Trümmer. So wird der Schrei aus namenlosem Leid erstes religiöses Bekenntnis, besser, erster religiöser Wille einer Generation, die noch ganz im Dunkel lebt. Aus Schmerz ist die Kunst geboren, die die Gottessehnsucht unserer Zeit manifestiert. Der leidende Heiland ist nicht das Symbol, er ist das große Erlebnis unserer Zeit. Aber das sind keine „schönen" Bilder mehr, die selbst in der Wiedergabe des Gegeißelten oder des Gekreuzigten noch erbaulich wirken sollen, das ist färb- und formgewordenes Schmerzgefühl einer ganzen leidenden Generation! Larsenson. Furcht und Angst haben Macht über uns gewonnen, im Dunkel erschauen die Künstler dieser Zeit Wesen und Gestalten, die ihnen am lichten Tage niemals begegnen würden. Das Dämonische gewinnt Gewalt über die Menschen, zwingt sie zum Glauben ans Übersinnliche, Unfaßbare, nimmt Gestalt an in den Werken der Künstler. Aus den geheimnisvollen Holzschnitten und Lithographien Fronius’ weht uns religiöser Schauer entgegen, ob es nun das in seinem sturen Pflichtgefühl zur Grimasse des Schlächters gewordene Antlitz des Pilatus — welch furchtbares Spiegelbild unserer Generation! — oder der alte Andreas Gryphius ist, über dessen Schulter der Tod blickt. Zagorodnikows apokalyptische Bilder endlich lassen uns — in einer auch formal meisterhaften Art — unsere Zeit als religiöses Schicksal erleben. Uns war es vorbeihalten, für Augenblicke den Schleier gelüftet zu sehen und das zu schauen, was anderen Generationen unsichtbar geblieben: daß die Weissagungen des Apostels ewige Gegenwart sind. Aus ihnen heraus wächst auch Silveris Engelsfigur auf, erste Verkündigung einer neuen Lebensbejahung. Von Silveri stammt auch der in letzter Zeit viel besprochene Altar in der Kirche zu Wenigzell. Die Zeit ist reif zur Besinnung. Gnade des Grauens.

Nur abseits vom Lärm der Welt lebt noch die Gnade der Milde. Unwirklich, wie Marchenbilder muten uns die kleinen, reizen-den Radierungen Laskes an, seine „Flucht nach Ägypten“ oder sein Kleines Paradies“, und erst recht der „Weihnachtsengel“ Silberbauers. Religiöse Themen — und dennoch spricht aus Fronius’ Illustrationen zu seines Geistesverwandten Kafkas Novellen mehr Gottsuchertum unserer Generation.

Zur Gestaltung des Auferstan denen hat unsere Zeit noch nicht gefunden. Ist unsere Passion noch nicht zu Ende oder leben wir in der Zeit zwischen Karfreitag und Ostersonntag? Wir müssen uns selbst befreien, in Christus befreien. Der Weg, den die Künstler ahnen, ist erst begonnen. Noch haben ihn die wenigsten gefunden. Der Alpdruck des Unglaubens liegt noch über uns.

Es ist noch sehr weit heraus aus dem Dunkel, dem Schutt unserer Zeit, nach jenem frohen, stolzen Bekennertum, wie es der Heiland Altomontes selbst noch am Kreuze verkörpert: er hat die Welt überwunden und ist selbst ihr strahlendster Held.

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