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Unsterblichkeit in altamerikanischen Urzeitmythen

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Di Erzählungen der Naturvölker künden uns immer wieder von der tief verwurzelten Sehnsucht nach Erlösung vom Tode, schildern oft mit innerer Bewegtheit and erstaunlicher Intuition die Geschehnisse vom Anbeginn der Welt und der Menschheit. In treuer Traditionsgebundenheit werden die Mythen von der Welt- und Menschen-sehöpfung, vom Sündenfall, von der Gewinnung neuen Lebens von Geschlecht zu Geschlecht erzählend weitergegeben nd gerade jene Völker, die als die ältesten angesehen werden müssen, bewahrten durch die Jahrtausende ein Ideengut, das man gleichsam als Nachklang einer Uroffenbarung bezeichnen könnte. Zu solchen Altvölkern zählen im besonderen verschiedene Indianerstämme Kaliforniens, einfache Jäger und Pflanzensammler, die heute nur mehr als kümmerliche Volksreste ihr Dasein fristen. Von ihren einst reichen Mythen und Zeremonien konnten sozusagen in zwölfter Stunde die nordamerikanischen Ethnologen durch die letzten wissenden Stammesmitglieder noch vieles in Erfahrung bringen und der Wissenschaft zugänglich machen.

Ein hervorragendes Dokument dieser Art legt in einer Urzeitmythe vor, die ein Vertreter de Stammes der Wintun im Sacra-mentotalgebiet aus dem Schatze seiner Erinnerungen einem amerikanischen Forscher tot Mitteilung brachte. Der Erzähler muß ein geistig hochstehender Mann gewesen sein, der in Darstellungsgabe und Wahl der Gedanken für seine Verhältnisse als genial zu bezeichnen ist. So sehr auch die Mythe eine Einzelleistung darstellt, ihre Grundideen fanden sich einst bei den Kali-forniern weit verbreitet und gehörten zu ihren vertrauten Glaubensvorstellungen.

In dieser Mythe der Wintun steht im Mittelpunkt der höchste Gott — Olelbis dDer oben Wohnende“, der über den Wolken thront in einem großen Festhaus, dessen Pfosten grünende, fruchttragende Eichenbäume sind und in dem alle Blumen der Erde in ihrer Farbenpracht und ihren Düften zur Schönheit dieses Baues beitragen. Olelbis will für die Menschen, die aus dem Erdboden hervorkommen sollen, Unsterblichkeit, ständige Erneuerung und ein Leben ohne Sorgen und Leiden. Er beauftragt am Beginn der Welt zwei seiner Geschöpfe, ein Geierbrüderpaar, einen Steinweg zu bauen hinauf zum himmlischen Festhaus. Dort am Ende dieses Weges will Olelbis zwei Quellen mit verjüngendem Lebenswasser setzen. Wenn die Menschen alt geworden sind, sollen sie den Steinweg zum Himmel gehen zu den heiligen Wassern. Wenn sie sich in der einen- Quelle gebadet und aus der anderen getrunken haben, würden sie wieder jung und frisch werden und neugestärkt auf die Erde zurückkehren. Olelbis möchte in seinem Plane für die im Paradies lebenden Menschen auch Ehelosigkeit: „Kein Mann wird eine Frau haben, keine Frau einen Mann“, heißt es so schlicht und kindlich in der Erzählung, „sie werden zueinander sein wie Brüder und Schwestern“.

Als die beiden Brüder Stein auf Stein legten und ihr Sau bereits bis zu den Wolken reichte„ kam zu ihnen ein Mann in prächtiger, aufdringlicher Kleidung, Sedit, der Verführer. Er lästerte Olelbis, bezeichnete ihre Arbeit als sinnlos und bemerkte, er wisse ihnen Besseres zu sagen als der Mann droben im Himmel. „Glaubt ihr, was Olelbis euch sagt? Ich glaube nicht an Olelbis.“ Sedit hat für die Menschen Mühe und Arbeit vorgesehen, wünscht, daß sie heiraten und Kinder bekommen sollen und will vor allem, daß der Tod in die Welt komme. Dies alles versucht er in seiner Überredungskunst für die Menschen als günstig hinzustellen.

Die Brüder wurden nachdenklich und unschlüssig, der Ältere sagte sich schließlich vom höchsten Wesen los mit den Worten: „Ich denke, was Sedit sagt, ist besser.“ Der Jüngere war jedoch anderer Meinung und lehnte sich gegen die Anmaßungen des Verführers auf. Er rief Sedit zu: „Du willst, daß andere sterbenl du willst den Tod in der Welt haben. Was würdest du sagen, •wenn du selbst sterben müßtest?“ Die Abkehr von Gott war aber bereits vollzogen, die Brüder brachten den begonnenen Steinbau zum Einsturz und flogen gen Himmel. Da überkam dem Verführer Reue und Angst. Er wollte mit improvisierten Blätterflügeln sich von der Erde, über die jetzt der Tod herrschen sollte, emporschwingen, doch er stürzte herab und zerschellte. Und vom Hause im Himmel sprach Olelbis die denkwürdigen Worte: „Es ist seine eigene Schuld, Sedit ist der erste, der sterben mußte, getötet durch seine eigenen Worte. Von jetzt an -werden alle seine Menschen hinfallen und sterben.“

Der Verführer ist in der Mythologie der Kalifornier eine wichtige Figur, der ausgesprochene Gegner und Widersacher des gütigen, menschenfreundlichen höchsten Wesens, in der Gestalt des Präriewolfes oder Coyoten die Verkörperung des bösen Prin-zipes. Er trägt auch Züge des sündhaften Stammvaters der Menschheit an sich, wie es die Wintunmythe eindeutig erkennen läßt. Da die Menschen sich dem Verführer zuwenden, verläßt das höchste Wesen die Welt und zieht sich in den Himmel zurück.

Nach einem Schöpfungsbericht eines anderen kalifornischen Stammes, der Maidu, wird die Erneuerung der Menschheit von Gott zunädist am Stammvater selbst vorgenommen, um damit die für alle Menschen vorgesehene ewige Verjüngung einzuleiten. Der Schöpfer ließ den Stammvater Kuksu zu einem sehr alten Mann werden und befahl ihm, in einen See zu steigen und unterzutauchen. Da begannen die Wasser zu toben, es rollte wie Donner in der Tiefe und .Kuksu stieg jung und neubelebt aus den Fluten. Nachdem in der Folgezeit Coyote den Tod in die Welt gebracht hatte, war der erste Tote sein Sohn, der an dem Biß.einer Giftschlange starb. Schmerzerfüllt rief der Widersacher, dem nun die Strafe auf dem Fuß gefolgt war, zum höchsten Wesen: „Laß die Welt wieder todfrei sein. • • Gib mir mein Kind wieder zurück... Ich war schlecht!“ Gott hörte jedoch nicht mehr auf seine Worte, er wendete sich ab von der Welt.

Es ist überaus bezeichnend, daß nach dem Glauben der Maidu, wie ihn die Mythen widerspiegeln, der erste Mensch nicht in die Rolle des sündhaften Adam fällt, sondern dem höchsten Wesen die Treue hält, als Coyote die Menschen von Gott abbringen will. Er bleibt nach dem „Sündenfall“ Mittler zwischen der Gottheit und der Menschen-weit, Gott bedient sich seiner, um dem gefallenen Geschlecht seine Weisungen kundzutun und ihm die heiligen Tänze und Zeremonien mitzuteilen. Man wäre verleitet, hier von einem Messiasglauben zu sprechen. Dazu kommt die Verbindung dieses „Adam“ mit einem blutigen Sterben und einem Wiedrauferstehen. Der Mond in seinen wechselnden Phasen, das stetige Vorbild und Symbol der Naturvölker für Tod und Wiedergeburt hat in verschiedenem Ausmaße auf die mythische Gestaltung des Stammvaters eingewirkt, der Gedanke einer Auferstehung wurde aber keineswegs erst von der Mondbetrachtung ausgelöst, er suchte sich nur in sichtbaren, äußeren Bildern darzustellen, sich im Monde zu veranschaulichen.

Bei den Maidu kündigt auch der Stammvater Kuksu vom Totenlande beim Anblick des ersten Gestorbenen der Welt das „Paradies“ auf und sagt: „Dies muß nun weitergehen, bis die Zeit um ist und der Weltschöpfer wiederkommt und alles von neuem gemacht wird.“ Klingt dies nicht geradezu wie eine apokalyptische Vorahnung?

Der Sehnsucht nach neuem Leben, dem Streben, übersinnliche oder magische Kräfte zu erwerben, wird bei den Kaliforniern (wie bei vielen anderen Völkern) im Rahmen der Knabenweihen durch dramatische Darstellung des Mysteriums des Todes und der Wiedergeburt Ausdruck verliehen. Im Hause der Männerschaft werden an den Kandidaten dieser Weihen richtige Auferstehungsriten vollführt. Es treten als Abgesandte der Geisterwelt vermummte Männer auf, ergreifen die Knaben und legen sie der Reihe nach auf den Boden, wo sie mit Stroh oder Fellen zugedeckt werden und symbolisch als Tote gelten. Eine belebende Waschung läßt sie „als Männer auferstehen“. Sinngemäß entspricht dem ein etwas gewaltsamerer Ritus: die Knaben werden am Schluß der Weihe aus dem Rauch- oder Dachloch des Männerhauses ins Freie geschleudert und abermals mit Hilfe des Wassers erneuert. Es soll hiebet auch sinnbildlich gezeigt werden, daß sie aus dem Geisterlande oder der Unterwelt, wo sich ihre Umwandlung zu Männern vollzog,- wieder zurück auf die Erde kommen. Einen dramatischen Höhepunkt nehmen die Aufnahmefeierlichkeiten in einem Geheimbund, der dem ersten Menschen geweiht ist. An den Novizen wird die Pantomime eines blutigen Sterbens vorgenommen. Ein Darsteller des mythischen Stammvaters Kuksu durdispeert oder durchschießt mit Pfeilen fingiert die Geheimbundkandidaten, die so symbolisch ■ einen grausamen Tod erleiden. „Erlöst“ werden sie aus diesem Hurch Übergießen mit Wasser. Es vollzieht also der Stammvater, der bereits als spätere Entwicklung dem Monde angeglichen wurde, an den Jünglingen jenes Schicksal, das er selbst erlitten hatte. Dadurch nehmen die angehenden Männer Anteil an der Wesenheit des ersten Mensdien.

Eine nicht minder interessante und aufschlußreiche Ursprungsmythe besitzen die Winnebago, ein ackerbautreibender Sioux-stamm am Midiigan-See, der von den benachbarten altkulturlichen Algonkin verschiedene Glaubensvorstellungen übernommen hatte, die er mit seiner historisch viel jüngeren Religion in Einklang brachte. Zu ihrer Geheimbundzeremonie dei tod- und lebenspendenden heiligen Muschel, die durch bestimmte Manipulationen in den Körper „eingeschossen“ wird, haben die Winnebago eine Mythe geschaffen, in der eine Heil-bringergestalt seltsamer Art der Menschheit neues Leben auf die Erde bringt. „Erdmacher“, das höchste Wesen, setzte am Beginn der Zeiten einen Stammvater und Helden ins Dasein, „geschaffen ganz aus der Kraft seiner Gedanken“. Er ist bezeichnend, daß die Indianer sich ihn in der Gestalt des Hasen vorstellen, einem Tier, das mit dem Monde und der Dämmerung in Beziehung stehend gedacht wird. Er geht in den .Leib einer jungen Frau ein und wird als Mensch geboren. Seine Aufgabe ist es zunächst, die Welt von bösen Geistern zu reinigen. Dann tritt der Tod unter die Menschen, aber nicht durch eine Abkehr von Gott, sondern dadurch, daß der Hase eine ihm auferlegte Vorschrift nicht einhält. Auf Geheiß der Großmutter Erde hätte er sich auf seinen Gängen nicht umwenden sollen, da er es aber trotzdem tut, ist die Unsterblichkeit der Menschen verwirkt. Betrübt, voll des Mitleides mit den Menschenkindern, will Hase versuchen, ihnen das ewige Leben wieder zurückzugewinnen, Suchend und forsdiend durchzieht er die weite Welt, fragt an bei den verschiedenen Geistern und bei der Erdfrau, niemand jedoch kann ihm die Unsterblichkeit zurückgeben. Da tragen ihn die Donnervögel schließlich empor zum .Erdmacher', der sich der Menschheit erbarmt und den Hasen beauftragt, seinen Geschöpfen die Zeremonie der heiligen Muschel zu lehren. Hase bringt diese frohe Botschaft zu den Menschen und führt sie in das Geheimnis der durch die Muschel bewirkten Wiedergeburt ein. Der Tod kann wohl nicht mehr rückgängig gemacht werden, aber die Zeremonie vermittelt eine Fülle von Leben. Nach dem Tode können die Mitglieder des Geheimbundes wieder auf die Erde zurückkehren und reinkarniert werden.

So fremd und trivial uns die Einkleidungen und Äußerungen des religiösen Fühlens und Denkens der Naturvölker auch anmuten mögen, die elementaren Grundzüge der Menschenseele, an die wir anknüpfen können, sind doch stets offenbar. Unter dieser Rücksicht tritt die Heidenwelt in ihrem mühsamen Suchen und Tasten nach dem Höheren, dem Göttlichen, unserem Verständnis so menschlich nahe. Gerade die nordamerikanischen Eingeborenen neigen in ihrer ernsten, mystischen Geisteshaltung irrt besonderen Ausmaße zu religiösen Erlebnissen und zu metaphysischen Spekulationen. Es ist nur sehr zu beklagen, daß es der alten, unverfälschten Indianerkultur nicht vergönnt war, sich organisch mit dem Christentum zu verbinden und ihre inneren Werte im christlichen Geiste zur Entfaltung zu bringen.

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