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ATEM DER EWIGKEIT

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„Weißt du nicht, o Asklepios, daß Ägypten das Bild des Himmels und das Widerspiel der ganzen Ordnung der himmlischen Angelegenheiten hienieden ist? Doch du mußt wissen: Kommen wird eine Zeit, da es den Anschein haben wird, als hätten die Ägypter dem Kult der Götter vergeblich mit soviel Frömmigkeit obgelegen, als seien all ihre heiligen Anrufungen vergeblich und unerhört geblieben. Die Gottheit wird die Erde verlassen und zum Himmel zurückkehren, da sie Ägypten aufgibt, ihren alten Sitz, verwaist von Religion, beraubt der Gegenwart der Götter.. . dann wird dies von soviel Heiligtümern und Tempeln geheiligte Land mit Gräbern und Toten übersät sein. O Ägypten, Ägypten! Von deiner Religion werden nur leere Erzählungen, die die Nachwelt nicht mehr glauben wird, und in Stein gehauene Worte bleiben, die von deiner Frömmigkeit erzählen.'4 Hermes Trismegistos

T Jber die ägyptische Kunst schreiben — will man auch nur andeutungsweise eine Ahnung von ihrem innersten Wesen vermitteln — heißt, von den Glaubensvorstellungen einer der ältesten Kulturen der Menschheit sprechen. Denn in untrennbarer Weise sind ihre hervorragendsten Denkmäler, die Tempel,

Gräber und Standbilder der Götter und Menschen, mit dem Geheimnis des Todes verknüpft, mit seiner Überwindung und mit seinen Rätseln. Schaut man vom Scheitelpunkt der großen Pyramide aus über das Land in seinen leichten Wellen, so erblickt man noch heute die beiden großen Gegensätze, die das Herz und die Seele des alten Volkes mit Schrecken und Hoffnung erfüllten... Der schmale Streifen des üppigen Grüns des Niltales, der jedes Jahr durch die periodische Anschwellung des Flusses zu neuem Leben erweckt wird und allein Brot und Fruchtbarkeit verheißt, ist auf beiden Seiten von unbegrenzter und schreckenerregender Wüste umgeben, braunem, menschenleerem Ödland. Mit unerhörter Deutlichkeit ist hier die Grenze zwischen Leben und Leblosigkeit gezogen. Selbst heute noch leben 99,5 Prozent der Bevölkerung auf den 3,5 Prozent des Bodens, der sie ernähren kann, in einer Bevölkerungsdichte von 460 Einwohnern auf den Quadratkilometer. Wie in einem Kommunikationsrohr scheinen sie zwischen dem Oberlauf des Nils und seinem Delta gefangen, und wenn die Bevölkerung im Altertum auch sicher geringer war, so waren doch die Voraussetzungen dieselben, und das tägliche Leben war mehr noch als heute in seinem Fortbestand und in seiner Fruchtbarkeit Geschenk des Flusses und der Sonne. So wurde der tägliche Weg der Sonne zur Reise eines Gottes von Ost nach West und das jährliche lebensspendende Steigen des Flusses zur Wiederauferstehung des Osiris, der nach einem tragischen Erdenleben und Tod zum Gort des Todes und des Gerichtes wurde.

Leben, Tod und Auferstehung wurden damit schon früh, als der paläolithische Mensch Europas noch mit der von der Eiszeit bedrohten Umwelt kämpfte, zu beherrschenden Problemen des ägyptischen Volkes und von Eingeweihten, die im Besitz uralter esoterischer Überlieferungen waren, wurde eine Technik ausgearbeitet, die dazu dienen sollte, den Tod zu meistern. Denn man sah das Leben selbst als den ersten Tod des Menschen an — mit seiner Geburt fiel er aus einer geistigen, geordneten Welt, zu der er nur wieder durch seinen leiblichen Tod Zugang erlangen konnte. Ein reiner und tadelloser Lebenswandel genügte aber dazu nicht, es war vielmehr notwendig, den Fallen und Schlingen der Dämonen zu entgehen, die in dieser Welt und auch in der anderen zu triumphieren schienen, die Wege zu kennen, die man zu durchwandern hatte, und die Namen der Götter, denen man begegnete, um selbst ein Wissender, ein Wirkender, ja selbst ein Gott zu werden. Hierzu war esoterisches Wissen und magische Praktik notwendig, die einzigen Mittel, um dem kosmischen Grabmal zu entgehen, das das ganze Weltall bildete und in dessen Mittelpunkt sich Osiris befand, der gefallene, kosmische Mensch, und mit ihm das Einzelwesen, das Individuum.

Weil aber der Ägypter des Altertums ein Mensch war, der das Diesseits aus vollster Überzeugung bejahte und leidenschaftlich am Leben hing, ein „Realist“, entstand aus dem Widerspruch der geistigen Erkenntnis und der Haltung zum Leben eine einzigartige Weltschau. In aller faszinierenden Sinnlichkeit, mit der er das Leben bejahte, war er doch von dessen Flüchtigkeit und Unbeständigkeit überzeugt.

VÜ7 erden wir uns klar - die ägyptische Kunst, selbst die W Schrift, ist Zauberzeichen gegen und für den Tod. Eine Kunst, die für Tote und Eingeweihte bestimmt war. In die Gräber verbannt und in das sakrosankte Dunkel der Tempel, hätte keines Sterblichen Auge sie erblicken sollen. Ein ungeheuerlicher Gedanke - Kunst, die vom Dialog mit dem lebenden Menschen ausgeschlossen wird und die doch ihre Wirkungen noch vor ihrer Entdeckung übt. Aber es ist so. Das Bildnis des Verstorbenen war nur ein Mittel, seinen Ka, seine Lebenskraft, seine Persönlichkeit, seinen Schutzgeist kraft seiner unverwechselbaren Ähnlichkeit wiederzufinden, Hilfe im Jenseits. Und so waren die Grabbeigaben, die Bilder und Reliefs, nur Mittel, ihm sein Leben dort zu gestalten — ein unerhörtes, geheimnisvolles Unterfangen, das auf das Letzte abzielte und tiefe Spuren im Denken späterer Kulturen hinterlassen hat.

Daher ist auch die ägyptische Kunst keine symbolische Kunst, sondern das oder der Dargestellte ist der Verstorbene, das Wild, die Tänzerin, der Sklave, die Nahrung, in magischer Entsprechung voll kosmischer Potentialität. Man glaubte an die lebendige Wirksamkeit der Bilder, ja an ihre zum Eigenleben erwachende Macht unter bestimmten Umständen. Daraus und aus der leidenschaftlichen Sehnsucht nach Dauer erklärt sich auch die Vorliebe für die dauerhaftesten aller Materialien: für Stein, Diorit und Basalt, die mit den kümmerlichen handwerklichen Mitteln einer Steinzeitkultur in unvorstellbarer Arbeit geschliffen, gehöhlt und geformt wurden zu einer Vollendung, die uns heute als ungeheuerlich anmuten müßte, wenn nicht unsere geistige Trägheit noch schwerer als Stein wäre. So wie der Verstorbene sollten auch die Zeugnisse und Hilfsmittel für ihn nicht vergehen. Daraus erklären sich die Totenstädte, die Nekropolen, die alles überschattenden Monumente der Toten, die nicht so sehr Denkmäler des einzelnen sind, als Mahnmale gegen den Tod, Vehikel zur Auferstehung in ein ewiges Leben, auf das der Ägypter hoffte.

Unter dem unbarmherzigen Licht der Sonne, der Wüste, verklären sich die Erscheinungen zu ihrer höchsten dreidimensionalen Potentialität. Von Beiwerk gereinigt, tritt in aller Schärfe ihr Wesentliches hervor. Und noch etwas anderes wird transparent und sichtbar: ihre innere Geometrie. Beides wird an der ägyptischen Kunst überwältigend deutlich. Hier herrscht ein Maß, das nicht auf den Wohllaut, auf die harmonisch-sinnliche Artikulation gegründet ist wie im späteren Griechenland — das vor den ägyptischen Geheimnissen erzitterte —, sondern ein Maß, das das Ewige vor Augen hat, vor dem Totenrichter bestehen muß Es kommt aus einer vollkommenen Durchdringung der Realität und wirkt aus seiner Bezogenheit gewichtig und schwer. Schwer in allen Bedeutungen des Wortes. Denn es ist nicht nur die Masse des Materials, des Steines allein, die den Dingen ihr Gewicht verleiht, es ist die von innen her geformte Beladenheit, die in der Überwindung ihrer Bedingtheit ihren spirituellen Ausdruck erlangt. Der Stein beginnt hier zu reden und uns anzublicken.

Sicher ist die ägyptische Kunst im höchsten Maß realistisch und transzendent zugleich und von immerwährender Aktualität, weil ihr Thema die Verwandlung ist. Darum berührt es uns so tief, in Cezanne, in Zurbaran, in Georges de la Tour oder in Vermeer ihren Geist wiederzufinden, in jeneT Stille, die, vom Geheimnis umgeben, Leben gegen das Sterben setzt und damit auch das Thema modernster Zeit, den Aufstand gegen die Geschichtlichkeit (Joyce), die „Suche nach der verlorenen Zeit“ (Proust), vielleicht das Thema jeder wahren Kunst, im Wesen vorformt Denn was ist Kunst anderes als das Bemühen des Menschen, wie sehr vergeblich, wie sehr gesegnet, in der Vergänglichkeit der Bilder, des Erlebens, das Ewige, das auf das Ewige Bezogen zu erfassen, gespiegelt in der inneren Geometrie der Formen, den Erkenntnissen des Geistes, abgelöst von der Zufälligkeit, Vordergründigem oder vergänglicher Emotion.

Nicht umsonst gebrauchen wir auch im Zusammenhang mit neuerer Kunst den Begriff des „Hieratischen“ jener geheimnisvollen Feierlichkeit, die die Zeit scheinbar aufhebt und stillstehen läßt... Cezannes Stilleben mit der schwarzen Uhr, Pi-cassos Stierschädel vor violettem Vorhang... Ist es die Geometrie, die auch andeutungsweise (wie bei Picasso) Erfüllung der sphärischen Form, wie sie der ägyptischen Kunst im höchsten Maß zu eigen ist, die uns zwingt zu verharren, zu staunen ... ? Warum? Weil hier die Flüchtigkeit der Erscheinungen einer Ordnung unterworfen ist, nicht von dieser Welt, sondern aus der Erkenntnis kommend? Weil hier dem Tod eine gültige Antwort erteilt wird, man ihn auf seinen Platz verweist zugunsten der ewigen Bezüglichkeit, die die Werke des Himmels in unvergänglichem Licht spiegelt? Vielleicht daher auch die Totenschädel Cezannes, die nicht mehr Sujet, sondern nur Vorwand, wesentlicher Vorwand einer kosmischen Sicht sind, die durch die Form verwandelt. Auch darin liegt die Größe der Kunst der allen Ägypter: in ihrer realistischen Härte, die, alles Menschliche einschließend, auf das Ewige bezogen ist. Ihre Gestalten sprechen nicht mit uns, sondern mit der Ewigkeit. Diese Un-bedingtheit läßt uns heute erzittern, und die grandiosen Metamorphosen, die Gott und Mensch mit dem Tier vereinen, werden zu aktuellen Kommentaren ewig menschlicher Bedingtheit.

T\ie große Ausstellung „5000 Jahre Ägyptische Kunst“ im Künstlerhaus, die der großzügigen Initiative des Bundesministeriums für Unterricht zu danken ist, gibt einen fast lückenlosen Überblick über die Entwicklung von der Früh und Urgeschichte dieser Kunst bis in die frühchristlich-koptische Zeit. Daran schließt sich noch eine Schau von Objekten aus der islamischen Epoche des Landes, die bis in das 15. Jahrhundert nach Christus reicht und die verfeinerte, abbildlose Dekadenz dieser Zeit aufs schönste demonstriert.

Wenn auch das Museum in Kairo begreiflicherweise mit der Entsendung von Meisterwerken geizte und nur wenige der großen Leistungen ägyptischer Kunst aus seinem Besitz zu sehen sind, wie etwa der „Mykerinos“, so kommt doch die Ausstellung einer Enthüllung gleich, vor allem deshalb, weil die wichtigsten Arbeiten aus den Beständen des Kunsthistorischen Museums zum erstenmal in einer Aufstellung zu sehen sind, die ihnen Gerechtigkeit widerfahren läßt. Überhaupt ist die Gestaltung der Ausstellung durch den jungen Architekten Ottokar U h 1 besonders hervorzuheben. Ihre saubere Einfachheit, die intelligente und funktionelle Lösung ihrer Bauelemente sind eine reine Freude. Die Wahl der Farben und die Aufstellung verraten, daß sich endlich jemand Gedanken über die Herkunft und den Sinn von Ausstellungsobjekten gemacht hat und darüber hinaus Ideen besitzt, die, weil sie sich unterordnen, die Anschauung diskret unterstützen und steigern. Damit wird beträchtlich zum starken Eindruck dieser Ausstellung beigetragen, deren entscheidende Leistung darin liegt, das Verlangen zu wecken, noch mehr der Meisterstücke dieser großen Kunst — wenn möglich in ihrer Heimat — kennenzulernen.

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